Unorthodox, eigenwillig, unbequem

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Trautl Brandstaller hat für ihr Buch über die Reformländer mit Schlüsselfiguren der politischen und kulturellen Szene geredet - und die Beschreibung des "unbekannten Ostens" nicht, wie so viele andere, mit dem Abschreiben bei Experten verwechselt.

Es wurden in den letzten Jahren seit dem Umbruch viele Bücher, einschließlich dubioser Schnellschüsse, über Ost- und Mitteleuropa veröffentlicht. Nur wenige werden Bestand haben, zumal gerade für diesen Teil der Welt der Satz des österreichischen Historikers Hans Kohn, der - wie so viele andere - sein Leben in den Vereinigten Staaten beendet hat, gilt: "Die Geschichte ist ein offener Prozess; Unerwartetes und Unvorhergesehenes kann immer passieren."

Im Spätherbst dieses Jahres ist nun das Buch einer "verspäteten" Autorin präsentiert worden, die als Publizistin zwar bekannt, aber als Ostexpertin ein Neuling ist. Deshalb einige Worte zur Person: Es ist selten, dass sich jemand relativ spät im Leben mit einer komplizierten Welt auseinandersetzt und eine "politische Reise" von Wien ans Schwarze Meer unter dem Haupttitel "Die Donau fließt nach Westen" unternimmt. Bekanntlich hatte Trautl Brandstaller einige Zeit vorher eine dreiteilige TV-Dokumentation "Donauabwärts - Eine Reise ins unbekannte Europa" gedreht. Doch war und ist Trautl Brandstaller mit ihrem wechselhaften Leben (von katholischen Publikationen über profil und Neues Forum hinweg zum ORF) eine Ausnahmeerscheinung, die wegen ihrer Überzeugung persönliche und politische Freundschaften nicht einmal über Bord warf oder eher werfen musste.

Für mich war sie ein Begriff seit ihrer berühmten Slowenen-Dokumentation ("Fremde in der Heimat"), welche die Entwicklungen und bis heute im Grunde unveränderten Probleme im Verhältnis zwischen Mehrheit und Minderheit in Kärnten mutig dargestellt hat. Sie blieb immer unorthodox, eigenwillig, unbequem, vor allem auch für ihre einstigen Gesinnungsgenossen in der linken Reichshälfte.

Bei ihrem Buch handelt es sich um eine großangelegte politische Reportage, die die vielen Impressionen, welche die Autorin während der Dreharbeiten gesammelt hat, mit angelesenem Hintergrund kombiniert. Wichtig ist für die Leser vor allem, dass Trautl Brandstaller auch diesmal offen, ohne Schminke sowohl die Fehler und Versäumnisse der österreichischen Ostpolitik als auch die Enttäuschungen über die sogenannten Transformationsländer beschreibt.

Da sich die Autorin nur auf die Länder beschränkt, die in den TV-Dokumentationen vorgestellt wurden, werden so wichtige Staaten wie Tschechien und Slowenien - und auch die ganze Kosovo-Problematik - leider ausgeblendet.

Mit Einfühlungsvermögen schildert Brandstaller die Verbindung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Hoffnungen und Realität, zwischen der drückenden Erbschaft der Diktaturen und dem relativ langsamen Fortschritt auf dem Weg zur Bürgergesellschaft. Nützlich ist auch die Übersicht über das, was man alles über Mitteleuropa in den letzten Jahren, ja Jahrzehnten gesagt hat. Im Gegensatz zu den Autoren von publizistischen Schnellschüssen gibt Brandstaller stets ihre Quellen an, redet mit Schlüsselfiguren der politischen und kulturellen Szene und verwechselt die Beschreibung des "unbekannten Ostens" nicht, wie so viele andere, mit dem Abschreiben bei Experten.

Besonders wichtig erscheint mir, dass Brandstaller die Gefahren des Populismus, der mangelnden Solidarität und der Unkenntnis nicht nur in einem politischen Lager, sondern auch im sogenannten linken Spektrum (Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer) bloßlegt. Die beschämenden und von politischer Naivität strotzenden Auseinandersetzungen um Temelín zeigen, wie schnell man hierzulande die toten Grenzen und toten Regionen aus der Zeit des Kalten Krieges vergessen hat. Kein Land hat so viel vom Zusammenbruch des Sowjetimperiums und des Kommunismus profitiert wie - natürlich außer Deutschland - Österreich.

Der zweite wichtige Gesichtspunkt für mich ist die Tatsache, dass Brandstaller die Problematik der Roma und Sinti in Rumänien und in ganz Osteuropa detailliert behandelt. Es geht hier um eine Zeitbombe, um eine Frage, deren Brisanz von sehr vielen Politikern in Prag und Pressburg, Budapest und Bukarest leider unterschätzt oder verdrängt wird.

Bei aller Anerkennung für die Leistungen des unermüdlichen Fritz Molden und seines Verlags ist es bedauerlich, dass man keine Lektoren und Korrektoren hat, die dafür sorgen könnten, dass die ehemalige ungarische Krönungsstadt Pressburg/ Bratislava nicht konsequent falsch, nämlich als Poszony (statt Pozsony!) geschrieben wird. Das gilt auch für die Akzente, etwa bei den berühmtesten ungarischen Schriftstellern der Gegenwart. Insgesamt ist aber dieses reich illustrierte und mit Engagement geschriebene Buch eine nützliche Ergänzung zur politischen Literatur über diesen Raum.

Der Autor ist Chefredakteur der "Europäischen Rundschau".

DIE DONAU FLIESST NACH WESTEN. Eine politische Reise von Wien ans Schwarze Meer.

Von Trautl Brandstaller. Molden Verlag 2001. 304 Seiten, geb., 16 Seiten Farbabbildungen, S 398,-/e 28,92

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