Unterdrückt - wie die ägyptische Revolution

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Die politische Situation hat aus Ägyptens Frauen Aktivistinnen gemacht. Doch die Gleichstellung mit den Männern ist bis heute nicht verwirklicht.

Amals Haupt bleibt unverhüllt. Was weder Hosni Mubarak schaffte noch der ägyptische Militärrat, gelang auch dem jüngst gestürzten Präsidenten der Arabischen Republik Ägypten nicht. Frauen wie sie werden ihr Haar nicht bedecken. Mohammed Mursi, dessen einjährige Präsidentschaft vor zwei Wochen zu Ende ging, wird Amal dafür in zweifelhafter Erinnerung behalten - und mit ihr Millionen von Ägypterinnen. Denn mehr noch als ihre männlichen Landsleute wurden Ägyptens Frauen während der Regentschaft der Moslembrüder auf perfide Weise klein gehalten.

Frauen bestimmen nicht nur das Straßenbild Ägyptens. Seit Anbeginn der Proteste gestalten sie die Demokratiebewegung entscheidend mit - zum Unmut konservativer politischer Kräfte, wie dem vor knapp zwei Wochen abgesetzten Präsidenten des 80-Millionen-Landes am Nil. "Mohammed Mursi und seine Unterstützer haben die neu erworbenen Rechte der ägyptischen Frauen nicht anerkannt und eine reaktionäre Politik gegen sie betrieben“, lässt Filmemacherin Amal ihrem Unmut freien Lauf.

Dass unter ihm "Frauen in politischen Ämtern sofort durch Männer ausgetauscht” wurden, ist für die 41-Jährige keine Überraschung. Bereits im März 2011 ließ Saad al Husseini, Mitglied des "Muslim-Brothers-guidance-bureau“ in Kairo, laut einem Artikel der Internet-Ausgabe von Egypt Independent verlautbaren, dass die den Moslembrüdern nahe stehende "Freiheits- und Gerechtigkeitspartei“ ("hizb al-hurriya wa l‘adala“) zwar nichts gegen Kopten und Frauen im Kabinett habe, dass beide jedoch ungeeignet für eine Präsidentschaft wären. Die politischen Bestrebungen gleich im Keim zu ersticken, versuchte die den Moslembrüdern nahestehende salafistische "Partei des Lichts“ ("hizb an-nur“ oder kurz "Al-Nur“): Al-Nur stellte ihren im Rahmen der Parlamentschafts-Wahl aufgestellten Kandidatinnen frei, auf Wahlplakaten nicht mittels Konterfei, sondern durch eine Rose oder durch das Gesicht des Ehemannes abgebildet zu werden.

Obendrein strich der Oberste Militärrat die unter Mubarak eingeführte Zwölfprozentquote von Frauen in der ägyptischen Volksvertretung. Dass Frauen nach den Parlamentswahlen im Vorjahr letztendlich mit nur zwei Prozent vertreten waren, scheint eine logische Folge dieser Politik der Moslembrüder zu sein, die die Gesetzgebung auf der Scharia aufzubauen versuchten.

Den Schatz wegsperren

"Geh hinter ihr!“ Ein ägyptischer Demonstrant fordert im Tumult einer 15.000-Menschen-Demonstration im September vergangenen Jahres den Begleiter einer ausländischen Journalistin auf, sie auf einfache, aber effektive Weise zu schützen. Massenkundgebungen wie jene gegen das Militär, dem allein Anfang Februar vergangenen Jahres 173 Morde an Fußballfans im Stadion der Hafenstadt Port Said angelastet werden, bieten Grapschern ausreichend Möglichkeiten. Bereits 2012 unterstützte die Regierung Mursi Männer jeglichen Alters beim Belästigen von Frauen in der Öffentlichkeit. In Ägypten war das keineswegs immer so. Fotografien aus Familienalben und Postkarten von Kairo aus den 1960ern zeigen Frauen in kurzen Röcken und eng anliegenden Kleidern.

Geben sich Ägypterinnen - mit oder ohne Kopftuch - heute körperbetont, erregen sie den Ärger der Salafisten, die sie lieber "wie einen kostbaren Schatz“ in der vermeintlichen Sicherheit des Hauses wissen möchten. "Zu ihrem eigenen Schutz“, wie der Architekt Mostafa meint. Seine platten Lehrsätze hat der 32-Jährige, der auch die Bibel zitiert, vermutlich aus dem saudischen Kabelfernsehen, das zum Gefallen der Al-Nur-Partei längst Einzug gehalten hat in die ägyptischen Haushalte.

Mindestens genau so schwierig wie das Tragen von "religiös adäquater“ Kleidung ist für Ägypterinnen das Beschaffen wichtiger Hygieneartikel. Der Tampon-Kauf kann schon mal zum Spießrutenlauf werden, wenn konservative Apotheker den Monatsschutz erst bei Vorweis einer Heiratsurkunde aushändigen wollen. Der Hochschulabsolventin Maii ist das egal. "Tampons könnte ich sowieso nicht verwenden“, verrät die 32-Jährige, die noch bei ihren Eltern lebt. "Sobald meine Mutter die entdecken würde, wäre für sie klar, dass ihre unverheiratete Tochter keine Jungfrau mehr ist.“ Nicht logisch, aber offenkundig gelebte Praxis, die bis hin zu einem grausamen Sitten-Feldzug gegen Frauen geht. Während sich das ägyptische Militär während der Zeit der Übergangsregierung der Jahre 2011 und 2012 auf so genannte "Jungfrauentests“ bei Demonstrantinnen spezialisiert, legitimieren die Moslembrüder auch sexuelle Gewalt gegen Frauen innerhalb der eigenen Familien. Vehikel dafür ist die in Ägypten kulturell verankerte und nicht nur an Musliminnen durchgeführte Frauen-"Beschneidung“.

Am heurigen Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar warf die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) Mohammed Mursi vor, das 2008 in Kraft getretene Verbot der Genitalverstümmelung de facto aufgehoben und Straffreiheit garantiert zu haben. Im staatlich kontrollierten Fernsehen hatte der Präsident Anfang Januar 2013 verkündet, dass die "Beschneidung“ an Frauen im Ermessen der Familien liege.

Kostenlose Beschneidungen

Eine Phalanx aus Moslembrüdern und Salafisten bietet seitdem vor allem in Oberägypten kostenlos Genitalverstümmelungen vor Ort an - mittels mobiler Praxen, wie IGFM weiß. Dabei werden Frauen nicht nur genital verstümmelt. Die Vagina wird zudem zugenäht und die verwachsene Narbe erst beim Geschlechtsverkehr vom Ehemann gewaltsam geöffnet. Ob es angesichts dieser Methoden überhaupt ernst zu nehmende Gleichstellungsbestrebungen gebe in ihrem Land? Amal nickt. Das schon. Aber die seien bis heute so unvollständig geblieben wie die so genannte Revolution.

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