Ungarns Stasi-Spitzel

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István Szabó hat bespitzelt und Paul Lendvai wurde bespitzelt. So wie Karl Pfeifer, der Einsicht in seine ungarische Geheimdienstakte genommen hat.

Paul Lendvai , Chefredakteur der Zeitschrift Europäische Rundschau und ehemaliger Intendant von Radio Österreich International outete unlängst ungarische Journalisten, die ihn als Mitarbeiter des ungarischen Geheimdienstes iii/iii bespitzelt hatten; und vom Filmregisseur und Oscar-Preisträger István Szabó wurde bekannt, dass er Spitzeldienste leistete. Als Student der Theater-und Filmhochschule verfasste Szabó von 1957 bis 1963 unter dem Decknamen "Endre Kepesi" mindestens 48 Spitzelberichte über Professoren und Studienkollegen. Die Diskussion über die Rolle der ungarischen Stasi wird in Ungarn mit ungewöhnlicher Schärfe geführt. Immer wieder wird auch gefordert, endlich die Spitzelberichte aus den Glaubensgemeinschaften offenzulegen. Zwar unterschieden sich die Methoden der iii/iii nicht wesentlich von denen der Stasi, doch während die ddr sich stolz zu den Traditionen der Tscheka bekannte, betrieb die ungarische Führung ein geschicktes Spiel, in dem sie die Rolle des guten Polizisten spielte und der iii/iii die Rolle des bösen zuwies. Viele Medien fielen und fallen darauf bis heute herein.

Anders als in Deutschland musste man jahrelang den Zugang zu den eigenen Akten urgieren, um wenigstens einen Teil davon zu erhalten. In der Zeit von 1998 bis 2005 erhielt ich ungefähr 100 iii/iii-Berichte über meine journalistische Tätigkeit in Ungarn während des Jahrzehnts 1979-1989. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass iii/iii mir unbeabsichtigt half, spät in meinem Leben meinen Beruf zu wechseln und Journalist zu werden.

Keine "lustigste Baracke"

Alles begann, als ich im Frühjahr 1979 in einem wissenschaftlichen Institut in Budapest zu tun hatte und zufällig dort Tamás Földvári kennen lernte. Er gehörte einer Gruppe kritischer Intellektueller an, die aufzeigten, dass das Bild Ungarns im Westen reichlich geschönt war. Zwar genossen Ungarn die relative Freizügigkeit in puncto Auslandsreisen und das rege geistige Leben, die sogenannten "Errungenschaften der Revolution 1956", doch gab es daneben unter anderem auch katastrophale Wohnungsnot, Alkoholismus, die höchste Selbstmordrate der Welt, Korruption, Nepotismus, niedrige Arbeitsproduktivität sowie Diskriminierung der Roma.

Zurückgekehrt nach Wien, machte ich einen Mitarbeiter der Arbeiter-Zeitung auf die Diskrepanz zwischen den Medienberichten, die Ungarn als "lustigste Baracke im sozialistischen Lager" apostrophierten, und der Wirklichkeit aufmerksam und war erstaunt, als er mich - einen 50jährigen, der keine journalistische Erfahrung hatte - bat, über meine Eindrücke einen Artikel zu schreiben. Einige meiner Artikel wurden unter dem Pseudonym Peter Koroly publiziert. Leider stellte iii/iii bald fest, wer sich hinter diesem Decknamen verbergen wollte.

In "Selbstmord" gestoßen

Im November 1979 führte ich in Budapest ein Roundtable-Gespräch mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten András Hegedüs, Zoltán Zsille und Tamás Földvári, in dem die drei Soziologen Kritik am Regime äußerten. Das Gespräch wurde in zwei Wiener Zeitschriften Anfang 1980 publiziert. Das hätte die ungarischen Behörden nicht gestört, doch wurde - damals ohne mein Wissen - dieses Gespräch vom Radio Freies Europa rückübersetzt und ausgestrahlt, so dass mehr als eine Million Ungarn von den ketzerischen Ansichten meiner Gesprächspartner erfuhr.

Bereits im Juni 1980 berichtete iii/iii, dass ich diese "unter Beobachtung" stehenden Oppositionellen getroffen und ein Gespräch mit ihnen publiziert hatte. Vertrauliche Erhebungen und Kontrolle meiner Person wurden angeordnet und der Bericht unter dem Titel "ideologische Diversion" abgelegt. Im August wurde ich noch im Zug nach Budapest festgenommen und ausgewiesen. Drei Zivilisten begleiteten mich bis zur Grenze. Mir war bekannt, dass es Fälle von unliebsamen Auslandsungarn gab, die "Selbstmord" begingen, indem sie aus dem fahrenden Zug gestoßen wurden. Ich hatte den begründeten Verdacht, dass dies auch in meinem Fall beabsichtigt war und berichtete über diesen Vorfall sofort dem österreichischen Grenzpolizisten, der meine Aussage protokollierte.

1981 wurde ein Einreiseverbot gegen mich erlassen. Diese Schikanen, denen ich ausgesetzt wurde, machten mich bei Journalisten bekannt und 1982 wurde ich zum Redakteur der Monatszeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde Wien ernannt. Dank der Bemühungen der österreichischen Diplomatie, die in den Berichten der iii/iii erwähnt werden, konnte ich immer wieder einreisen. Die österreichischen Diplomaten sahen in meiner Ausweisung - wie das in einem Bericht bemerkt wird - "einen Verstoß gegen das Abkommen von Helsinki".

1983 wollte ich darüber schreiben, wie in Ungarn über den 100. Jahrestag der Ritualmordbeschuldigung von Tiszaeszlár berichtet wird und wurde in diesem Zusammenhang vom Chef der Presseabteilung des ungarischen Außenamtes empfangen. Er teilte mir mit, dass man - da Ungarn das Problem des Antisemitismus nach 1945 ein für allemal gelöst hätte - mir nicht erlauben werde, diesen zu importieren. Tatsächlich war der Antisemitismus zwar tabuisiert, jedoch nicht verschwunden.

Von Kirche im Stich gelassen

Verschwiegen wurde auch die Diskriminierung der jungen Katholiken, die sich weigerten Waffen zu tragen. In der Regel mussten sie mit einer dreijährigen Kerkerstrafe rechnen und fühlten sich von ihrer Kirche im Stich gelassen. Bereits 1982 berichtete ich über das heikle Thema. Auch die Furche befasste sich mehrmals damit und Anfang 1986 veröffentlichte sie mein Interview mit dem ersten katholischen Waffendienstverweigerer. Wahrscheinlich auch deswegen wurde ich ein paar Monate später zum drittenmal ausgewiesen. Diesmal gab es nicht nur in Österreich ein Medienecho, auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Neue Zürcher Zeitung berichteten darüber.

Gutes Benehmen gefordert

Aus den iii/iii Berichten spürt man die Unzufriedenheit der Behörde mit den Interventionen zu meinen Gunsten, die das ungarische Außenamt weiterleitete. Sie argumentierten gegen das Einreiseverbot des "unbedeutenden österreichischen Journalisten", der die Sicherheit der ungarischen Volksrepublik nicht gefährde, allerdings sollte mir mitgeteilt werden, dass meine weiteren Einreisen von meinem "Benehmen" abhängen. So wurde ich Anfang 1987 wieder einmal in die Presseabteilung des ungarischen Außenamtes bestellt, wo ich ermahnt wurde, keine Oppositionellen und keine Waffendienstverweigerer zu treffen. Ich bat höflich, mir doch eine Liste mit den Namen der Oppositionellen zu geben, da ich Journalist und nicht Polizist sei, und fragte, ob der ehemalige Ministerpräsident Ungarns András Hegedüs ein Oppositioneller sei oder nicht. Auf diese Frage erhielt ich keine Antwort und wurde kurz darauf das vierte und letzte Mal aus Ungarn ausgewiesen.

Der letzte iii/iii Bericht vermerkt meine Teilnahme an der Gründungsversammlung einer neuen Gewerkschaft. Im Dezember 1988 fuhr ich nach Budapest, um über die Gründung der Demokratischen Gewerkschaft wissenschaftlicher Mitarbeiter zu berichten. Das war der Beginn vom Ende des Kádár-Regimes.

Die fleißige aber äußerst ineffiziente Arbeit der politischen Polizei konnte dieses Ende nicht verhindern, doch ihre Aktivitäten gegen meine Person halfen mir, ein "unbedeutender Journalist" zu werden.

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