Unerträgliche Leichtigkeit

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Trotz Alternativen koaliert der slowakische Wahlsieger Robert Fico mit der verrufenen Meciar-Partei und der rechtsextremen Ungarn-Hasser-Front. Ein Tabu-Bruch, der ihn die Gefolgschaft der EU-Sozialdemokraten kostet.

Wenige Stunden, bevor er die schallendste Ohrfeige seiner politischen Karriere hinnehmen musste, hat Robert Fico noch gestrahlt. Eben erst als Premier der Slowakischen Republik angelobt, verkündete der junge Hoffnungsträger der Linken mit dem stets etwas verkniffenen Lächeln, er habe die Beziehungen mit der europäischen Sozialisten-Fraktion voll "unter Kontrolle".

Der 41-jährige Jurist, der die Slowakei zwischen 1994 und 2000 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten hat, vertraute auf seine Kenntnis des Straßburger Betriebs, eilte am Tag nach der Angelobung zu seinen aufgebrachten Genossen nach Straßburg und versuchte sie davon zu überzeugen, dass er sein "sozialdemokratisches Programm nur mit den Koalitionspartnern durchsetzen" könne, die er sich ausgesucht hat - mit der verrufenen hzds des Expremiers Vladimír Meciar und der rechtsextremen sns des vulgären Säufers Ján Slota.

Gegen Ficos links-nationalistische Koalition brachte die Versammelten vor allem die Teilhabe der ins Parlament zurückgekehrten sns auf. Konfrontiert mit Slotas Aussage "Wir setzen uns in die Panzer und ebnen Budapest ein", konnte Fico die europäischen Sozialisten (pes) schwerlich von ihrer Ablehnung dieser "inakzeptablen" Koalition abbringen. Die deutschen, französischen und belgischen Mitgliedsparteien brachen den Kontakt zu Ficos Smer-Partei sofort ab, auf der gesamteuropäischen Ebene wurde - erstmals in der Geschichte der pes - die Suspendierung eines Mitglieds eingeleitet. Am Ende schlich sich Fico, der sich Journalisten ohnehin lieber mit stiernackiger Bodyguards fernhält, durch die Hintertür hinaus. Dass pes auf Slowakisch "Hund" bedeutet, brachte Fico geradezu zwangsläufig den Spott einer Karikatur ein, in welcher der pes-Hund über Smer das Bein hebt.

EU-Tabubruch in großer Eile

Der Mann mit dem steinernen Mienenspiel, für seine Humorlosigkeit gefürchtet, hat sich lange um Anerkennung im In-und Ausland bemüht und kann derartige Kritik kaum ertragen. Die slowakischen Medien stehen dem Verfechter eines "modernen Sozialstaats" mehrheitlich kritisch gegenüber, breiten genüsslich Ficos bourgeoisen Lebensstil aus und lichten ihn in seinem schwarzen Volvo-Offroader ab, wenn er "wie ein Verrückter durchs Zentrum von Bratislava rast". Anlässlich der wiederkehrenden Behauptungen, der verheiratete Familienvater betrüge seine Frau mit einer Fachkollegin, hat Fico doch so etwas wie Humor bewiesen: Er hat das Boulevardmagazin Plus 7 Dní geklagt und ausgerechnet die angebliche Geliebte mit der juristischen Vertretung betraut.

Der äußerst kontrolliert auftretende Fico hat seinen europäischen Tabubruch mit einer beinahe schon panikartigen Hast durchgezogen. Obwohl sich dem eindeutigen Wahlsieger alle fünf weiteren im Nationalrat vertretenen Parteien anboten, kündigte er bereits zehn Tage nach der Wahl eine Koalition mit seinen "natürlichen Partnern" sns und hzds an und rang seinen unterwürfigen Verbündeten sogleich einen ungünstigen Verteilungsschlüssel der Ministerposten ab. Dieser beträgt für Smer-sns-hzds 11:3:2, während er im 150 Abgeordnete umfassenden Nationalrat 50:20:15 ausmacht.

Kabinett ohne Meciar

Auf der Kabinettsliste, die über das Wochenende zusammengeschustert wurde, fehlen der gealterte Meciar und der Ungarnhasser Slota ebenso wie der Großteil von Smers Schattenkabinett. Zahlreich vertreten sind bis dato unbekannte und politikferne Technokraten wie der 35-jährige Finanzminister Ján Pociatek, bisher ein slowakischer Filialleiter von Telenor, den offenbar allein eine Geschäftsbeziehung mit Smer-Vize Robert Kalinák empfohlen hat - dem neuen Innenminister gehört eine kleine Kette von Luxusrestaurants. Der "Tatratiger" Slowakei sitzt seit November 2005 im Warteraum für den Euro. Ob sich der unerfahrene Pociatek genug Autorität erwerben kann, um die von ihm erklärte "Priorität" eines Euro-Beitritts 2009 durchzusetzen, ist fraglich. Fico lässt diesbezüglich immer noch klare Signale vermissen. Sollte er die versprochene Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel, Energie und Medikamente wirklich vollständig umsetzen, geriete der bisher solide Haushalt ins Wanken.

Dass Fico so ängstlich durch die Regierungsbildung gehastet ist, hat durchaus einen guten Grund: Sein Vorgänger Mikulás Dzurinda schnitt mit seiner sdkú, auf deren Konto der wirtschaftsliberale Reformtaumel der letzten Jahre geht, überraschend gut ab. Der begnadete Verhandler, der die Reformen nur mittels geschickten Einkaufs "unabhängiger" Abgeordneter durchbrachte, beriet bereits mit der Ungarnpartei smk über die Fortsetzung der rechten Reformregierung, die nur mit Meciars massiv geschrumpfter hzds ausreichend Mandate erreicht hätte. Dieser Variante der "Kontinuität" widersetzten sich allerdings Dzurindas vertraute Partner von der konservativ-katholischen kdh mit Verweis auf die von der Meciar-Regierung zwischen 1994-1998 begangenen und umgehend amnestierten Verbrechen.

Ficos Gespür für Mehrheiten

Dass Fico seine sozialdemokratische Ehre überhaupt verlieren konnte, ist nicht zuletzt Dzurindas Verdienst: Erst aufgrund der Unzufriedenheit mit den Reformen hat sich Fico zum Sozialdemokraten gewandelt. Dzurindas smarte Ökonomen haben nicht nur die berühmte neunzehnprozentige Flat-Tax und die Streichung diverser Immobilien-, Erb-und Dividendensteuern durchgedrückt, sondern auch die Sozialhilfe schlagartig auf die Hälfte gekürzt, Schlüsselbereiche der Volkswirtschaft und des Gesundheitssystems privatisiert sowie ein kapitalmarktgedecktes Pensionssystem eingeführt. Den dadurch ausgelösten Protest konnten zunächst weder die in Agonie befindlichen Kommunisten noch eine andere etablierte Partei kanalisieren. Das konnte nur Fico mit seinem untrüglichen Gespür für Mehrheiten, und im Handumdrehen trug seine Partei den Namen "Smer-Sozialdemokratie."

Fico war zwar - wie zwei Drittel seiner Minister auch - bis 1989 Mitglied der Kommunistischen Partei und saß ab 1992 für die postkommunistische sdl im Parlament, er hat aber 1999 mit der Gründung von Smer eine andere Richtung eingeschlagen - Smer bedeutet "Richtung". Er nahm kaum Mitglieder der bald darauf untergegangenen sdl in die Neugründung mit und besetzte auffällig viele Positionen mit Geschäftsleuten. Mehr auf die Mittelschicht als auf die Armen schielend, hantierte er zunächst mit Schlagworten wie "dritter Weg", "Ordnung und Gerechtigkeit" und bediente bei Bedarf auch Ressentiments gegen die Roma, die er mit absurd überzogenen Zahlen auf eine Million anwachsen sah, weil die "nur Kinder bekommen, um Einkünfte zu sammeln".

Das ideologisch ungreifbare Konstrukt, das zunächst als "Populismus der Mitte" einzuordnen war, hat dem jungen Langzeitpolitiker 2002 nur enttäuschende dreizehn Prozent eingebracht. Die Ironie der Ideengeschichte besteht darin, dass sich Fico damals noch für jene Flat-Tax ausgesprochen hat, zu deren größten Kritiker er sich nach ihrer Einführung aufschwang. Mittlerweile - die Wahl ist mit reichlich Sozialdemagogie gewonnen - ist Robert Fico schon wieder weiter, auch wenn er noch vage verspricht: "Die Ergebnisse des Wirtschaftswachstums werden jetzt gerechter verteilt."

Kein Rückfall in Isolation

Obwohl ihm seine Koalitionspartner keinerlei programmatische Vorgaben machen - Meciar sucht nur Schutz vor Strafverfolgung, Slota will nur keine Ungarn in der Regierung -, hat das bizarre Regierungstrio neuerdings gute Nachrichten für die Investoren. Die meisten Reformen werden wohl allenfalls modifiziert, etliche Wahlversprechen sind schon kassiert, die Flat-Tax bleibt vermutlich auch erhalten und wird voraussichtlich mit Absetzbeträgen etwas mehr in Richtung Progression ausgestaltet.

Dass Fico, Slota und Meciar sich mit einer solch unerträglichen Leichtigkeit verständigen konnten, hat letztlich kaum etwas mit Wirtschaftspolitik zu tun. In allen slowakischen Parteien herrscht ein pragmatischer, wirtschaftsfreundlicher Kurs vor, wofür verblüffenderweise gerade Ján Slota ein gutes Beispiel abgibt: Als langjähriger Bürgermeister der Autostadt ÇZilina hat der ausfällige Die-Slowakei-den-Slowaken-Rabauke so ziemlich jeden freien Quadratmeter gern auch an ausländische Investoren verscherbelt. Zuletzt ließ er sogar im einzigen Freibad der Stadt ein Stück der Liegewiese umwidmen.

Auch wenn dem eu-Mitglied Slowakei der Rückfall in die Isolation der Neunziger nicht mehr droht, sind die alten Trennlinien immer noch spürbar: Sie verlaufen weniger zwischen Links und Rechts als zwischen - wie man im Slowakischen sagt - "Standard" und "Nicht-Standard". Alle Umfragen zeigen, dass einander die Wähler von Smer, sns und hzds regional und mental jeweils am nächsten stehen und diese Parteien daher durchaus "natürliche Partner" abgeben. Auch wenn Robert Fico seinen kurzen Aufenthalt in der "standardisierten" Welt der europäischen Sozialisten sicherlich genossen hat, ist er einfach nur zu seinen Wurzeln zurückgekehrt - oder ungefähr in die Richtung.

Der Autor ist freier Journalist mit Wohnsitz in der Slowakei.

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