Ulrike Ackermann - © Fotos: Club Alpbach Steiermark / Foto Fischer

Ulrike Ackermann: "Da herrscht geistige Entleerung"

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Die liberale Demokratie sei von außen wie innen bedroht, meint die deutsche Politikwissenschafterin und Freiheitsforscherin Ulrike Ackermann. Ein Gespräch über Putin, Populismus und Diskursverengung durch Identitätspolitik.

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Die liberale Demokratie sei von außen wie innen bedroht, meint die deutsche Politikwissenschafterin und Freiheitsforscherin Ulrike Ackermann. Ein Gespräch über Putin, Populismus und Diskursverengung durch Identitätspolitik.

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Was bedroht unsere Freiheit? Geht es nach Ulrike Ackermann, dann sind es neben Russland und China sowie Rechts- und Linkspopulisten auch die enger werdenden Räume des Sagbaren. Mit ihrer Kritik an der „neuen Schweigespirale“ (siehe Buchtipp unten) polarisiert die Politikwissenschafterin und Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung im deutschen Bad Homburg auch selbst. Was genau kritisiert sie? Und wo liegen generell die größten Bedrohungen für liberale Demokratie und Menschenrechte? DIE FURCHE hat mit ihr am Rande des diesjährigen Pfingstdialogs „Geist & Gegenwart“ – Thema: „The European Way of Life. Anspruch und Wirklichkeit“ – auf Schloss Seggau gesprochen.

DIE FURCHE: Frau Ackermann, für die meisten gehören liberale Demokratie und Menschenrechte zu Europas Identität. Für Sie auch?
Ulrike Ackermann: Sie sind tatsächlich ein wesentlicher Teil der europäischen Geschichte und zählen zu den wichtigsten Errungenschaften, die wir für die westliche Zivilisation benennen können. Über viele Jahrhunderte und in blutigen Kämpfen haben wir die Demokratie erstritten – beginnend mit der griechischen Polis, wo sich die ersten Farben der politischen Freiheit und des Rechtsstaats herausgebildet haben. Eine weitere wichtige Station war das römische Recht mit der Unterscheidung von mein und dein.

Ganz wesentlich waren natürlich auch das Christentum und das Judentum – durch die Herausbildung des Gewissens und der Verantwortlichkeit des Einzelnen vor Gott. Ein großer Schub kam dann durch die Renaissance, die Aufklärung und natürlich durch die Französische Revolution in der Formulierung der Menschenrechte.

All das ist aber immer auch im Kontext mit den Entwicklungen in Amerika zu sehen, weil all diese europäischen Gedanken durch Migrationsströme und Flucht vor Verfolgung über den Atlantik gebracht worden sind. Insofern ist Amerika ohne Europa nicht denkbar – aber umgekehrt ist auch Europa und die Weiterentwicklung seiner Werte nicht ohne Amerika denkbar.

DIE FURCHE: Wenn wir von der Geschichte in die Gegenwart kommen, so orten viele derzeit aber große Gefährdungen dieser liberalen Demokratie samt ihren Freiheiten und Rechten – und zwar von außen wie von innen. Woher kommt aus Ihrer Sicht derzeit die größte Bedrohung?
Ackermann:
Natürlich von außen – an erster Stelle durch den russischen Krieg gegen die Ukraine. Denn dieser Krieg wendet sich ja nicht nur gegen dieses Land. Er begann 2014 mit der Eroberung der Krim als Antwort darauf, dass die Ukraine sich dem liberalen Europa anschließen wollte. Aber Putin hat schon lange vorher und völlig unverhohlen Kampfansagen an den westlichen Liberalismus gemacht.

DIE FURCHE: Was meinen Sie konkret?
Ackermann: Putins Chefideologe, Alexander Dugin, hat in seinen Büchern ganz klar gesagt, dass man den liberalen Westen, die westliche „Dekadenz“ bekämpfen müsse. Auch rechtsradikale Bewegungen wurden von Putin ganz offen unterstützt, um die europäischen Gesellschaften zu spalten. Und das geht ja zum Teil auch auf. Eine weitere Bedrohung ist natürlich China. Das ist jetzt nicht mehr nur einfach ein Wettbewerber unter anderen, sondern eine immer militanter gewordene digitale Diktatur. Die Gewissheit nach 1989, dass sich unser westliches Modell liberaler Demokratie und Marktwirtschaft einfach automatisch in der Welt verbreiten und durch seine Überlegenheit überall siegen würde, gilt also nicht mehr.

Andererseits haben wir natürlich auch Krisen innerhalb unserer westlichen Gesellschaften, die nicht nur durch Putin ausgelöst wurden. Etwa jene im Zuge der digitalen Revolution, die Millionen Arbeitsplätze freisetzen könnte. Oder die Spaltung von Stadt und Land. Die politische Klasse hat viel zu spät erkannt, was da auf uns zukommt.

DIE FURCHE: Nämlich was?
Ackermann: Dass die klassischen sozialen, religiösen oder beruflichen Bindungskräfte an die alten Volksparteien überhaupt nicht mehr funktionieren. Überall sind die Wechselwähler die größte Wählergruppe geworden. Und all diese Umwälzungen und Krisen – Finanzkrise, Migrationskrise, Wachstumskrise, Corona, Inflation, Klimakrise – haben dazu geführt, dass kaum noch Zukunftsoptimismus zu finden ist, sondern viele Angst haben: um ihren Arbeitsplatz, aber auch um ihren bisherigen Lebensalltag. In solchen Zeiten haben dann populistische Führer – egal ob auf linker oder rechter Seite – Hochkonjunktur. Die rechte und die linke Seite werden also stärker – und die Mitte schwächer.

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