Unter lebensgefährlichen Umständen leben

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Das Gespräch führte Otto Friedrich

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Das Gespräch führte Otto Friedrich

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Nawras Sammour ist einer der acht Jesuiten, die zurzeit in Syrien tätig sind. Er koordiniert in Damaskus die Arbeit des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes JRS und bereist das vom Krieg zerrissene Land, wo er nur kann. Die FUR-CHE traf Sammoud am 21. April in Beirut.

DIE FURCHE: Wie ist die Lage in Syrien zurzeit?

Nawras Sammour: Es herrscht in vielen Gebieeine Vereinbarung von Nichtfeindseligkeiten, das ist aber nicht nachhaltig. In den letzten Tagen ist die Lage erneut sehr unsicher geworden. Vor einem Jahr haben wir die Vorstöße bewaffneter Gruppen der Opposition erlebt, ein halbes Jahr später hatte die Regierung Erfolge, aber heute wissen wir es wieder nicht. Ich kann nur sagen, dass dies alles noch lang andauern wird. Es sieht so aus, dass in Genf alles zum Stillstand kommt, es sieht so aus, dass die Konfliktparteien eine große Menge Waffen erhalten.

DIE FURCHE: Was können Sie in dieser Lage tun?

Sammoud: JRS arbeitet in Damaskus, Aleppo und Homs. Wir verteilen Lebensmittel für notleidende Familien - Lebensmittel- und Hygienepakete, auch Decken und Matratzen. Daneben haben wir Suppenküchen in Aleppo, die eine warme Mahlzeit pro Tag für 9000 Leute bereitstellen. In einem Vorort von Damaskus hatten wir eine Suppenküche für 5500 Personen pro Tag, die aber zurzeit geschlossen ist, weil wir eine neue Genehmigung dafür brauchen. Wir hoffen, demnächst wieder beginnen zu können. Wir betreiben eine Krankenstation in Aleppo mit einigen jungen Ärzten...

DIE FURCHE: ... wie viele?

Sammour: Etwa 15. Wir versuchen da auch, die Versorgung für Medikamente für chronische Krankheiten wie Bluthochdruck oder Diabetes zu unterstützen. Denn viele Menschen können sich eine Dauermedikation nicht leisten. Eine weitere Säule ist psychosoziale Unterstützung, insbesondere für Kinder. Durch Aktivitäten im Bildungsbereich, durch Sport, Theater, Tanzen versuchen wir, Kindern dabei zu helfen, mit der Realität zu Rande zu kommen. Wir versuchen auch, den Eltern dieser Kinder zu helfen. Das Ziel der Aktivitäten ist ein kurzfristiges, und wir bieten das für alle an - ohne auf soziale oder politische Zugehörigkeit oder Religion zu schauen. Wir verfolgen hier das Prinzip der Neutralität und betreuen oft Menschen, die aus derselben Gegend kommen, die einander aber dort bekämpft haben. In unseren Zentren versuchen wir, ihnen dabei zu helfen, einander zu begegnen. Durch Kinder, die zusammenkommen und miteinander spielen, können wir das Vertrauen der Eltern gewinnen. Das könnte helfen, an einer versöhnten Zukunft zu bauen.

DiE FurcHE: Sie arbeiten dort, wo die Regierung die Kontrolle hat?

Sammour: Ja, denn in diesen Gebieten halten sich die meisten Vertriebenen auf. Es ist hier bei weitem sicherer als in anderen Gebieten. Früher haben wir auch in anderen Gebieten gearbeitet, aber zurzeit ist es in Syrien sehr gefährlich, auf allen Seiten tätig zu sein. Unter Regierungskontrolle können wir als Syrer leben. In den Gebieten, die der IS kontrolliert, können wir als Christen nur unter größten Gefahren leben.

DiE FurcHE: Ihr Mitbruder Frans van der Lugt ist vor zwei Jahren in Homs ermordet worden. Wie gefährdet sind Sie?

Sammour: Es ist gefährlich und nicht gefährlich. Durch Syrien zu reisen und Projekte zu besuchen, von einer Stadt zur anderen zu fahren, kann bedeuten, ein Opfer der Kampfhandlungen zu werden. Manchmal geraten wir unter Beschuss von Mörsergranaten, und das ist lebensgefährlich. Aber es ist für uns nicht gefährlicher wie für alle anderen in Syrien: Alle Syrer leben unter lebensgefährlichen Umständen.

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