Untaugliche Retter der Adivasis

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Die Adivasis werden in Indien strukturell und politisch benachteiligt. Ihr Land bietet Bodenschätze. Siehaben viele falsche Helfer und keine eigene Stimme.

Zu den Wochenmärkten im Araku Valley kommen Leute aus der ganzen Umgebung, viele von ihnen zu Fuß aus entlegenen Dörfern, zu denen nur schmale Waldwege führen. Am Marktplatz befinden sich die Holzstände, an denen Lebensmittel, Gewand und Hausrat vertrieben werden. Entlang der Straße sitzen die KleinhändlerInnen mit ihren Waren. Die Adivasi-Frauen sind sofort an ihren Nasenringen, aber auch an ihrem Warenangebot zu erkennen. Zumeist umfasst es nur ein wenig Gemüse, Hülsenfrüchte und Getreide, das sie selbst angebaut haben, daneben Blätter, Wurzeln und Beeren, die sie im Wald gesammelt haben. Mit dem Geld, das sie dafür bekommen, kaufen sie Dinge, die sie nicht selbst herstellen können - Salz, Kerosin und Stoff für ihre Kleider. Am späten Nachmittag treten die Frauen dann den langen Rückweg in ihre Dörfer an.

Im Araku Valley leben mehr als ein Dutzend tribale Gruppen. In Indien werden sie als Adivasis - Ureinwohner - bezeichnet. Das Araku Valley mit seinen bis zu 900 Meter hohen Bergen und vielen Tälern liegt nur rund 115 Kilometer von der ostindischen Hafen- und Universitätsstadt Visakhapatnam entfernt; doch kulturell und ökonomisch liegen Welten zwischen Visakhapatnam und den Dörfern der Adivasis. Die Adivasis, die hier im Bundesstaat Andhra Pradesh leben, zählen zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Ihre Sozialindikatoren - Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung - liegen weit unter dem gesamtindischen Durchschnitt. So können zwar 60 Prozent der Inder, aber lediglich 25 Prozent der Adivasis lesen und schreiben.

Mit den Briten begann die Tragödie

"Für uns geht es heute um unser Überleben“, sagt Somela Bangaramma, die der Adivasi-Gruppe der Konda Dhora angehört und stets zum Wochenmarkt kommt. Sie engagiert sich seit Jahren für die Rechte der Adivasis: "In meinem Bezirk Anantagiri sind 24 Dörfer von Bergbauprojekten bedroht. Die Gegend ist reich an Bauxit, das führende indische Stahlunternehmen abbauen wollen. Wenn das geschieht, werden unsere Dörfer, Wälder und sogar die Berge zerstört und wir selbst werden vertrieben.“

Die Adivasis im Araku Valley und in den angrenzenden Bezirken stehen keinesfalls allein mit ihren Sorgen da. In ganz Indien leben die tribalen Gruppen vorwiegend in Waldgebieten, die reich an Bodenschätzen sind. Das ist, wie AktivistInnen immer wieder betonen, ihre Tragödie. Begonnen hat sie bereits unter der britischen Kolonialherrschaft, als die Briten ab 1865 Forstgesetze erließen, die die Rechte der Adivasis nicht anerkannten.

Es fehlt tribale Zivilgesellschaft

Nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947 hielt auch der indische Staat lange an restriktiven Regelungen fest. Erst der dramatische Rückgang der Wälder führte schließlich ab den 1980er-Jahren zu einem Umdenken, die Gemeinden wurden an der Verwaltung der Forste beteiligt. Das Forstgesetz von 2006 bietet sogar besonderen Schutz: Adivasis können nun Rechtstitel auf ihr angestammtes Land erwerben. Außenstehende dürfen kein Land von Adivasis kaufen oder ohne deren ausdrückliche Zustimmung ökonomisch nutzen. In der Praxis werden diese Gesetze aber missachtet. Die Adivasis sind zu schwach und noch zu schlecht organisiert, um ihre Rechte verteidigen zu können.

Indes werden in Indien laufend neue Bergbaubetriebe tätig - im Namen einer Entwicklung, die auf Kosten der Adivasis geht, sagt Narendra Bondla. Er gehört der Adivasi-Gruppe der Valmiki an, hat es mit viel Engagement zu einer guten Bildung gebracht und arbeitet nun für die Adivasis. Mit der Adima Adivasi Entwicklungsinitiative will er die sogenannten primitiven tribalen Gruppen vernetzen, damit sie künftig ihre eigenen Interessen vertreten können.

"Primitiv ist ein herabwürdigendes Wort. Es wird von offizieller staatlicher Seite aber für die allerärmsten Adivasis verwendet. In Andhra Pradesh reden wir von den Adima Adivasis. Adima bedeutet - ursprünglich, sehr alt“, sagt Narendra Bondla, der schwerpunktmäßig im Araku Valley arbeitet. "Wir brauchen dringend eine starke tribale Zivilgesellschaft, die für sich selbst sprechen kann.“ Die vielen nicht-tribalen Fürsprecher der Adivasis betrachtet Narendra Bondla mit Skepsis. Dazu zählen Gandhianer, Marxisten und andere Linke, christliche und Hindugruppen sowie maoistische Untergrundkämpfer. "Es sind so viele Akteure und Ideologien am Werk, doch meistens fehlt die Stimme der Adivasis, die ihre eigenen Kulturen, Sprachen und Religionen haben.“ Auch die diversen Fürsprecher misstrauen einander. So stellen Hindunationalisten die wahren Motive des sozialen Engagements von Christen in den tribalen Gebieten infrage. Immer wieder ist es deshalb zu gewalttätigen Übergriffen gekommen.

Wissen wurde aufgekauft

Im Araku-Valley beobachtet Narendra Bondla den wachsenden Einfluss von Christen und Hindus. Mädchen, die nach der Volksschule im Dorf eine Schule in der Stadt besuchen, legen die Nasenringe ab und knüpfen den Sari nicht mehr auf traditionelle Art. Manche dieser Entwicklungen sind wohl unvermeidbar, meint Narendra Bondla, wichtig sei es aber, dass die Adivasis sich bewusst damit auseinandersetzen und sich nicht von kulturellen Einflüssen und ökonomischen Interessen von außen überrollen lassen.

Auch die Adivasis wollen Entwicklung, betont Kunjam Pandu Dora von der tribalen Gruppe der Koya. "Doch das darf nicht die Zerstörung unseres Lebensraums und unserer Kultur bedeuten. Wir wollen auch gute Schulen. Doch wir wollen nicht, dass unseren Kindern dort eine Verachtung für ihre eigene, angeblich so rückständige Kultur eingeimpft wird.“ Das Wissen der Adivasis sei wichtig für den Erhalt der Biodiversität, betont Kunjam Pandu Dora und ergänzt: "Wie kann unser Wissen so primitiv sein, wenn internationale Pharmafirmen an unseren Heilkräutern großes Interesse zeigen? Das Wissen von diesen Kräutern haben die Adivasis entwickelt.“

Die Adima Adivasis wollen nun ihre ökonomische Basis verbessern. Auf dem Wochenmarkt bekommen sie nur minimale Beträge für ihre Waren. Die Adima-Adivasi-Initiative will sie dabei unterstützen, dass sie künftig einen Teil der von ihnen gesammelten Produkte selbst verarbeiten und damit einen Mehrwert erwirtschaften können.

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