Ungesetzliches Abschieben

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Zwei ärztliche Gutachten bestätigen einem tschetschenischen Flüchtling, dass er Folterspuren aufweist und der Verdacht auf Traumatisierung besteht. Trotzdem wird sein Asylantrag zurückgewiesen. Warum? Auf der Mitteilung des Arztes findet sich ein Vermerk, wonach der Leiter der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen solches Vorgehen nachdrücklich gutheißt.

Mitleid hängt von drei Faktoren ab, dozierte einst Aristoteles: Dem anderen muss etwas Schlechtes passiert sein, er muss unschuldig in die Misere hineingerutscht sein, und es müsste mir selbst auch passieren können. Die ersten beiden Faktoren erfüllen tschetschenische Kriegsflüchlinge. Am dritten Faktor hapert's aber Gott sei Dank in unseren Breiten: keine Folter, kein Krieg, keine Vertreibung. Schwindet deswegen das Mitleid gegenüber Flüchtlingen? Ist aus diesem Grund die Solidarität mit Asylwerbern heute geringer als bei früheren Krisen (Ungarn, Tschechoslowakei)?

Wie auch immer: Österreich ist kein Mitleidsstaat, Österreich ist ein Rechtsstaat. Tschetschenische Flüchtlinge, die in Österreich um Asyl ansuchen, brauchen nicht um Mitleid betteln, sondern können sich auf das Asylrecht berufen.

Das denkt sich auch Risvan (Name geändert, Anm.). Ende Juni kommt er illegal nach Österreich und stellt noch am selben Tag einen Asylantrag. Im August letzten Jahres, so der Tschetschene, sei er von russischen Soldaten verschleppt und misshandelt worden und schließlich als letzte Station über die Slowakei nach Österreich geflüchtet. Die medizinische Untersuchung in der Ärztestation der European Homecare GmbH, Traiskirchen stellt bei Risvan "Traumatisierungsverdacht und Folterspuren" fest. Der Traumatisierungsverdacht wird mit dem Zusatz "PTSD" (Post-Traumatic Stress Dissorder) konkretisiert.

Traumatisierung geleugnet

Ein zweites Gutachten, diesmal von einer Ärztin aus Bad Vöslau, bestätigt: "PTSD sehr wahrscheinlich." Nichtsdestotrotz wird Risvans Antrag vom Bundesasylamt abgelehnt, der Tschetschene in die Slowakei ausgewiesen und in Schubhaft genommen.

Auf Vermittlung von Asyl in Not-Sprecher Michael Genner gelangt Risvans Berufung aber noch fristgerecht zum Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS). Der UBAS zeigt sich über das Vorgehen der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen überrascht: "Der angefochtene Bescheid lässt jede Auseinandersetzung mit der ärztlichen Mitteilung [...] vermissen. Es bleibt völlig im Dunkeln, warum die erstinstanzliche Behörde offensichtlich davon ausgegangen ist, dass keine medizinisch belegbaren Tatsachen" für Folter und Traumatisierung vorliegen. "Die Feststellung des Bundesasylamtes, der Antrag sei zurückzuweisen, trifft somit nicht zu", entscheidet der UBAS, Risvans Asylantrag wird zugelassen.

Nur die Spitze des Eisberges

"Wir gehen davon aus, dass es sich bei diesem und anderen bekannt gewordenen Fällen um die Spitze des Eisberges handelt", kommentiert Philipp Sonderegger von SOS Mitmensch den Fall Risvan: "Es ist nämlich praktisch kaum möglich, an die Flüchtlinge heranzukommen, um Berufungen zu schreiben, da diese gleich in Schubhaft genommen und abgeschoben werden." Sonderegger sieht auch einen direkten Zusammenhang zwischen der säumigen Haltung bei der Quartiervergabe in den meisten Bundesländer und den mangelhaften Bescheiden in der Erstaufnahmestelle: "Weil die Länder nicht unterbringen, droht Folteropfern die Abschiebung."

Risvans UBAS-Bescheid bestätigt die Vermutung von Sonderegger. Dort ist nämlich weiters zu lesen: "Im Übrigen befindet sich auf der zuletzt genannten ärztlichen Mitteilung ein Vermerk mit dem Wortlaut: lt. Dr. E. Dublinverfahren fortsetzen." Dr. Herwig E. ist Leiter der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen. Und der Vermerk auf dem ärztlichen Attest schafft ausdrücklich an, dass trotz der Folter- und Traumatisierungsbefunde eine Abschiebung durchzuführen sei.

Dr. Herwig E. von der furche mit diesem UBAS-Bescheid konfrontiert, kann sich den Vermerk mit seinem Namen nicht erklären: "Wenn PTSD attestiert wurde, gibt es keine Abschiebung." Im Fall Risvan ist möglicherweise eine "nicht vollständige Diagnose" vorgelegen. Eher glaubt Dr. E. aber, dass Michael Genner während des Berufungsverfahrens den Zusatz eingefügt hat. Asyl in Not-Genner lacht laut am Telefon, als er von der Anschuldigung hört. Er habe nur Kopien zugesandt bekommen, die Originale mit besagtem Vermerk liegen beim UBAS. Dort will man den Vermerk nicht weiter kommentieren: "Jeder, der den Bescheid liest, kann sich seinen Teil denken", heißt es.

Und man muss Böses denken, wenn man den Bescheid liest. Man muss denken, dass das Asylrecht in Österreich mit Füßen getreten wird. Aus Notwehr setzt SOS Mitmensch deswegen jetzt wieder auf Mitleid (siehe Kasten rechts).

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