Unrealistische Realpolitik

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Vertreter der "Realistischen Schule“ ignorieren den antidemokratischen Charakter des iranischen Regimes, das weiter auf Expansion setzt. Iran-kritische Analyse zum Finale der Atomgespräche.

Eine der vorherrschenden Richtungen in der Lehre von den Internationalen Beziehungen nennt sich "Realistische Schule“. Ihre Vertreter halten sich auf ihren angeblich nüchternen Blick auf die globalen Machtverhältnisse viel zugute. Angesichts der seit 35 Jahren andauernden Auseinandersetzung der USA mit dem iranischen Regime proklamieren die meisten Vertreter dieser Schule die Notwendigkeit, die Machthaber in Teheran in eine internationale Sicherheitsarchitektur einzubinden. Das Problem dabei ist: Sie gehen von völlig unrealistischen Annahmen aus und ignorieren den Charakter des iranischen Regimes sowie seine seit Jahrzehnten betriebene Destabilisierungspolitik im Nahen Osten.

Die "Herrschaft der Rechtsgelehrten“, mit der die Ajatollahs seit der islamischen Revolution von 1979 ihren Machtanspruch legitimieren, soll durch religiösen Tugendterror nach innen und Export der islamischen Revolution die Rückkehr des Mahdis, des verborgenen 12. Imams, vorbereiten. Das schließt eine "Realpolitik“ seitens der Ajatollahs keineswegs aus: Außenbeziehungen des Regimes waren immer schon durch eine Gleichzeitigkeit von Pragmatismus und Vernichtungswahn gekennzeichnet. Einerseits ist die Verpflichtung zu einer "revolutionären Außenpolitik“ in der iranischen Verfassung festgeschrieben. Bei einer wortgetreuen Auslegung bliebe dem Regime nichts anderes übrig, als eine dem revolutionären politischen Islam verpflichtete Außenpolitik zu betreiben. Andererseits wird gerade in Diskussionen über außenpolitische Themen die Verpflichtung zum Gehorsam selbst gegenüber dem Obersten geistlichen Führer aufgehoben, um die Vermittlung von Ideologie und Pragmatismus zu gewährleisten. Die Ergebnisse davon können in den Publikationen iranischer Think Tanks, wie dem "Institute for Middle East Strategic Studies“ nachgelesen werden, in denen stark divergierende Positionen zu Fragen der internationalen Politik vertreten werden.

Machtzuwachs um jeden Preis

Vertreter der "Realistischen Schule“ schlussfolgern daraus die Möglichkeit, das iranische Regime mittels Verhandlungen einzubinden. Solche Einschätzungen blenden aus, dass die Ajatollahs bei jeder Möglichkeit auf eine Expansion ihres Einflussbereichs gesetzt haben. Sie ignorieren, dass bei den Drohungen gegenüber dem jüdischen Staat ‚Pragmatismus’ lediglich darin bestehen kann, den aus der Sicht Teherans richtigen Zeitpunkt für die Offensive abzuwarten. An diesen Drohungen hat sich seit der Präsidentschaft Hassan Rohanis ebenso wenig geändert wie an der Leugnung des Holocaust und der Unterdrückung der iranischen Bevölkerung. Ali Khamenei, der starke Mann im Iran, stellt bis heute die Schoah in Frage, das letzte Treffen internationaler Holocaustleugner fand im Oktober in Teheran statt. Die Hinrichtungen sind im Iran seit der Präsidentschaft Rohanis angestiegen. Während der Atomverhandlungen hat Khamenei immer wieder offen Israel mit der Vernichtung gedroht - zuletzt am 9. November per Twitter.

Die Behauptung, Islamisten würden sich durch Verhandlungen mäßigen, ist schlicht falsch. Jedes Entgegenkommen des Westens wird von ihnen als Schwäche ausgelegt. Insofern ist es kein Wunder, dass das Regime ungeachtet der Atomverhandlungen seine illegalen Aktivitäten in Europa fortsetzt: Das deutsche Zollkriminalamt erklärte letzte Woche, dass der Iran für sein Nuklearprogramm weiterhin "strafbare proliferationsrelevante Beschaffungsaktivitäten“ in Deutschland betreibt.

Österreichs Unis kooperieren mit Teheran

In Österreich setzt das Regime auf einen Ausbau der technologischen Forschungskooperation: Der Vizerektor der Montan-Uni Leoben, Peter Moser, hat mit dem Geschäftsführer des Österreichischen Akademischen Austauschdienstes, Hubert Dürrstein, die Sharif Universität in Teheran besucht, die von der EU wegen ihrer Rolle beim iranischen Atomwaffenprogramm sanktioniert ist. Auch die TU Graz und die TU Wien pflegen Kontakte zu der Hochschule.

Befürworter eines Atomabkommens meinen, dass es dennoch besser sei, den Iranern zumindest jene minimalen Einschränkungen aufzuerlegen, die einzig durch eine Vereinbarung möglich wären. Derartige Einschätzungen blenden die Tatsache aus, dass das iranische Regime den Westen zwei Jahrzehnte lang über sein Atomprogramm angelogen hat. Es gibt keinen Grund, warum die iranischen Machthaber ihre Taktik des Täuschens nach einem Deal aufgeben sollten. Ein Abkommen würde nicht den UN-Resolutionen entsprechen, die die Beendigung der Urananreicherung fordern, sondern würde die komplette Infrastruktur des Atomprogramms intakt lassen und das Raketenprogramm nicht einmal thematisieren.

Befürworter solch eines Deals ignorieren die Erfahrung mit Nordkorea: Der Diktatur in Pjöngjang ist der Schritt zur Bombe gelungen, nachdem sie ein langwierig verhandeltes, als Durchbruch gefeiertes Abkommen unterzeichnet hatte, mit dem das Atomwaffenprogramm bloß etwas beschränkt wurde. Solch ein Abkommen mit dem Iran würde abermals zeigen, wie unrealistisch die vermeintliche Realpolitik der "Realistischen Schule“ ist. Es würde die Welt nicht sicherer, sondern gefährlicher machen.

Der Autor ist Politikwissenschafter und wissenschaftl. Direktor der Initiative "Stop the Bomb“ gegen das iranische Atomprogramm. Sein jüngstes Buch: "Die Einsamkeit Israels“ ist soeben erschienen.

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