Ums tiefere Gesicht des Islam

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Der Verkehr ist überall. Auf der Galatabrücke drängen sich Autos, Straßenbahnen und Fußgänger, und unter der Brücke sind unzählige kleine und größere Fährboote und Fischerboote unterwegs: Istanbul ist eine Megacity von rund 17 Millionen Einwohnern mit hoher Mobilität, das merkt man auf dieser Brücke zwischen Asien und Europa deutlich. Von hier aus sieht man auch den Galataturm, doch ein paar hundert Meter weiter ist der Turm im steil ansteigenden Häuser- und Dächermeer der Altstadt wieder verschwunden. Enge, steile Gassen mit restaurierungsbedürftigen Häusern, die einst genuesischen und venezianischen Kaufleuten gehörten, führen zu einer elegant geschwungenen Doppelstiege.

Hält man auf den letzten Stufen inne, erhebt sich in der nächsten, reichlich schmalen Quergasse ein großes hell getünchtes Gebäude, besser ein ganzer Häuserblock, dessen offizieller Charakter von beiläufigen Videokameras unterstrichen wird. Dies ist das österreichische St. Georgs-Kolleg mit dem angeschlossenen Spital - und an der nächsten Ecke flattert eine rotweißrote Fahne wie zum Beweis dafür. Die Jugendlichen, die gerade ihre Pause genießen, unterscheiden sich im Aussehen nicht von ihren Alterskollegen in Österreich. Die rund 550 Oberstufen-Schüler werden von 42 österreichischen und 25 türkischen Lehrerinnen und Lehrern unterrichtet. Sie können mit der türkischen und der österreichischen Matura abschließen.

St. Georgs-Kolleg: Ordensschule seit 1889

Etwa Niyazi Serdar Sarıçiftçi, Wittgenstein-Preisträger 2012 und Professor an der Kepler-Universität Linz oder die Nationalratsabgeordnete Alev Korun sind hier in die Schule gegangen. "Die Schüler kommen, weil wir eine gute Schule sind, nicht weil wir christlich sind.“ Und: "Die Schule ist ein wichtiger Ort der Begegnung, gerade weil in allen Bereichen Trennungen aufgebaut werden und man sich gegeneinander abschirmt“, sagt Rektor Franz Kangler. Das sieht auch der österreichische Staat so, der die österreichischen Lehrer subventioniert.

Das St. Georgs-Kolleg wird seit 1889 vom österreichischen Zweig des Lazaristenordens geführt, zunächst als Schule für deutschsprachige Kinder. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches wurde die Schule geschlossen, konnte aber durch den Vertrag von Lausanne 1923 wieder geöffnet werden, erzählt Superior Franz Kangler. Er lebt seit 1977 in Istanbul, zuerst als Lehrer, dann bis 2010 als Direktor und heute als Superior des St. Georgs-Kollegs. Die politischen und ökonomischen Veränderungen der Türkei in den letzten 35 Jahren hat er aus der Nähe miterlebt - die Straßenkämpfe Ende der 1970er-Jahre zwischen extremen Linken und extremen Rechten, bei denen es täglich Tote gab, den Militärputsch Anfang der 1980er-Jahre, die darauf folgenden Veränderungen, die in den 1990er-Jahren zum Aufstieg der islamistischen Wohlstandspartei führten.

In der strikt säkularen und modernen Ordnung, die Kemal Atatürk der Türkei verpasst hatte, war Religion Privatsache. Unter der AKP-Regierung wird nun wieder die Frage nach der Stellung von Religion im öffentlichen Raum gestellt, sagt Franz Kangler. Begonnen hat diese Entwicklung schon 1982, als unter der Militärdiktatur "Religion und Ethik“ als schulisches Pflicht-Fach in der Verfassung verankert wurde. Im St. Georgs-Kolleg achtet man sehr auf die Qualität der Lehrer für den obligatorischen Religions- und Ethik-Unterricht, und die Schule bietet einen sehr guten Philosophie-Unterricht an. Die Schüler des St. Georgs-Kollegs sollen eine gute Basis für die Auseinandersetzung über weltanschauliche Fragen bekommen. An den Demonstrationen im Gezi-Park haben auch Schüler des St. Georgs-Kolleg teilgenommen, die Schule selbst hat aber nicht Stellung bezogen, betont Rektor Kangler. Die jungen Leute, die da demonstrierten, gehören zu einer Zivilgesellschaft, die erst unter der AKP-Regierung entstehen konnte. Ihnen ist kaum bewusst, dass noch vor 20, 25 Jahren solche Demonstrationen unmöglich gewesen wären, meint Kangler.

Die christlichen Minderheiten in der Türkei sehen in der Regierung Erdog ˘an ein Hoffnungspotenzial, sagt Rektor Kangler. Erfüllt hat sich das bisher freilich nur teilweise, auch wenn die AKP für Religionsthemen offener ist. Den christlichen Minderheiten wurden erstmals Rechte zugestanden - etwa wurde Land, das zum orthodoxen Priesterseminar Halki gehört, zurückgegeben. Die Gerüchte über eine Wiedereröffnung des 1971 geschlossenen, für das Überleben der griechisch-orthodoxen Kirche in der Türkei wichtigen Seminars haben sich jedoch bis jetzt nicht bewahrheitet. Im Landkonflikt um das syrisch-orthodoxe Kloster Mar Gabriel im Osten der Türkei gab es Enteignungen von traditionellem Klosterland per Gerichtsbeschluss. Vor Gericht wird auch ausgefochten, ob aus der Hagia Sophia Kirche von Trabzon, die seit den 1920er-Jahren ein Museum ist, eine Moschee werden soll oder nicht.

Das Christlich-Muslimische Forum

Im St. Georgs-Kollegs gibt es - wie im Schulgesetz bestimmt - weder christlichen Religionsunterricht noch islamisch-christlichen Dialog auf schulischer Basis. Doch das Christlich-Muslimische Forum der österreichischen St. Georgs-Gemeinde, also der "Pfarre“, bietet eine Plattform für den Dialog. Gegründet wurde das Forum 2003 von Elisabeth Dörler vom "Werk der Frohbotinnen“ in Vorarlberg. Projektleiterin ist seit 2011 die junge Theologin Katharina Zimmerbauer. Interessierte Gruppen, aber auch Einzelpersonen aus Österreich, Deutschland oder der Schweiz, die den Islam vor Ort besser kennenlernen wollen, bekommen hier qualifizierte Begleitung. "Je weniger man voneinander weiß, desto mehr Angst hat man“, sagt Zimmerbauer: "Es ist sehr bequem, auf Ängsten auszuruhen, weil man dann nicht aufeinander zugehen muss“.

Anfangs sehen Gäste oft nur die negativen Seiten der Megacity. Doch Istanbul "wirkt von selbst und die Menschen, die hier leben“, so Zimmerbauer. Wenn Menschen erstmals eine Moschee betreten, die Schönheit des Raumes erleben, die ins Gebet Versunkenen sehen, dann wird das tiefere Gesicht des Islam sichtbar, das nie den Weg in die Nachrichten schafft. Davon erzählt auch das St. Georgsblatt, die "Pfarrzeitung“, die übers Internet abrufbar ist. Brücken bauen ist eben die Aufgabe, wie Rektor Kangler sagt.

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