6553573-1948_09_04.jpg
Digital In Arbeit

Unerfreuliche Reste

Werbung
Werbung
Werbung

Laut § 1 des Verfassungsgesetzes vom 1. Mai 1945 beschloß die damalige provisorische Bundesregierung, daß alle nah dem 13. März 1938 erlassenen Gesetze und Verordnungen, die mit den Grundsätzen einer echten Demokratie unvereinbar sind, dem Rechtsempfinden des österreichischen. Volkes widersprechen oder typisches Gedankengut des Nationalsozialismus enthalten, aufgehoben werden. Dabei wurde gleichzeitig dem Gesetzgeber Vorbehalten, mittels Kundmachung festzustallen, welche Rechtsvorschriften im Sinne dieser Bestimmung als aufgehoben zu gelten haben.

Auf Grund dieses Verfassungsgesetzes wurde dann in der Folge eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen aus dem österreichischen Rechte ausgemerzt, die schon nach ihrem Wortlaut offenkundig als nationalsozialistisches Gedankengut erkennbar waren. So wurde zum Beispiel § 1 des Steueranpassungsgesetzes beseitigt, daß „Steuergesetze“ nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen seien, oder 5 2 desselben Gesetzes, wonach Fragen der Billigkeit und der Zweckmäßigkeit nach nationalsozialistischer Weltanschauung zu beurteilen sind.

Nicht so restlos griff dagegen der österreichische Gesetzgeber in allen jenen Fällen durch, wo es nicht so offen zutage lag, daß es sich um nationalsozialistisches Gedankengut handelt. Diesem Umstand verdankt beispielsweise das Reichsleistungsgesetz sein Weiterbestehen im neuen Staat, obschon das Reich selbst, für das die Leistung nach dem Willen des seinerzeitigen Gesetzgebers zu erbringen ist, bereits seit 1945 zu bestebeh aufgehör' hat. Nach diesem Gesetz kann,- im strikten Widerspruch -zu Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, alles und jeder enteignet werden. Es ist ein Gesetz, das nur aus dem Prinzip des Führerstaates verständlich ist und jeder demokratischen Staatsauffassung Hohn spricht. In zahlreichen Erkenntnissen hat daher auch bereits der österreichische Ver- waltungsgerichtshof mit Recht gegen die auch nach 1945 vielfach noch beliebte und weitgehende Anwendung des Reichsleisumgs- gesetzes entschieden Stellung genommen.

Ein anderes Beispiel bietet das in Österreich heute noch geltende Steuerverfahren, dessen Grundgesetz, die Reichsabgabenordnung, einer geistigen Welt entstammt, die sowohl zur österreichischen Tradition als auch zur Idee der modernen Demokratie im schärfsten Widerspruch steht. Der Ursprung dieses Gesetzes reicht nodi in die Zeit des straff zentralisierten preußischen Beamtenstaates der Hohenzollern zurück, in dem die Staatsmacht alles und der einzelne Staatsbürger nichts galt. Der Nationalsozialismus hat dann dieses System in seinem maßlosen Streben nach absolutem Totalitarismus noch wesentlich übersteigert. So wurde schließlich der Finanzverwaltung ein Übermaß an Rechten gegenüber dem Steuerpflichtigen ringeräumt; dieser war in vielen Fällen von Haus aus rechtlos, denn das „freie Ermessen“, die einseitigen „Schätzungen" C und die Praktiken der „Betriebsprüfung“ bedeuteten eine Methode, die nicht selten mehr Ähnlichkeit mit einer kriminalpolizeilichcn Inquisition als mit einem verwaltungsrechtlichen Verfahren harte.

Ein solcher Geist war dem alten österreichischen Steuerrecht gänzlich fremd gewesen. Dieses hatte ein Steuerverfahren ausgebildet, das ohne Zweifel als demokratisch angesprochen werden muß; es räumte den Steuerpflichtigen selbst in dem Institut der „Schätzungskommission“ ein gewisses Mitwirkungsrecht ein, wie es bei einem demokratischen Staat selbstverständlich ist. Denn Demokratie heißt „Mitreden- und Mitregierendürfen“. Diesem

Geiste gesunder Demokratie widerspricht das uns aus der Zeit der Hitlerherrschaft verbliebene Steuers-erfahren.

fr

Reste nationalsozialistischen Gedankengutes haben sich nicht nur im öffentlichen Recht, sondern vereinzelt a u c h. i m Privatrecht noch erhalten. Hier allerdings in weitaus geringerem Maße deshalb, weil unsere Privatrechtsordnung in den Jahren 1938 bis 1945 den verhältnismäßig geringsten Änderungen unterworfen wurde. Nur ein Teilgebiet wurde einer grundlegenden Veränderung unterzogen: das Eherecht durch die Einführung des reichseinheitlidien Ehegesetzes vom 6. Juli 1938.

Seit 1945 wurden zwar jene Gesetzesstellen beseitigt, die — wie zum Beispiel §§ 4, 5, 53 und 38 — infolge ihres engen Zusammenhanges mit den Rassen- und Erbgesundheitsgeserzen des Dritten Reiches schon auf den ersten Blick als typisch nationalsozialistisch erkennbar waren. Sonderbarerweise blieb uns dagegen § 5 5 des Ehegesetzes erhalten, obschon gerade diese Gesetzesstelle nur aus der nationalsozialistischen Weltanschauung verständlich ist. Sie räumt jedem Ehegatten das Recht ein, die Scheidung der Ehe zu begehren, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit drei Jahren aufgehoben und infolge einer tiefgreifenden unheilbaren Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist.

ELardi diese Bestimmung wurde der Grundsatz, daß nur der schuldlose Eheteil die Scheidung der Ehe verlangen könne, der bis dahin sowohl das österreichische als auch das reichsdeutsche Eherecht beherrscht hatte, durchbrochen. Neben das Verschuldensprinzip, das heißt den Leitsatz, daß lediglich das Verschulden des einen Ehetrils den anderen zur Geltendmachung des Scheidungsbegehrens berechtige, trat das sogenannte „Zerrüttungsprinzip“, das auf dem Gedanken beruhte, daß eine zerrüttete Ehe nicht aufrechterhalten werden soll, 4?enn „eine dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft“ nicht mehr zu erwarten ist. Es räumte bewußt auch dem an der ehelichen Zerrüttung ausschließlich schuldigen Eheteil das Recht rin, die Scheidung der Ehe zu begehren, und schenkte dem Widerspruch des schuldlosen Ehepartners keine Beachtung, „wenn die Aufrechterhaltung der Ehe bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe und des gesamten Verhaltens beider Ehegatten sittlich nicht gerechtfertigt ist“. Nach nationalsozialistischer Ideologie war jedoch eine Ehe bereits dann sittlich nicht gerechtfertigt, wenn eine Nachkommenschaft aus der ehelichen Verbindung nicht mehr zu erwarten war

Interessanterweise wurde selbst im nationalsozialistischen Deutschland bei der Neuschaffung des Eherechts das Zerrüttungsprinzip erst nach längeren Kämpfen in das neue Gesetz aufgenommen. So hat noch das deutsche Justizministerium in einem im Jahre 1937 vorgelegten F.hegesetzentwurf an dem Verschuldensgrundsatz festgehalten und es ist vornehmlich der publizistischen Tätigkeit eines Kreises radikaler nationalsozialistischer Rechtslehrer, die ich an der

Universität Kiel um den nationalsozialisti- Staatsrechtler Carl Schmitt geschart hatten, zuzuschreiben, daß in der schließ- lichen Fassung zum Teil auch das Zerrüttungsprinzip Eingang fand.

In der Praxis bot und bietet nun § 55 des Ehegesetzes insbesondere dem Ehemann eine bequeme Handhabe, von seiner vielleicht schon älteren, ihm nicht mehr passenden Frau löszukommen und eine andere Verbindung einzugeben. Der sittlich gerechtfertigte Widerspruch der schuldlosen Ehegattin kann einfach mit dem Bemerken beiseitegeschoben werden, daß bei dem offen zutage liegenden Verhalten des Klägers ,,di Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht zu erwarten ist“. Eine solche Rechtsgestaltung führt zu gänzlich unsittlichen Ergebnissen. Das Oberlandesgericht Wien sprach es im Jahre 1946 in einer Entscheidung offen aus. — § 55 verleiht dem Kläger auf Ungültigkeitserklärung seiner Ehe direkt eine Prämie für ehewidriges Verhalten!

Bei fieser Sachlage Ist es begreiflich, daß sich unsere höchsten Gerichte in den letzten Jahren wiederholt mit dem § 55 befaßten und diesen dabei einer Kritik unterzogen, die für den Gesetzgeber des Jahres 1938 wenig schmeichelhaft ist.

So sprach der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 21. Juni 1947 (Evidenzblatt Nr. 445/47), die Auffassung aus, der § 55 müsse mit der in Österreich bodenständigen und in sittlichen Anschauungen verwurzelten Auffassung in Einklang gebracht werden, wo nach die eigentliche Aufgabe der Ehe und ihr höherer Sinn in der seelischen Bindung der Gatten aneinander und in der damit übernommenen Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand zu erblicken ist. Es erscheint dann die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich solange gerechtfertigt, als sie diesen Zweck erfüllen kann, das heißt solange der beklagte Gatte trotz der Zerrüttung der Ehe des Beistandes bedarf und sich audi seinerseits Zu einer solchen Beištandsver- pfiiditung bekennt. Weil das Wesen der ehelichen Gemeinschaft in sittlichen Bindungen liegt, die auch bei Wegfall der äußeren Gemeinsdiaftsmomente fortbestehen können, ist daran festzuhalten, daß die Beaeht- üchkeit des Widerspruches des schuldlosen Beklagten den Regelfall zu bilden bat.

In gleicher Weise entschied das Oberlandesgericht Wien in seinem Erkenntnis vom 11. Oktober 1946 (Evidenzblatt Nr. 6/47), daß bevölkerungspolitische Erwägungen, welche seinerzeit die Rechtsprechung des Reichsgerichtes beherrscht hatten, heute nicht mehr am Platze sind, weil die derzeitige Rechtsprechung der Ehe vor allem die ethischen und sittlichen Momente dieser Verbindung sieht. Von diesen Gesichtspunkten aüj ist in erster Linie das Recht der Beklagten, die aus der Ehe heraus gedrängt werden soll,

zu schützen, damit sie, d:e sich in dieser Ehe nichts zuschulden kommen ließ und durch 25 Jahre eine einwandfreie Gattin und Mutter war, nicht in die unbillige, familienrechtlich gefährdete Stellung einer geschiedenen Frau gedrängt wird, dies nur deshalb, weil der Kläger zufolge seiner Beziehungen zu einer anderen Frau die Ehe zum Scheitern gebracht hat.

Auf ähnliche Erwägungen gründet ach die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 22. Jänner 1946 (Evidenzblatt Nr. 62/46):

Nach 25;ähriger Ehe hat die Beklagte einen wohlbcgründetcn Anspruch auf S che- rung ihres Lebensabends, der durch die Bindung des Mannes an sein feierliches Versprechen zu unzertrennlicher Ehegemeinschaft! (§ 44 A3GB), das er nicht nach Willkür und einseitig zu brechen berechtigt ist, gewährleistet sein muß, auch wenn die Gemeinschaft selbst nidit mehr von innen her lebendig ist. Die Bindungen einer so bedeutsamen Gemein- sdiaft, wie es die Ehe ist. sind immer dann aufrechtzuhalten, wenn die Billigkeit des Auflcsungsbegehrens den sittlichen Grundlagen der Ehe und der natürlichen Auffassung des Wesens der Ehe widersprechen würde.

Das vernichtendste Urteil über § 55 Ehegesetz fällte das Oberlandesgericht Wien aber wohl in seiner Entscheidung vom 17. Jänner 1946 (Evldenzblatt Nr. 55/46), in der es unter anderem heißt: Das Institut der Ehe wird heute nidit mehr in erster Linie als eine der Fortpflanzung dienende Einrichtung aufgefaßt; es müssen vielmehr neben den Interessen der Beteiligten vor allem die allgemeinen Grundanschauungen von Moral und Sitte in Betracht gezogen werden. Diesen Anschauungen aber widerspricht es, dem sdiuldigen Ehegatten, der durch sein Verhaken bloß darum, weil ihm eine andere Frau besser gefällt, die Ehe zum Scheitern gebracht hat, die Lösung dieser Ehe zu gestatten, in der sich die Ehefrau tadellos bewährt hat und stets ihren Pfliditen nadv- gekommen ist.

Diesem Urteil schloß sich der Oberste Gerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. April 1946 (Evidenzblatt Nr. 230/46), an.

In diesen Entscheidungen sprechen unsere obersten Gerichte mit aller Klarheit aus, daß das den § 55 Ehegesetz beherrschende Prinzip mit unseren Grundsätzen von Sitte und Moral unvereinbar ist. Tatsächlich bildet dieser Paragraph in seiner derzeitigen Fassung eine schwere Gefährdung des Familienlebens, so daß eine längere Duldung dieser mit unserer Rechts- und Moralauffassung unvereinbaren Gesetzesbestimmung nicht länger verantwortet werden kann.

Es ist hohe Zeit, daß der Gesetzgeber heute, drei Jahre nach Beseitigung der Hitlerherrschaft, endüdi darangeht, die schädlichsten Überreste nationalsozialistischer Rechtsauffassung zu beseitigen. Ein längeres Säumen kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß auf diesem oder jenem Gebiet ohnedies eine umfassende Neukodifikation geplant werde.

Es ist ein unwürdiges Schauspiel, daß der Gesetzgeber in Untätigkeit verharrt, wenn der Verwaltungsgericlitsh d immer wieder die Anwendung bestimmter Ver- waltiir.gsbestimniungen schärfstens verurteilt oder der Oberste Gerichtshof einen Paragraphen des Ehegesetzes als mit Recht und Sitte für unvereinbar erklärt. Die obersten Gerichtshöfe sind berufen, da's lebendige Gewissen des Rechtslebens zu sein. Ihre Erkenntnisse in so ernsten Dingen sind eine entscheidende Mahnung an den Gesetzgeber, Gew'issenserforSchung zu halten und Gesetze zu erlassen, welche mit der rechtlichen und sittlichen Auffassung des Volkes in Einklang stehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung