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Verfassung und Abbau der Länderrechte

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Die Übersicht über die geschichtliche Entwicklung des österreichischen Verfassungsrechts, die Professor Dr. Ludwig A d a m o-v i c h einleitend in seinem eben in vierter neubearbeiteter Auflage vom Springer-Verlag herausgegebenen „Grundriß des österreichischen Verfassungsrechts“ bietet, ist kurz und klar, doch in den Ausführungen über die Verfassung 1934 fällt folgende Stelle auf:

„Das leitend« Organisationsprinzip bildete nicht mehr die Bestellung der Organe von unten durch das Mittel einer möglichst allgemein gehaltenen Volkswahl, sondern die Bestellung von oben durch das Mittel der Ernennung von Seiten der in stufenweisem Aufbau gelagerten, übergeordneten Organe. Das politische Ubergewicht lag nicht wie beim parlamentarischen Prinzip bei den gesetzgebenden Körperschaften, sondern bei den obersten Organen der Vollziehung, die ihrerseits auf die Zusammensetzung und Tätigkeit der verschiedenen Vertretungskörper im Bereiche des Bundes und der Länder den entscheidenden Einfluß ausübten.“

Das ist nur richtig, soweit Österreich unter dem Regime des „Ü berganges zur Verfassung 193 4“ lebte, einem Stadium, das bis anfangs 1938 noch bestand, weil bis zur Besetzung durch das Deutsche Reich der berufständische Aufbau noch nicht ganz vollendet war. Die wirkliche Verfassung 1934 ist bezüglich der Bestellung des Bundeskulturrates und des Bundeswittschnftsrates bekanntlich nie in Kraft getreten. In dieser wirklichen „Verfassung 1934“ war vorgesehen, daß der Bundeswirtschafts- und der Bundes-kulturrat, wie dann auch von Professor Adamovich richtig gesagt wird *, von den Berufsständen und von den kulturellen Gemeinschaften aus ihrer Mitte zu wählen seien; ihre Zusammensetzung unterlag also nicht dem entscheidenden Einfluß der obersten Organe der Vollziehung.

In der Übersicht über die Rechtsentwicklung in Österreich leuchtet der Verfasser klar in den Wirrwar hinein, der durch den Einbruch der deutschen Gesetzgebung in unser Recht entstanden ist; er schließt sich dem berechtigten Verlangen nach einer zusammenfassenden Kodifikation der gesamten österreichischen Rechtsvorschriften in einer geschlossenen neuen Gesetzessammlung an. Möge diese Arbeit von Meinern unternommen werden, wie sie bei Schaffung unseres Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811 zur Verfügung standen. Das Kapitel „Die Quellen des österreichischen Verfassungsrechtes“ macht die noch sehr schwache Beständigkeit der österreichischen Verfassung, also des Grundrechtes unseres Staates, deutlich. Die Verfassung von 1920 wurde durch eine endlose Reihe späterer Gesetze abgeändert und ergänzt, abgesehen von den zahllosen, in vielen Gesetzen eingestreuten Paragraphen, denen durch Zweidrittelmehrheit im Parlament verfassungsändernde Kraft verliehen wurde. Der Weg zur Verfassungsänderung ist bei uns viel zu leicht gangbar. Soll eine Verfassung sich als Grundgesetz des Staates bewähren, so muß man es etwa machen wie in der Schweiz. Dort kann der Nationalrat nicht einfach jedem beliebigen Gesetz durch eine qualifizierte Mehrheit verfassungsrechtlichen Charakter verleihen. Wenn ein Gesetz geschaffen werden soll, zu dessen Erlassung die Verfassung den Nationalrat nicht ermächtigt, so muß in der Schweiz zuerst der Text der Verfassung durch einen Zusatz zu einem Artikel ergänzt werden und diese Ergänzung der Verfassung unterliegt dann der obligatorischen Volksabstimmung. Auf diese Art sind unnotwendige und unüberlegte Verfassungsänderungen sehr erschwert, die Verfassungsänderungen werden zur Seltenheit; die ganze Verfassung ist in dem jeweils durch die Novellen ergänzten Verfassungsgesetz enthalten und nicht wie bei uns in Hunderten von Bnndesgeset-zen zerstreut. Hoffentlich erlebt unser

Volk auch noch einmal so viel politische Ruhe und Stetigkeit, daß unsere Verfassung zu einem wirklich standfesten und verläßlichen Grundgesetz des Staates gemacht werden kann.

Ob Professor Dr. Adamovich über die leitenden Grundsätze der Verfassung (demokratisches, bundesstaatliches, rechtsstaatliches Prinzip) schreibt oder über die staatliche Organisation (Volksvertretungen, Organe der Vollziehung), die Ausübung der staat-lidien Funktionen oder die Kontrolle der Gesetzgebung und Verwaltung behandelt: immer stehen wir unter dem Eindruck, daß sein Buch kraft profunder Kcnntis der Materie dem Juristen wichtig, infolge klarer und einsichtiger Darstellung dem Laien verständlich ist. Das sind hervorstechende Vorzüge dieses Werkes. Selbst eine so komplizierte Materie wie die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern wird so hell durchleuchtet und übersichtlich gegliedert, daß sie allgemeinem Verständnis begegnen muß. Dieser hervorragende Verfassungsjurist verhehlt auch nicht, daß die seit 1920 eingetretenen Verfassungsänderungen einen fortdauernden Abbau der Rechte der Länder gebracht, haben. Seine Darstellung der Verteilung der Kompetenzen beschränkt sich auf den heute geltenden Rechtszustand. Eine anmerkungsweise gebotene Zusammenstellung der seit 1920 aus der Länderkompetenz herausgebrochenen Stücke hätte man dankbar begrüßt. Leider ist festzustellen, daß die Lehren von der Verteilung der Zuständigkeit zwischen dem Bund und den Ländern auf dem Gebiete des Abgabenwesens heute fast ohne prak-tisdie Bedeutung sind, weil die reich s-deutschen Vorschriften noch in Geltung stehen, die die Länder und die Gemeinden zu Aschenbrödeln des Bundes machen. Es hat ein verantwortlicher Mann kürzlich darauf hingewiesen, daß eine Neufassung der bezüglichen Verfassungsbestimmungen und eine Neuschöpfung des Ahgabenteilungsgesetzes eine Sache sei, die guter Überlegung bedürfe. Das ist richtig. Sie ist aber auch eine Sache, bei der die Länder wohl achtgeben müssen, daß sie nicht durch das Abladen finanzieller Lasten auch ihre Einnahmen und — was bedenklicher ist — auf die Dauer ihre Kompetenzen vermindern. Wünschenswert ist auf keinen Fall, daß der heutige Zustand noch lange fortdauere und Länder und Gemeinden sich der Beschaffung ihrer Mittel im eigenen Wirkungsbereiche ganz entwöhnen; damit geht ein Stück Verantwortungsbewußtsein verloren*.

Dr. Adamovich stellt fest, daß der Rechnungshof den Bundesrechnungsabschluß anzufertigen und dem Nationalrat vorzulegen habe. So ist es auch nach der Verfassung 1929, wie sie heute gilt. Damit steht aber § 19 des weder aufgehobenen noch abgeänderten Rechnungshofgesetzes vom 12. Oktober 1945, StGBl. 210, im Widerspruch, der bestimmt, daß der Rechnungshof den Staatsrechnungsabschluß zu entwerfen, dann aber den Entwurf dem Finanzministerium vorzulegen hat, das den endgültig bereinigten Entwurf dem Nationalrat vorzulegen hat. Diese Gesetzesbestimmung bedeutet eine Abschwächung der Kontrolle seitens des Rechnungshofes gegenüber dem Finanzministerium und steht, wie schon bemerkt, mit der Verfassung im Widerjpruch.

Artikel 140 (1) bestimmt, daß der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen auf Antrag einer Landesregierung zu erkennen hat. Diese Bestimmung bezieht sich auch auf Gesetze, die aus einer Zeit stammen, wo die heutige Verfassung noch nicht in Geltung stand. Der Verfasser schränkt die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofes in diesem Falle dahin ein, daß er nur zu prüfen habe, ob das Gesetz zur Zeit seiner Erlassung der damals gültigen Verfassung entsprochen habe. Warum? Der Verfassungsgerichtshof muß doch auch erkennen können, daß dieses ältere Gesetz der heutigen Verfassung widerspricht und muß es daher aufheben können. Der Wortlaut und der Zweck des Artikels 140 (1) spricht doch wohl dafür.

* Ein Irrtum ist Seite 181 unterlaufen, wo es heißt: „Mitglieder der Landesregierungen, die beruflich als Rechtsanwälte oder Notare tätig sind, haben nach der Vorschrift des Gesetzes vom 19. Dezember 1919. StGBl. 539 für die Dauer des Amtes einen Substituten zu bestellen.“ Derselbe Irrtum erscheint Seite 175. In Wirklichkeit beschränkt sich diese Anordnung auf das Amt des Landeshauptmannes und seines Stellvertreters; sie hat keine Anwendung auf die Landesräte.

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