Ungewisse Zukunft für Labour

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Nach der Niederlage Gordon Browns bei der Unterhauswahl Anfang Mai sucht die traditionsreiche britische Labour-Partei einen neuen Parteichef. Ganz gleich, wer das Rennen für sich entscheiden wird, über die Zukunft der Sozialdemokraten in Großbritannien entscheiden andere Kräfte.

„Wer, wenn nicht ich?“ – mit diesem Motto geht die schwarze Parlamentsabgeordnete Diane Abbott ins Rennen um den Labour-Parteivorsitz. Die einfache Unterhausabgeordnete, die seit 1987 ihren Wahlkreis in Westminster vertritt, kämpft gegen ehemalige Minister und Mitstreiter Browns um das höchste Parteiamt – darunter David Miliband, Ed Miliband sowie Ed Balls – und stößt damit auf Begeisterung bei den Medien, aber auch vielen Labour-Wählern. Denn Abbott unterscheidet sich signifikant von den erfolgsverwöhnten weißen Männern mit nahezu perfektem Lebenslauf! Sie ist schwarz, sie ist eine Frau und sie kommt aus einem klassischen Arbeiterhaushalt: Ihr Vater war Schweißer, ihre Mutter Krankenschwester, beide kamen aus Jamaika nach Großbritannien.

Einer breiten Öffentlichkeit ist Abbott schon längere Zeit bekannt, weniger wegen ihrer Tätigkeit als Parlamentarierin als vielmehr für ihre Auftritte in der BBC-Fernsehsendung „This Week“: Woche für Woche stellt sie sich Schlagabtausch mit dem ehemaligen Tory-Minister Michael Portillo und kommentiert das politische Leben Großbritanniens auf ihre offenherzige und geradlinige Art und Weise.

Das Ende einer Ära

Die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden ist notwendig, weil der bisherige Parteichef Gordon Brown nach der herben Niederlage bei den Parlamentswahlen Anfang Mai zuerst vom Amt des Premierministers und anschließend vom Parteivorsitz zurückgetreten ist. Besonders spannend macht das Rennen um den Vorsitz die Tatsache, dass mit Browns Demission am Abend des 11. Mai 2010 nicht nur die Ära Gordon Brown zu Ende ging, sondern endgültig auch jene von Tony Blair und „New Labour“.

Vor 13 Jahren sah die Welt freilich noch anders aus: Die britische Unterhauswahl am 1. Mai 1997 brachte der sozialdemokratischen Labour-Partei unter Tony Blair nach 18 Jahren konservativer Herrschaft die absolute Mehrheit an Abgeordneten. Gemeinsam mit Gordon Brown, Schatzkanzler in Blairs Regierung, beschritt „New Labour“ – so der damalige Parteiname – den dritten Weg, also den Versuch, die alte Sozialdemokratie und den Neoliberalismus zu überwinden und so eine neue Sozialdemokratie zu begründen. Neben Privatisierungen öffentlicher Betriebe stand die Liberalisierung des Finanzmarktes auf dem Programm. Gleichzeitig schickte Blair britische Truppen nach Afghanistan und in den Irak – gegen den breiten Willen der Parteibasis. Es war letztlich auch dieser Krieg, der Blairs Reputation im eigenen Land sowie im Ausland schadete und bis heute für einen Riss innerhalb der Labour-Partei sorgt.

Kein Wunder, dass die Frage „Warst Du für oder gegen den Irakkrieg“ zu einer Art Gretchenfrage für die Parteivorsitzkandidaten geworden ist. Und gleichzeitig stellt sich die Frage: Soll der Weg, den Blair und Brown eingeschlagen haben, fortgesetzt werden, oder soll aus „New“ wieder „Old Labour“ werden, also eine politisch eindeutig linke sozialdemokratische Partei.

„Ich glaube nicht, dass die Ziele schändlich waren, aber es ist offensichtlich, dass die Schlüsselentscheidungen seit der Invasion nicht gut abgewogen wurden“, so David Miliband, ehemaliger Außenminister unter Gordon Brown. Er sei zuerst Befürworter der Irak-Invasion gewesen, aber bereits kurze Zeit danach sei seine Sichtweise kritischer geworden. Der 44-jährige Oxford-Absolvent gilt als Favorit für die Vorsitzwahl im Herbst. Bereits 1994 berief der frisch gewählte Labour-Chef Tony Blair den 30-jährigen Miliband in ein Team, das jenes Reformprogramm ausarbeiten sollte, mit dem Blair drei Jahre später die Wahl gewann. Wegen seines analytischen Verstands bekam Miliband von Blairs PR-Chef Alastair Campbell den Spitznamen „Gehirn“ verliehen.

Miliband mal zwei

Zu einem seiner schärfsten Konkurrenten hat David Miliband ein besonderes Verhältnis, handelt es sich doch nicht nur um seinen langjährigen Arbeitskollegen im Beraterstab Blairs und Kabinett Browns, sondern auch um seinen Bruder. Der 40-jährige Ed Miliband, ehemaliger Energieminister, kandidiert ebenfalls für das Amt des Labour-Chefs. Und auch Ed Balls wirbt gerade für seine Wahl an die Parteispitze – der Finanzexperte ist Abgeordnete eines nordenglischen Wahlkreises war Familienstaatssekretär unter Blair und Bildungsminister in Browns Team.

Doch ganz gleich ob Abbott, einer der Milibands oder Balls zum neuen Parteichef gewählt wird, die Entwicklung und Richtung der Partei werde von äußeren Faktoren bestimmt werden, zeigt sich Oliver Nachtwey, Wirtschaftssoziologe an der Universität Trier und Experte für sozialdemokratische Parteien in Europa, überzeugt.

„Bis jetzt gibt es von den Kandidaten keine konkreten Entwürfe und Vorstellungen. Es wird in naher Zukunft wohl nur marginale inhaltliche Veränderungen am Parteiprogramm geben und viel Kontinuität“, so Nachtwey. Erst im Laufe der Oppositionszeit wird es radikalere Veränderungen geben, glaubt der Wirtschaftssoziologe. In erster Linie werde die Gewerkschaft über die inhaltliche Ausrichtung der Partei entscheiden. „Unter der neuen Regierung von David Cameron ist mit großen Einsparungen im sozialen Bereich sowie im öffentlichen Sektor zu rechnen. Das wird die Gewerkschaften auf den Plan rufen. Die Gewerkschaften werden also an Einfluss innerhalb der Labour-Partei zulegen.“

Auch die Änderung des parlamentarischen Systems werde Auswirkungen auf Labour haben, so Nachtwey. Die Liberaldemokraten fordern schon länger eine Änderung des Wahlsystems und kritisieren das Mehrheitswahlrecht. Sollte dies kommen, erwächst Labour mit den Liberaldemokraten und den Grünen, zwei ernstzunehmende Konkurrenten von links.

„In den vergangenen Jahren haben die Liberaldemokraten in sozialen und wirtschaftlichen Fragen oft linkere Positionen vertreten als Labour, auch wenn sie jetzt mit den Konservativen in einer Regierung sitzen“, weiß Nachtwey.

Neue Konkurrenz von links

Der oder dem nächsten Vorsitzenden stehe jedenfalls eine Mammutaufgabe bevor: Es gilt, die Entfremdung der Wähler von der Labour-Partei rückgängig zu machen. Denn die Irak-Invasion 2003 und die wirtschaftsliberalen Reformen haben Wähler und Parteibasis enttäuscht. „Das Problem: Zwischen 1997 und 2007 gab es den größten wirtschaftlichen Aufschwung in der Geschichte Großbritanniens, aber die unteren Schichten und die Mittelschicht haben davon nicht profitiert. Die Schere zwischen arm und reich ist sogar größer geworden“, sagt Nachtwey und befürchtet, dass dies in Zukunft viele Wähler in die Armee der rechtspopulistischen BNP (British National Party) treiben wird.

Es bleibt also spannend, wie der nächste Parteivorsitzende heißen und die Zukunft der Partei aussehen wird.

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