Unternehmen Ego-Trip

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Der Druck auf dem Arbeitsmarkt zwingt zu Individualisierung, und Individuen werden zu Konkurrenten. Welche Werte einer Gesellschaft noch bleiben, in der Selbstvermarktung zum eigenständigen Wert geworden ist, wurde im Rahmen der furche-Veranstaltungsreihe "Welche Werte braucht die Wirtschaft?" diskutiert. Dieses Dossier entstand in Kooperation mit der Wirtschaftskammer Österreich, die redaktionelle Verantwortung liegt bei der furche. Redaktionelle Gestaltung: Claudia Feiertag Nicolette Strauß gehört die Marke "Ich-AG" - für sie ein Synonym für Selbstverantwortung und Eigeninitiative. Für den Ökonomen Karl-Heinz Brodbeck ist diese Form der Selbstvermarktung dagegen nur die logische Konsequenz des Kapitalismus.

Ich-AG: Das Verständnis der eigenen Person als Aktiengesellschaft. Der Begriff bezeichnet den entscheidenden sozialen Wandel zur Jahrtausendwende. Menschen sehen sich verstärkt als Lebensunternehmer, die Eigenverantwortung statt Fremdverantwortung wählen. Diese Entwicklung geht mit dem ökonomisch erzwungenen Rückzug des Staates aus einem flächendeckenden Sicherheitsnetz einher. Weiterhin befördert die Transformation der Arbeitskultur, in der mehr Eigenständigkeit und Unternehmertum gefragt ist, das Selbstverständnis als Ich-AG. Dazu gehört vor allem, wie bei einer realen Aktiengesellschaft permanent am Kurswert der eigenen Person zu arbeiten ... (Duden, Wörterbuch der New Economy)

Das deutsche Unwort des Jahres 2002 gehört Nicolette Strauß. Die Kommunikationsberaterin hat sich nämlich den Begriff "Ich-AG" markenrechtlich patentieren lassen. Urkunde samt Bundesadler beweisen nun ihr ausschließliches Recht, die Ich-AG zu verwenden und zu vermarkten.

Die Vermarktung hat aber längst die Hartz-Kommission für sie übernommen. Leider, wie die Autorin des Buches "Die andere Ich-AG" (Campus Verlag 2003) betont. Denn seit in Deutschland das Existenzgründungsprogramm als Ausweg aus der Arbeitslosigkeit ins Leben gerufen wurde und verbreiteter Meinung zufolge zu scheitern droht (siehe Kasten unten), können die wenigsten der Ich-AG Positives abgewinnen. Egoimus, soziale Kälte, Sozialdarwinismus würden damit assoziiert, beklagt die Eigentümerin der Marke, die unter der Ich-AG viel mehr versteht als nur ein Kleinstunternehmen. "Für mich ist sie Synonym dafür, dass unsere Sozialkassen leer sind und dass wir nicht umhin kommen, dem einzelnen Bürger mehr Verantwortung zu übertragen", erklärt sie im Furche-Gespräch. Jeder müsse sich fragen, was er für sich selbst tun und wie er seine Talente und Fähigkeiten zu seinem Nutzen einsetzen könne. "Die Ich-AG steht für den eigenverantwortlichen Menschen", betont Strauß. "Der Staat muss seine Rolle als Väterchen, das sich um jeden kümmert, verlieren. Er kann sie ja nicht mehr bezahlen. Aber er muss Rahmenbedingungen schaffen."

Eben diese Rahmenbedingungen sieht jedoch der deutsche Ökonom und Forscher auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik, Karl-Heinz Brodbeck, gefährdet: "Es findet ja ein Wettbewerb um Moral statt - ein Wettbewerb nach unten", gibt er zu bedenken. Gebe es an einem Standort noch Regeln, wie man mit Menschen umzugehen hat, verlagere man sein Unternehmen eben dorthin, wo diese Regeln nicht gelten. "Über den Standortwettbewerb treten Moralsysteme miteinander in Wettbewerb." Staatliche Eingriffe, um diesen Wettbewerb zu stoppen, würden mit dem Argumenten der Standortsicherung verhindert. "Aber man muss sich ohnehin in Erinnerung rufen, dass die Quelle der Moral nicht der Staat ist", betont Brodbeck: Moral sei immer schon aus spirituellen, religiösen und philosophischen Systemen gekommen. "In den vergangenen 200 Jahren hat sich das Individuum als Träger der Moral in den Vordergrund gerückt, daher sollte man Tugenden wie Fairness schon in der Management-Ausbildung berücksichtigen", fordert der Ökonom.

Die Ich-AG ist für Brodbeck aber kein neues Phänomen. Sie sei"nur ein später Begriff für eine Tendenz, die im Kapitalismus angelegt ist seit seinem Ursprung. Die Marktwirtschaft ist ihrem eigenen Begriff adäquat geworden." Immer schon sei es um die Frage gegangen, wie zwischen egoistisch konkurrierenden Individuen Harmonie hergestellt werden könne. "Das war das Thema von Adam Smith, aber zu seiner Zeit war das Individuum gleichbedeutend mit Besitzbürger." Während also damals Besitzende miteinander konkurrierten, betreffe die neue Konkurrenz jeden: "Nichtbesitzende konkurrieren mit Besitzenden, als wären sie selbst Besitzende." Nicht nur zwischen Ich-AGs, sondern auch innerhalb von Unternehmen. Für Brodbeck paradox, denn: "Man kann eine Organisationsstruktur nicht auf Wettbewerb aufbauen, da braucht man Vertrauen, Teamwork. Also völlig andere ethische Werte."

ICH-AG

Seit Beginn des Vorjahres ist es in Deutschland möglich, mit finanzieller Unterstützung des Arbeitsamtes aus der Arbeitslosigkeit heraus ein Kleinunternehmen, im Volksmund "Ich-AG" genannt, zu gründen. Ursprünglich wurde jedem arbeitslosen Interessenten für längstens drei Jahre ein Zuschuss zur Firmengründung zur Verfügung gestellt. Besondere Begleitmaßnahmen waren nicht vorgesehen, zudem war nicht einmal ein Geschäftsplan notwendig. 90.000 Personen machten sich so im Jahr 2003 selbstständig. Vor allem wegen der fehlenden Überprüfung der Erfolgsaussichten wurde die Befürchtung laut, dass das Konkursrisiko nach Auslaufen der Zuschüsse sehr hoch sein werde. Ab 2005 wird die Förderung daher an das Vorliegen eines tauglichen Konzeptes geknüpft.

Rund 180 Zuhörer verfolgten vorigen Mittwoch in der Wiener Investkredit die Diskussion über "Glanz und Elend der Ich-AG", die im Rahmen der Reihe "Welche Werte braucht die Wirtschaft" von der Furche gemeinsam mit ihren Partnern (Austria Perspektiv, Wirtschaftskammer Österreich, Radio Stephansdom und Investkredit) veranstaltet wurde.

Die deutsche Erziehungs- und Sozialwissenschafterin Marianne Gronemeyer hielt das Hauptreferat (siehe Seite 10). Unter der Moderation von FurcheHerausgeber Heinz Nußbaumer diskutierten im Anschluss Prälat Joachim Angerer, Meinungsforscher Werner Beutelmeyer und der Geschäftsführer der Minas Gruppe, Klaus Woltron, angeregt über Pro und Contra der Ich-AG (Seite 11).

Es war die zweite Veranstaltung in dieser Reihe, die kommenden April mit Kardinal Christoph Schönborn fortgesetzt wird.

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