Verfahrene Seilschaften
Der Skandal um die deutsche Automobilindustrie zeigt weniger kriminelle Energie auf als vielmehr völlig veraltetes Wirtschaftsdenken. Über ein Kartell von Untergehern.
Der Skandal um die deutsche Automobilindustrie zeigt weniger kriminelle Energie auf als vielmehr völlig veraltetes Wirtschaftsdenken. Über ein Kartell von Untergehern.
Man dachte ja bisher, die germanische Autoindustrie sei ein beinhartes Gewerbe. 626.000 Arbeitsplätze, 217 Milliarden Euro Umsatz, globale Konkurrenz und eine Branche im Umbruch. Da müsste doch, so meint der Laie, ein jeder sehen, wo er bleibt mit seiner deutschen Wertarbeit, egal, ob er nun BMW heiße; Audi und VW, Porsche oder Mercedes. Ein jeder würde also gegen jeden mit allen Mitteln seinen Vorteil im Wirtschaftsringen suchen. Auch illegale Machenschaften wären wohl ein erwartbarer Teil des Spiels, Schmiergeld, frisierte Daten, kreative Absatzzahlen, sehr kreative Leistungsdatenmessungen, siehe VW und seine Abgasbetrügereien.
Aber schon nach diesem Skandal blieb die Konkurrenz merkwürdig still. Kein böses Wort Richtung VW, es herrschte stilles Mitleid. Wie weit dieses Mitleiden bis ins Mitmachen reichte, scheint sich jetzt zu offenbaren. Wenn die Vorwürfe des Spiegel stimmen, trafen sich die Mitarbeiter der deutschen Autobauer bis zu tausend Mal konspirativ.
Tausend Verabredungen
Man verabredete sich, im Sinne der Kostensenkung gleiche Zulieferprodukte fertigen zu lassen oder die Autos mit der gleichen technischen Ausstattung auszurüsten. Was zählte, waren die Kosten, nicht die Qualität der Produkte. Eines unter anderen Ergebnissen: Eine weniger leistungsfähige Abgasreinigung, die - symbolisch höchst interessant -gegen einen Platz für Golfbags abgetauscht wurde. Alles eine Frage der Prioritäten. Mehr als tausend geheime Treffen enthüllte der Spiegel. Selbstanzeigen folgten, oder Dementis, je nachdem. Aber der Kern des Problems liegt nicht im Abgasfilter oder krimineller Neigung Einzelner. Er liegt in der Auffassung, dass die Wirtschaft der Wirtschaft zu dienen habe.
Es ist eine historische Pikanterie, dass sich die Väter der Automobilindustrie das Verfahren des Fließbandes von den Schlachthöfen abgeschaut haben und dass Henry Ford die ideale Industriegesellschaft in einem autokratischen Führerstaat verortete, nicht in der Demokratie.
Letztlich geht es hier aber nicht einmal um eine politische Überzeugung. Es geht um die Stellung der Konsumenten im Marktprozess. Er muss fressen, was die Schlachthöfe hergeben, und die Effizienz der Schlachthöfe steigt, je mehr der Produktionsprozess vereinheitlicht werden kann, indem man etwa ein Kartell bildet. Der Preis der produktiven Wucht ist aber ein schwerfälliges System, das sich umso schwerer neuen Entwicklungen anpassen kann, je größer es wird.
Merkwürdige Vorbilder
Die deutsche Automobilindustrie folgt mit ihren Kartellen Vorbildern aus der Gründerzeit des frühen 20. Jahrhunderts. Damals war das gängige Modell Deutschlands das Kartell - es war sogar gesetzlich geschützt. 2033 Kartelle bestimmten das deutsche Wirtschaftsleben in den 30er-Jahren - und taten dies auch noch mit großem Gewinn in der Zeit der nationalsozialistischen Planwirtschaft, sei es nun IG-Farben, die Dresdner Bank oder die Deutsche Bank. Viele Wirtschaftskarrieren der unter dem Kartellsystem groß gewordenen Manager setzten sich nach dem Krieg nahtlos fort. Das mag mit ein Grund sein, warum das Antikartellgesetz von 1957 nie wirklich ankam in der Realität der Autobauer.
Ludwig Erhard hat die soziale Marktwirtschaft als Gegenentwurf zur kartellgeprägten NS-Industrie konzipiert. Die Wirtschaft sollte Reichtum und Chancengleichheit und damit "Wohlstand für Alle" herstellen. Der Autoskandal ist in diesem Sinne Beleg eines dramatischen Denkfehlers. Er zeigt, dass sich die Autobauer nicht in die globale Zukunft, sondern in eine Vergangenheit zurückentwickelt haben, die das schlechteste aller Systeme hervorbringt: Gruppendenken und Entscheidungsstarre, Verfilzung und Verschlafenheit gegenüber technischen Entwicklungen. Der Stolz der deutschen Wirtschaft wird noch erkennen müssen, dass eine solche Pervertierung des freien Marktes auf lange Frist nur mit einem Todesurteil enden kann. In diesem Fall sollte man freilich von Selbstmord sprechen.
oliver.tanzer@furche.at
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