Unmögliche Mission für UN-Blauhelme

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Mehr Friedenstruppen als je zuvor sind in den Krisengebieten der Welt im Einsatz. Mit mäßigem Erfolg. Sie werden von der Politik überfordert, in zu großen Gebieten eingesetzt und ohne Plan losgeschickt.

Noch nie waren so viele Soldaten, Polizisten und Zivilisten in Friedenseinsätzen wie jetzt. Noch nie wurde so viel Geld für Friedenseinsätze ausgegeben wie jetzt. Noch nie war der Erfolg dieser Anstrengungen so umstritten wie jetzt.

"2008 war das schlimmste Jahr für die Friedenserhaltung seit über einem Jahrzehnt", heißt es im aktuellen Jahresbericht zu den weltweiten Friedenseinsätzen, verfasst vom "Center for International Cooperation" (CIC) an der New York University. Alle großen Friedenseinsätze weltweit waren mit militärischen und politischen Rückschlägen konfrontiert. Keiner der größten Truppensteller blieb davon unbeeinflusst: Der UNO wurden im Kongo und im Sudan die Grenzen ihrer sicherheitspolitischen Möglichkeiten drastisch vor Augen geführt; der NATO ist es in Afghanistan ähnlich schlecht ergangen; der EU wiederum machte der Kosovo zu schaffen und die Afrikanische Union erlebte in Somalia ihr Debakel.

Insgesamt sind derzeit 200.000 uniformierte und zivile "Peacekeeper" in über 40 Missionen im Einsatz. In Afghanistan ist der größte Einsatz; mit mehr als 50.000 Mann und Frau Truppenstärke bindet der Hindukusch mehr als die nächsten drei Einsätze zusammen. Die USA sind der größte Truppensteller. Und Afrika ist mit 40 Prozent der Friedenseinsätze Krisenkontinent Nr. 1.

Erwartbar, letztlich im Ausmaß aber doch überraschend ist die wachsende Bedeutung der NATO in diesem Bereich. Bereits zwei Fünftel aller Friedenseinsätze stehen unter dem Kommando des ursprünglich "nur" westlichen Verteidigungsbündnisses. An der Spitze der Friedenseinsätze sind aber nach wie vor die Vereinten Nationen. Mit 112.000 militärischen und zivilen Personen in 18 Missionen stellt die UNO die Hälfte des globalen Friedenskontingents - Tendenz steigend (sieben Prozent Wachstum 2008, verursacht vor allem aufgrund des steigenden Blauhelme-Bedarfs in Afrika).

Vor allem an den UN-Einsätzen in Afrika befeuert sich die Kritik der CIC-Forscher über Sinn und Unsinn der Friedenseinsätze: "There must be a peace to keep", hat der frühere UNO-Generalsekretär Kofi Annan einmal als Voraussetzung für Friedenstruppen verlangt. Um Frieden erhalten zu können, muss es zumindest einen Minimalfrieden in einem Land geben. Das ist jedoch bei vielen Einsätzen nicht mehr der Fall.

Heute sagt Alain Le Roy, der UN-Beauftragte für Friedenseinsätze, kommen Blauhelme immer öfter in Regionen, "in denen sie weniger und weniger Frieden, dafür ein gefährliches und gewalttätiges Umfeld vorfinden". Dafür sind die UNO-Truppen, so Le Roys Resümee, aber nicht ausreichend ausgerüstet und vorbereitet. Er nennt als ein Beispiel das endlose Betteln um Hubschrauber für den UN-Einsatz in Darfur. Denn ohne passendes Gerät wird jeder Friedenseinsatz schnell zur gefährlichen Lachnummer.

"Wenn das Interesse einer Region und der internationalen Gemeinschaft zusammenfallen, können Friedensmissionen einen politischen Prozess befördern", heißt es im CIC-Jahresbericht, "tun sie das nicht, sind die Missionen ein teurer, nutzloser und üblicherweise erfolgloser Ersatz." Die Friedenseinsätze-Forscher fordern von der Politik einen strategisch und systematisch besser ausgereiften Zugang zu Friedenseinsätzen.Blauhelme können nachher nicht wettmachen, was blauäugige Politiker vorher verabsäumt haben: ein breites Einverständnis über den jeweiligen Einsatz in der Region und international herzustellen.

So nützlich wie eine kugelsichere Weste

"Rechtmäßigkeit und Einverständnis sind für einen Friedenseinsatz, was die kugelsichere Weste für einen Infanteriesoldaten ist", schreiben zwei Experten im Jahresbericht: "Etwas, das die Wahrscheinlichkeit eines katastrophalen Systemfehlers reduzieren kann." Und die Forscher halten auch mit ihrer Mahnung an die Politik nicht hinterm Berg: Sollten die Politiker weltweit nicht auf die im Bericht aufgezählten Probleme für Friedenseinsätze reagieren, "wird das heutige Friedenseinsätze-System bald auseinanderbrechen".

Tom Koenigs, deutscher Grün-Politiker und früherer UN-Sonderbeauftragter im Kosovo, in Guatemala und Afghanistan, will mit den Vereinten Nationen und ihren Friedenseinsätzen nicht so streng ins Gericht ziehen. Für ihn ist es schon ein Erfolg, dass "das komplizierte Gebilde UNO operativ in der Lage ist, Missionen rauszuschicken".Und Koenigs sieht auch eine große Verbesserung in der Kommando-Struktur zu früheren Einsätzen: Der Leiter eines UN-Friedenseinsatzes hat heute auch die Autorität über die anderen UN-Agenturen im Einsatzgebiet (Flüchtlinge, Kinder, Ernährung, Gesundheit …) und kann damit die generelle politische Richtung vorgeben. Das Schlimmste für einen Einsatz, weiß Koenigs, ist nämlich, wenn es zu einem "unterschiedlichen UN-Gegackere kommt und nicht alle an einem Strang ziehen".

Koenigs war einer der Vortragenden beim diesen Monat durchgeführten Führungskräfte-Kurs für UN-Friedenseinsätze an der Landesverteidigungsakademie Wien. Im Gespräch mit der FURCHE betont er die Bedeutung einer "integrierten Mission". Schon in der Ausbildung sollten Militär, Polizei und zivile Kräfte - "mit ihren jeweiligen Mentalitäten" - lernen, dass sie für einen erfolgreichen Einsatz zusammenarbeiten müssen: "Wenn sie im Kongo angekommen sind und ins Herz der Finsternis blicken, ist es dafür zu spät." Grosso modo beschreibt er das UN-Personal für Friedenseinsätze, mit denen er als aktiver UN-Beauftragter und als Ausbildner in Kontakt gekommen ist, mit "sehr werteorientiert". Auf sexuelle Übergriffe und andere kriminelle Verfehlungen von UN-Truppen angesprochen, meint Koenigs: "Letztlich haben Sie alles dabei, aber das ist eine Führungsaufgabe, die Abenteurer in Grenzen zu halten."

Und was würde Koenigs an den Friedenseinsätzen ändern, wenn er UNO-Generalsekretär wäre: "Ich würde die UNO stärker von den USA emanzipieren und damit das Vertrauen der kleineren Staaten gewinnen. Denn wenn es einen Weltpolizisten braucht, dann soll das die UNO sein."

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