Supreme Court - © Foto: APA / AFP / Samuel Corum

Verfassungsgerichte: Unfehlbar?

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Die Entscheidung des US-Supreme Court zum Recht auf Abtreibung hat die Debatte um die Legitimität von Verfassungsgerichten angeheizt. Grundsätzliche Gedanken.

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Die Entscheidung des US-Supreme Court zum Recht auf Abtreibung hat die Debatte um die Legitimität von Verfassungsgerichten angeheizt. Grundsätzliche Gedanken.

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Ob Pandemiebekämpfungsmaßnahmen, Kopftuchverbote für Volksschülerinnen, Sterbehilfeverbote oder Abtreibungsverbote: Verfassungsgerichte sind heute mit brisanten gesellschaftlichen Konflikten befasst, wenn sie Sachverhalte anhand der Verfassung – insbesondere der Grundrechte, deren Garantie ihnen aufgegeben ist – beurteilen. Bei der Deutung der Verfassung genießen sie Spielräume. Dadurch können sie – insbesondere bei der verfassungsrechtlichen Prüfung von Gesetzen – in den Mittelpunkt machtpolitischer Kontroversen geraten. Europaweit sind Verfassungsgerichte zudem immer öfter autoritären Tendenzen ausgesetzt – wenn nicht einem Krieg. Umgekehrt spitzt aktuell die weltweit debattierte Judikaturänderung des US Supreme Court zum Abtreibungsrecht die Problematik verfassungsgerichtlicher Entscheidungsmacht weiter zu. Verfassungsgerichte fällen eben Entscheidungen, die alle in einem Staat betreffen (können).

Verfassungsgericht als letzte Instanz

Nun muss jeder Rechtsweg schließlich einmal enden – in Verfassungsfragen typischerweise beim Verfassungsgericht. Das macht Verfassungsgerichte jedoch nicht per Design vollkommen. Die Finalität ihrer Entscheidungen ist nicht mit inhaltlicher Unfehlbarkeit gleichzusetzen. Der US Supreme Court-Richter Robert H. Jackson hat das in den frühen 1950er Jahren einmal treffend so formuliert: „We are not final because we are infallible, but we are infallible only because we are final.“

Umso brennender ist die Frage nach der Legitimation einer verfassungsgerichtlichen Machtvollkommenheit. Die Forschung diskutiert diese Macht als von – überlegenem – Wissen herrührende Autorität. Diese Zuschreibung geht von Qualifikationsanforderungen aus, die von Kandidat(inn)en für das Amt zu erfüllen sind. Solche kennt auch die österreichische Verfassung. Wie jede Form staatlicher Macht bedarf verfassungsgerichtliche Autorität einer funktionsgerechten Rechtfertigung. Auch Verfassungsgerichte unterliegen also Rechtfertigungszwängen.

Doch was genau gilt es gegenüber wem konkret zu rechtfertigen? Hier ist es sinnvoll, die Verfassungsgerichtsbarkeit aufgefächert zu denken – in Erscheinungsformen, Formaten, Akten und Elemente. So lässt sich etwa klassisch nach der Rechtfertigung der gesamten Institution oder einer einzelnen Entscheidung(slinie) fragen – aber auch nach Rechtfertigungspotenzial im Entscheidungsstil, in der Diskussionskultur oder in der Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts. Weiters kommen diverse Rechtfertigungssubjekte in Betracht – etwa die Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens, die (Fach-)Öffentlichkeit oder die politische Führung des Staates.

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