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Digital In Arbeit

Verhandeln - nicht diktieren!

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38 : 14 — das ist die kurze Formel, die die allgemeine Wertung der bäuerlichen Arbeit der Landwirtschaft und des Bauerntums ausdrückt.

Es ist Tatsache, (daß die Landwirtschaft von allen Arbeitsstunden in Oesterreich ungefähr 38 Prozent leistet, und es ist Tatsache, daß die Landwirtschaft vom Nationaleinkommen Oesterreichs etwa 14 Prozent bezieht, wiese z,anien sind vor einigen Monaten von NR. Nimmervoll auch im Parlament genannt worden. Diese Formel zeigt einen ungeheuerlichen Mißstand auf: 38 Prozent der Arbeitsstunden werden mit 14 Prozent des Nationaleinkommens entlohnt.

Man muß sich abgewöhnen, immer so zu tun, als ob eine soziale Frage nur im Bereich der Arbeiterschaft bestünde. Vielleicht kann man sogar sagen, daß die Arbeiterfrage nicht mehr eine Frage sei, weil allgemein anerkannte Lösungsvorschläge vorliegen. Für die Lösung der Bauernfrage gibt es kein Konzept, das eine HlgAieine Zustimmung gefunden hätte. Das ist der große Unterschied. Die Bauernfrage ist also heute vielleicht die eigentliche soziale Frage.

Pius XII. hat 1939 geschrieben: „Der wesentliche Punkt der sozialen Frage ist der, daß die von Gott für alle Menschen geschaffenen Güter auch allen Menschen in gleicher Weise erreichbar sind, in Gerechtigkeit und Liebe.“ Die Grundlage jeder sozialen Ordnung muß also sein: Gerechtigkeit und Liebe. Die Gerechtigkeit verlangt natürlich, daß Arbeit und Arbeitsertrag in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen. Und nun erwägen wir noch einmal die Verhältniszahl 38 : 14. Die Landwirtschaft leistet 38 Prozent aller Arbeitsstunden und erhält 14 Prozent des Nationaleinkommens, das heißt die landwirtschaftliche Arbeitsstunde wird zu zirka 40 Prozent des Durchschnittslohnes entlohnt, oder mit anderen Worten: 60 Prozent der landwirtschaftlichen Arbeit wird nicht bezahlt. Die gesamte LandWirtschaft wird also, wenn man das ganz ungeschminkt sagen wollte, um 60 Prozent des Arbeitslohnes betrogen. Da nun das Einkommen der Flachlandbauern viel höher ist als das Einkommen der Bergbauern, verschiebt sich dieses Verhältnis um ein gutes Stück zuungunsten der Bergbauern.

Wir wollen noch auf ein anderes Unrecht hinweisen. Die landwirtschaftliche Bevölkerung beträgt 21 Prozent der Gesamtbevölkerung Oesterreichs, leistet aber 38 Prozent aller Arbeitsstunden, das heißt jeder landwirtschaftliche Arbeiter, der Bauer, seine Dienstboten und seine erwachsenen Kinder arbeiten im Durchschnitt zirka 40 Prozent mehr als der Durchschnittsösterreicher. Die Landwirtschaft ist also arbeitsmäßig schwer überlastet.

Besonders schwer trifft die Ueberlastung die Bäuerin. Genaue Erhebungen haben ergeben, daß viele zehntausende Bäuerinnen jährlich bis zu 4500 Stunden arbeiten. Diese beiden Probleme sind die große, heutige soziale Frage:, die eklatante Unte'rbewertung der landwirtschaftlichen Arbeit und die Ueberbelastung der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Es kann natürlich nicht als Lösung bezeichnet werden, wenn von Seiten der Wirtschaft vorgeschlagen wurde, man möge einfach die landwirtschaftliche Bevölkerung von 21 auf 14 Prozent vermindern, dann wäre das Nationaleinkommen im richtigen Verhältnis zum Bevölkerungsanteil. Diese Lösung würde die Ueberbelastung in ein unerträgliches Maß steigern, würde also das Unrecht natürlich noch vergrößern.

Für das gesamte Volk können damit Gefahren entstehen. Die ganze Welt spürt noch heute die Folgen der sozialen Ungerechtigkeit, die den Arbeitern zur Zeit der beginnenden Industrialisierung vom liberalen Kapitalismus angetan •worden sind. Wir wollen auf einige böse Folgen dieser sozialen Ungerechtigkeit, die dem Bauernstand angetan wird, hinweisen: Vieler Bauern, besonders' Bergbauern, bemächtigt sich in steigendem Maße eine Enttäuschung. Eine Zeitung hat vor einigen Wochen den Brief einer Bäuerin veröffentlicht, in dem diese die Bäuerin „die Sklavin des sozialsten Staates“ nannte. Eine beängstigende Folge ist die Abwanderung wertvoller junger Menschen aus dem Bauernstand. Wenn dieses Abwandern weitergeht, wird sich daraus eine Gefahr für die Ernährung des Volkes ergeben. Lassen wir uns nicht von augenblicklichen Absatzschwierigkeiten in landwirtschaftlichen Produkten täuschen. Wir wissen, daß heute 63 Prozent der Menschheit unterernährt sind, wir wissen, daß der Hunger in der Welt rasch voranschreitet. Die Ernährungsfrage bleibt auch weiterhin von allen diesseitigen Fragen die wichtigste Frage jedes Volkes. Wir müssen uns also hüten, die Ernährung in Gefahr zu bringen. Da es aber nicht zumutbar ist, daß wertvolle, fähige, fleißige Menschen dauernd um einen ungerechten Lohn arbeiten,ist zu erwarten, daß die Abwanderung junger bäuerlicher Menschen weitergeht, wenn diese oben aufgezeigte Ungerechtigkeit nicht behoben wird. Die verfallenden Höfe sind ein ernster Alarm für uns alle.

Eine weitere Folge ist die, daß Bauernmädchen nicht mehr bereit sind, einen jungen Bauern zu heiraten. Und das ist nicht verwunderlich. Wenn eine Bergbauerntochter 25 Jahre* lang die Rackerei ihrer Mutter mitangesehen hat, wenn s'ie täglich die Geldnot gespürt hat, dann können wir uns nicht wundern, daß sie sich scheut, diese Last auf sich zu nehmen. Gerade heute, da für alle Schichten der Bevölkerung der Lebensstandard steigt und die Arbeitszeit verkürzt und das Leben bequemer wird, haben wir kein Recht, solche Mädchen anzuklagen.

Wir wollen diese böse Lage unseren Bauern nicht immer wieder vor Augen halten, weil es dann geschehen könnte, daß wir dadurch die Abwanderung beschleunigen. Doch scheint es mir richtiges Pharisäertum zu sein, die Bauern immer wieder zu trösten mit dem Hinweis, daß ihre Arbeit sehr abwechslungsreich sei, daß sie in frischer Luft arbeiten könnten, daß sie einen schönen Titel, „Nährvater des Volkes“, tragen — wenn wir nicht zugleich mit allem Ernst an der Beendigung der aufgezeigten Ungerechtigkeiten arbeiten. Dieses soziale Unrecht am Bauerntum muß verschwinden. Die Bauernfrage muß gelöst werden.

Was kann getan werden? Vor allem muß einmal alles getan werden, daß sich unser Volk, wenigstens alle jene Menschen, die im Volk etwas bedeuten, für diese Frage interessieren. Die Bauernfrage ist nicht eine Frage der Bauern, sondern eine Frage des gesamten Volkes. Man möge endlich in dieser Frage das System der Partnerschaft anwenden, das heißt, den Bauern wirklich als Verhandlungspartner anerkennen. Man hat ja bisher die Preise der Bauern weithin nicht mit ihnen verhandelt, sondern diktiert. Wenn eine Autofirma einen neuen Wagen auf den Markt bringt, steht es ihr zu, daß sie den Preis des Wagens kalkuliert. Der Landwirtschaft wird dieses Recht nicht zugestanden. Man hat zum Beispiel den Milchpreis einfach diktiert. Von diesen Diktaten schreibt sich ja das Verhältnis 38 :14 her. Also verhandeln, kalkulieren, nicht diktieren! Sklaven diktiert man, mit Partnern verhandelt man. .

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