Verfassung verpasst

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Wirkliche Verfassungsväter, Verfassungsmütter, Verfassungskinder haben orangene Schals um den Hals. Österreich braucht das jetzt nicht, daraum haben wir Franz Fiedler.

Franz Fiedler hat sich zurecht Giscard d'Estaing zum Vorbild genommen: Der Verfasser einer neuen österreichischen Verfassung hat nur gegenüber dem Verfasser der Verfassung der Europäischen Union einen gravierenden Nachteil: Ohne die neue EU-Verfassung funktioniert das europäische Werkl nicht mehr, Österreich aber funktioniert - auch ohne Fiedlers Fleißaufgabe.

Aber ohne Druck - schaut's aus - geht nichts, damals nicht und heute nicht: Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 ist ja nicht vom Himmel gefallen. Das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 war ein schwierig ausverhandelter politischer Kompromiss zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen. Nicht Hans Kelsen, sondern Otto Bauer und Ignaz Seipel, Jodok Fink und Karl Renner waren die wirklichen Schöpfer der Verfassung. Kelsen gab dem politisch ausgehandelten kleinsten gemeinsamen Nenner der Großparteien eine bestimmte, klug austarierte juristische Form. Und das Bundes-Verfassungsgesetz wurde von Anfang an von den Parteien instrumentiert: Die Geschichte der Verfassung und vor allem ihrer Interpretation reflektiert den österreichischen Parteienstaat.

Das ist heute völlig anders: Zuerst fehlt schon einmal der politische Grundkonsens, dass es eine wirklich neue Verfassung für Österreich braucht: Wenn beim Konvent nichts rauskommt, macht's auch nicht viel. Warum hat man denn eigentlich mit der Diskussion über die Verfassung begonnen? Nicht aus der Not heraus, schon eher aus kosmetischen Gründen. Der Verfassungs-Steinbruch hat die Juristen gestört: Dort ein Paragraf, da einer - das ist nicht schön, da gehört was zusammengeführt, da braucht es Redaktion, da muss man redigieren.

Und Franz Fiedler ist - trotz vieler derartiger hämischer Zwischenrufe - nicht Hans Kelsen. Der Österreich-Konventspräsident hat mit seinem Verfassungsvorschlag nicht einen politisch ausgehandelten Kompromiss in Paragrafen gefasst. Franz Fiedler hat das Heft in die Hand genommen nach dem Motto: Irgendwann muss Schluss mit dem Diskutieren und Debattieren im Österreich-Konvent sein, irgendwann muss was herausschauen, und irgendwann ist jetzt, und was herausschaut, das schreibe ich, das muss ich jetzt schreiben.

Löblich, nur Franz Fiedler hat mit seinem Papier die Parteien, ja ganz Österreich überholt. Und beide, die Parteien und Österreich, sind mehrheitlich ganz froh darüber, dass ihnen einer den Konvent rettet und mit seinen 295 Artikeln eines Verfassungsentwurfs etwas zum Herzeigen gibt. Aber Franz Fiedler ist kein Politiker, Fiedler ist Beamter, und die Fiedler'sche Verfassung ist kein politischer Kompromiss, sondern ein von einem Beamten - der die politischen Befindlichkeiten nur zu gut kennt - austariertes Diskussionspapier. Jetzt zu sagen, dieser Entwurf bleibt hinter den Erwartungen zurück, ist völliger Humbug: Es gab keine Erwartungen an Fiedler, es gab auch keine Erwartungen an den Konvent außer einem diffusen "Irgendwie neu, irgendwie anders, irgendwie besser".

Grundvoraussetzung für eine demokratische Verfassung ist jedoch eine demokratische Gesellschaft, die es treibt, ihr Selbstverständnis in Worte, in Artikel und Paragrafen zu fassen. Am Anfang einer jeden demokratischen Verfassung steht, muss stehen: "Wir das Volk, ..." Eine demokratische Verfassung ist das Produkt einer öffentlichen rechts- und demokratiepolitischen Diskussion, die bewusst mit dem Faktum gesellschaftlicher Interessensgegensätze umgeht und sich von einem autoritären "Recht ist Recht" und noch mehr "Macht hat Recht" verabschiedet hat.

Verfassungsväter, Verfassungsmütter, Verfassungskinder haben orangene Schals um den Hals - die "orangene Revolution" in Kiew in den letzten Monaten hat das eindrucksvoll gezeigt. Und wer sich ein wenig für den österreichischen "Verfassungsvater" Hans Kelsen interessiert, wird auch da einen unermüdlichen Aufklärer und Verteidiger demokratischer Grundprinzipien entdecken. Doch in Österreich ist heute keine orangene Revolution notwendig, das Werkl funktioniert auch ohne Schals. Darum hat Österreich auch heute keinen Kelsen, sondern einen Fiedler, der eine gute Verfassung noch besser noch schöner machen will - lassen wir ihn!

wolfgang.machreich@furche.at

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