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Die Irritationen durch Le Pens Wahlerfolg sind noch deutlich spürbar, da schockt der Mord an Pim Fortuyn die Europäer.

Dieses Europa taumelt hilflos dahin. Wäre das Währungssystem der Union nicht mittels Euro festgezurrt, man sähe wenig Gemeinsames. Unvorstellbar, dass man sich derzeit auf ein solches Projekt mit derart weitreichenden Folgen wie eine Währungsunion einigen könnte. Schröder, Berlusconi, Bossi, Chirac, Blair, Riess-Passer - allesamt Sonntagsreden-Europäer, bestenfalls. Zum Teil sind auch die jeweiligen Alternativen nicht wirklich berauschend, siehe Stoiber, von den britischen Konservativen ganz zu schweigen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen die beiden Ereignisse, die zuletzt Europa in Beschlag genommen haben, wie - gewiss unterschiedliche - Feuerzeichen an der Wand: Le Pens Triumph, in die Stichwahl um das Präsidentenamt zu kommen und der Mord am schillernden niederländischen Polit-Star Pim Fortuyn. Beide, Le Pen wie Fortuyn, werden gemeinhin unter der Rubrik "Europas Rechtspopulisten" abgehandelt. Die Themen, mit denen sie punkteten, sind ihnen wie auch den anderen dieser Gruppe zuordenbaren Akteuren gemeinsam: Immigration, Kriminalität und alles, was sich darum herum rankt.

Den Klügeren, Nachdenklicheren unter ihren Kritikern, ist längst klar, dass moralische Empörung und zur Schau gestellte "Anständigkeit" als Gegenrezepte wenig taugen, unter Umständen gar kontraproduktiv sein können: Sie vertiefen die Kluft zwischen den Eliten und jenen, die sich von den Rechtspopulisten besser verstanden glauben, als von den Traditionsparteien. Die Besonneren wissen, dass Le Pen, Fortuyn, Bossi, Haider & Co. Symptome der Krise sind und dass diese Krise - nicht die Symptome - die eigentliche, substanzielle Gefahr für Demokratie, Rechtsstaat, auch für das Vorankommen der europäischen Integration ist.

Davon abgesehen unterscheiden sich die Rechtspopulisten untereinander natürlich ebenso wie Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberale je nach politischer Kultur eines Landes: In den Niederlanden etwa sind sogar die Ausländerfeinde unkonventioneller, "liberaler" als anderswo: Pim Fortuyn ließ Le Pen, aber auch schon Haider alt aussehen. Während Le Pen intellektueller Umtriebe ziemlich unverdächtig ist, vermochte der Soziologieprofessor auch auf dieser Klaviatur zu spielen: Was die radikal ablehnende Haltung gegenüber dem Islam angeht, ist es von Michel Houellebecq zu Pim Fortuyn nicht weit. Wäre Houellebecq Politiker geworden oder Fortuyn Buchautor geblieben, redeten sie noch ähnlicher.

Und jetzt? Wie weiter? Die Frage stellt sich für die Niederlande ebenso wie für Frankreich, letztlich für den ganzen Kontinent, diese "Gemeinschaft im Werden" (C. Gaspari im Dossier dieser Ausgabe, Seite 13-17). Empörung, Wut, Enttäuschung, Abscheu waren die Reaktionen nach Le Pens Wahlerfolg, nach den Schüssen von Hilversum haben die gleichen Gefühle nocheinmal eine ganz andere Dimension: Wer den niederländischen Premier Wim Kok im Fernsehen sah, spürte: Der Schock ist echt. Aus guten Gründen: Politische Attentate sind unheilvolle Anzeichen ersten Ranges, allein der Verdacht, der Anschlag auf Fortuyn könnte politisch motiviert gewesen sein, muss die Alarmglocken schrillen lassen.

Die spontane Bestürzung verdeckt freilich die tiefer liegenden Probleme nur ebenso kurzfristig wie das hohle Pathos Jacques Chiracs und seiner europäischen Freunde, die in seinem Sieg über Le Pen allen Ernstes einen Triumph der "europäischen Werte" erkennen wollen. Wenn diese "Werte" gerade einmal dazu reichen, dass die Le Pens nicht Staatsoberhäupter oder Regierungschefs werden dürfen, dann gute Nacht, Europa.

Heiner Geißler, CDU-Querdenker, vermochte denn auch in der letzten Betrifft-Sendung des ORF zur Frage "Wohin steuert Europa?" keine rechte Genugtuung über Chiracs Wahlsieg empfinden: Politiker vom Schlage Le Pens würden weiter Auftrieb erhalten, solange die Rahmenbedingungen für deren Erfolg aufrecht blieben. Geißler weitergedacht, heißt dies: Solange die politischen Eliten zwischen Abgehobenheit und populistischer Anbiederung schwanken, solange Politiker vor den Industrievertretern anders reden als vor den Bauern, vor Wissenschaftlern und Intellektuellen anders als vor der Belegschaft eines Unternehmens, vor der je eigenen Stammklientel anders als in der "großen Öffentlichkeit", vor Wahlen anders als nachher, in Brüssel anders als daheim.

Und jetzt? Jetzt müssten eigentlich alle mit vereinten Kräften die Arbeit des Europäischen Konvents unterstützen, ihre Zielvorstellungen über die künftige Gestalt der Union auf den Tisch legen, für die eigenen Überzeugungen werben - bei Gesinnungsgenossen wie bei Gegnern, auf der innenpolitischen wie der Europa-Bühne. Dazu gehörte auch, über unumgängliche wenngleich schmerzliche Reformen zu reden - und dabei auch die zu benennen, die diese Reformen treffen. Eine der gröbsten Unsitten besteht ja darin, ständig von Kosten zu sprechen, die zu zahlen seien, ohne zu sagen, wer konkret dafür aufzukommen hätte.

So ungefähr müsste eine europapolitische Agenda aussehen. Mit den Chancen auf Umsetzung steht es freilich nicht zum Besten - in Wahljahren zumal.

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