Unfriedliche, dunkle Wolke

Werbung
Werbung
Werbung

Nach Pekings offener Drohung an Taiwan hält die EU ihr Waffenembargo gegen China aufrecht. Und die Taiwanesen protestieren in seltener Einigkeit gegen die Bevormundung durch den großen Nachbarn.

Die europäische Gleichgültigkeit gegenüber dem Konflikt zwischen China und Taiwan, die durchaus apathische Züge zu tragen pflegte, ist mit dem 14. März aufgerüttelt worden. An diesem Tag beschloss der chinesische Volkskongress das Anti-Abspaltungsgesetz, das eine Invasion Taiwans legitimiert, sobald sich die Inselrepublik unabhängig erklärt. Der Status Quo beider Länder - unentwegtes Säbelrasseln trotz enger wirtschaftlichen Verflechtung - scheint dadurch gefährdet und bedroht die Stabilität des gesamten ostasiatischen Raumes.

Als erste Reaktion auf Chinas Drohung gegen Taiwan wird die eu die für Juni vorgesehene Aufhebung ihres Waffenembargos gegen China nach Angaben von Diplomaten verschieben. Die eu reagiert damit auf Bedenken der us-Regierung, die nach Chinas militärischer Drohung gegen Taiwan in einem Ende des Embargos ein falsches Signal sieht. Offen ist, ob die Aufhebung des Embargos nur um einige Wochen oder einen längeren Zeitraum ausgesetzt werden solle, sagten eu-Diplomaten am Montag in Washington. Fest steht aber, dass die Vorbereitungen dafür deutlich an Schwung verloren hätten. Das Embargo war 1989 nach der gewaltsamen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens verhängt worden.

Kein Signal des Vertrauens

Die - besonders von Frankreich und Deutschland forcierte - Aufhebung des Waffenembargos solle ein Signal des Vertrauens sein, dem das Anti-Abspaltungsgesetz aber entgegenwirke, sagte ein eu-Diplomat, der namentlich nicht genannt werden wollte, der Nachrichtenagentur Reuters. Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt stattdessen hart arbeiten, um einen Krieg zwischen China und Taiwan zu vermeiden. "Eine unfriedliche, dunkle Wolke liegt über der Taiwan-Straße, keiner von uns kann es sich leisten, nicht besorgt zu sein", sagte Taiwans Präsident Chen Shui-bian.

So sehr sich die internationale Gemeinschaft an die Annexionspläne Chinas gewöhnt hat und so unermüdlich Diplomaten seit Jahrzehnten beide Regierungen ermahnen, vom Status Quo um keinen Schritt abzuweichen, mag es dennoch verwundern, wieso China seinen wichtigen wirtschaftlichen Partner Taiwan bedroht. 450 Kurzstreckenraketen sind stationiert und jederzeit einsatzbereit, um die Insel, die in den letzten Jahren die Rekordsumme von 100 Milliarden Dollar an Direktinvestitionen nach China hat fließen lassen, einzuäschern.

Unsinkbarer Flugzeugträger

Klar erscheint die Debatte, sobald man sich die strategische Bedeutung vor Augen hält, die Taiwan für China haben könnte. Einem enormen Flugzeugträger gleich hält es momentan zusammen mit Südkorea und Japan das militärische Gleichgewicht in Ostasien, an dessen Spitze die Vereinigten Staaten stehen. Deshalb wundert es nicht, dass us-Außenministerin Condoleezza Rice am Montag zum Abschluss ihrer Asienreise in Peking warnte: Eine Aufrüstung Chinas könne das militärische Gleichgewicht in Asien verändern und damit die Sicherheitsinteressen der usa in der Region beeinträchtigen. Bereits in der Vergangenheit hatten us-Abgeordnete damit gedroht, Handelsstrafen gegen europäische Firmen zu verhängen, wenn die 25 eu-Länder ihren Plan durchsetzen und das Embargo aufheben.

US-Flotte als Wachhund

Ungeachtet aller chinesischen Bekenntnisse zum "friedlichen Aufstieg" führt die bei der japanischen Insel Okinawa liegende Siebte us-Flotte ihre regelmäßigen, maßregelnden Manöver in der Taiwan-Straße durch - zuletzt 1996, als die taiwanesischen Präsidentschaftswahlen von so genannten Militärübungen chinesischer Seite begleitet wurden und Raketen wenige hundert Kilometer vor Taiwan einschlugen. Dies verängstigte nicht nur so manchen Fischer, der gerade seine Netze auslegte, sondern die gesamte taiwanesische Öffentlichkeit, die bereits mit einem Kriegsbeginn rechnete.

Rückendeckung für Taiwan

Würde die Insel an die Volksrepublik angegliedert, so brächte dies den Vereinigten Staaten nicht nur den Verlust eines Verbündeten, sondern die gesamte Destabilisierung der Region, denn Taiwan ist der strategische Schlüssel für Südostasien. Aber auch die Regierung in Taipeh erahnt die Bedeutung ihres Inselstaates für künftige weltpolitische Konflikte. So wettert Präsident Chen Shui-bian im staatlichen Fernsehen gegen ein Peking, das "zuwider die internationale Tendenz handelt, solche Debatten über diplomatische Gespräche zu regeln". Chen Shui-bian rechnet fest mit Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft, "die eine solche Vorgehensweise einfach nicht akzeptieren darf".

Sonnenschein-Diplomatie

Für die taiwanesische Politik stellt sich aber die grundsätzliche Frage: Nach den vielen Zugeständnissen, die man China gemacht hat (Visa für chinesische Geschäftsmänner, Direktflüge), scheint eine vorsichtige Diplomatie zur Besänftigung des großen Drachens kaum Früchte zu tragen. Hinter dem vom Volkskongress mit tosendem Applaus bestätigten Anti-Abspaltungsgesetz steckt aber noch ein andere chinesische Strategie: Peking plant mit seinem Gesetzesbeschluss, die Parteienlandschaft der Insel noch mehr zu zersplittern als dies ohnehin schon der Fall ist. Doch dieser Plan scheint zu misslingen, ja kontraproduktiv zu sein. Die Frustration über die chinesische Drohung ruft eine vorher undenkbare, parteienübergreifende Einigkeit in Taiwan hervor: Der amtierende Präsident sowie sein Amtsvorgänger, Rivalen diametral entgegengesetzter Lager, rufen gemeinsam zum Protest auf. Das gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen in Taiwan gerichtete chinesische Anti-Abspaltungsgesetz entfremde die Inselbewohner noch weiter von der Volksrepublik, lautet die parteiübergreifende Losung und China habe kein Recht, über Taiwans politische Zukunft zu entscheiden. Die seltene innenpolitische Eintracht wird bei der am kommenden Samstag, 26. März, stattfindenden Massendemonstration mit Sicherheit mehr als eine Million Taiwanesen auf die Straße locken.

Eine Million auf der Straße

Dies verwundert umso mehr, bedenkt man, dass die taiwanesische Bevölkerung seit über fünf Jahrzehnten Kriegsdrohungen gewohnt ist und daher chinesisches Säbelrasseln oft nur mit einem matten Gähnen verfolgt. "Die machen doch eh nichts!", meint in diesem Sinn Student Jiang Yueliang in Taipeh. In dieser Sicherheit wiegte sich auch bislang die taiwanesische Mittelklasse - und sorgte sich mehr um ihren Wohlstand als um die Drohungen des großen Nachbarn auf dem Festland. Diese Einstellung gerät jetzt ins Wanken: "Die Zukunft Taiwans soll von seinen 23 Millionen Einwohnern bestimmt werden, nicht von den 2000 Mitgliedern des chinesischen Volkskongresses", gibt Chen Shui-bian via staatliches Fernsehen die Parole an seine Mitbürger aus, die langsam begreifen, was für sie auf dem Spiel steht.

Die Angst vor dem chinesischen Plan "Ein Land-zwei Systeme" wächst. Den Taiwanesen erscheint es als ein Zynismus, wenn China zu jedem Anlass verkündet, man solle sich doch dem erfolgreichen Hongkonger Konzept fügen. Denn die Hongkonger Nachrichten, die Taiwan erreichen, verheißen nicht viel Gutes: eine Marionette Pekings an der Staatsspitze und zunehmend Restriktionen in allen Bereichen.

Der Autor ist Sinologie-Student in Taipeh.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung