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Von ihren Eltern an Schleppernetzwerke vermietete Kinder werden zum Betteln, Stehlen und zur Prostitution gezwungen.

Auf der Mariahilfer Straße, einer der belebtesten Einkaufsstraßen Wiens, trägt ein kleines Kind ein gestohlenes Faxgerät, an dem noch das Netzkabel hängt. Ein Kind unter vielen anderen, die von Kinderhändlern in den eu-Raum geschleppt und zu kriminellen Zwecken ausgebeutet werden. "Die Kinder werden derartig unter Druck gesetzt, dass sie in ihrer Verzweiflung aus Büros sehr große Geräte stehlen, weil sie die tägliche Summe von bis zu 400 Euro noch nicht abgeliefert haben", beschreibt Gerald Tatzgern, Leiter der Stelle im Innenministerium zur Bekämpfung von Schlepperkriminalität und Menschenhandel, das Phänomen: "Gearbeitet wird mit Nahrungsentzug, körperlicher Züchtigung bis hin zur sexuellen Gewalt."

Zielland Österreich

Kinderhandel hat viele Facetten - Organhandel, Sklavenarbeit, Prostitution, Pornografie, Pädophilie - und darf nicht mit illegaler Einwanderung, die auch oft durch das organisierte Schlepperwesen ermöglicht wird, verwechselt werden. Auch Österreich ist davon betroffen, sowohl als Transit- als auch als Zielland. Schätzungen gehen weltweit von mindestens 1,2 Millionen, eu-weit von bis zu 500.000 Opfern jährlich aus. Der Großteil der Kinder, die derzeit hierzulande aufgegriffen werden, ist zwischen sieben und zwölf Jahren und stammt vorwiegend aus Bulgarien. Viele von ihnen sind Roma. Für rund 2000 Euro - das entspricht in den armen Regionen Südosteuropas oft dem Jahreseinkommen einer Familie - werden die Kinder für einige Monate an kriminelle Netzwerke vermietet. Durch notariell bestätigte Obsorgeermächtigungen der Eltern wird der Handel mit Kindern vereinfacht und die Ausreise mit Schleppern legalisiert. Auch die dreimonatigen Aufenthaltsgenehmigungen sind meistens echt. Wenn die Kinder, die für gewöhnlich in kleineren Gruppen zusammenarbeiten, ihre Diebstahlquote nicht erfüllen, droht ihnen körperliche Misshandlung, den älteren Mädchen auch die Prostitution. Norbert Ceipek, Leiter der "Drehscheibe für unbegleitete minderjährige Fremde", einer Wiener Einrichtung der ma11, erinnert sich an ein 14-jähriges Mädchen, für das ein Vermittler 700 Euro für 24 Stunden bezahlt hatte, um sie dann an Männer äußerst gewinnbringend weiterzuvermieten. "Erst der 17. Freier war ein Lockvogel und so brachte sie die Polizei zu uns." Man dürfe nie vergessen, selbst wenn solch ein Kind einem die Gelbörse stehle, "dass keines von ihnen ein Täter ist. Sie sind alle - durch die Bank - Opfer".

2002 wurde die "Drehscheibe" zum ersten Mal mit dem Phänomen konfrontiert: Tröpfchenweise kamen Kinder aus Südosteuropa nach Österreich. Doch dann explodierte die Anzahl der von europaweit organisierten Schleppern gehandelten Kinder regelrecht: Rund 800 Kinder wurden in den vergangenen zweieinhalb Jahren in die Wiener Einrichtung eingewiesen.

Das Team der "Drehscheibe" musste zunächst in völliger Eigenregie Kontakte zu ngos, Botschaften, Regierungen und Behörden der Herkunftsländer knüpfen. Ceipek bemängelt auch, dass nach wie vor die Ministerien kaum Interesse für die Problematik zeigen: Auf Unterstützung und Hilfe beim Aufbau von Kontakten oder bei der Repatriierung von Kindern durch Vereinfachung von behördlichen Wegen könne die "Drehscheibe" nicht wirklich zählen. Als einzige Einrichtung in Österreich, die sich dieser Problematik annimmt, muss sich die "Drehscheibe" auch der Kinder, die in den Bundesländern aufgegriffen werden, annehmen. Das Budget sei mittlerweile auf dem Nullpunkt angelangt, klagt Ceipek, der zusätzlich zu seiner Arbeit in der Wiener Einrichtung auch noch regelmäßig in die betroffenen Länder reist, um dort einerseits mit Politikern und Beamten Gespräche zu führen und andererseits Sozialarbeiter auszubilden und bei der Errichtung von Erstaufnahmezentren zu helfen. Weitere Maßnahmen sind aber auch in Österreich dringend nötig, wie zum Beipiel ein Opferschutzzentrum, das nicht nur den Schutz des Kindes, sondern auch ein einheitliches Verfahren der Übernahme und Rückführung der Opfer von Kinderhandel gewährleisten soll.

Bis zu 20 Identitäten

Dass die Arbeit der "Drehscheibe" Früchte getragen hat, lässt sich deutlich an der Anzahl der in Österreich aufgegriffenen rumänischen Kinder erkennen. Sie ist von 260 im Jahr 2003 auf 16 im vergangenen Jahr gesunken. Mit Hilfe eines rumänischen Verbindungsbeamten wurde jeder einzelne Fall registriert und so gelang es der rumänischen Polizei 49 Schlepperringe auszuheben. Auch wurde ein umfangreiches Repatriierungsprogramm aufgebaut, um die Kinder im Herkunftsland in Heimen oder in ihren Familien unterzubringen und ihnen den Schulbesuch oder eine Ausbildung zu ermöglichen. Doch nun floriert der Handel mit bulgarischen Kindern und hier erweist sich die Zusammenarbeit um einiges schwieriger. Zusagen aus Sophia bekomme er zwar immer wieder, "aber Ergebnisse haben wir leider noch keine gesehen", meint Ceipek. Die Repatriierung von bulgarischen Kindern gestaltet sich vor allem deshalb so schwierig, da die Behörden erst Rückreisezertifikate erstellen, wenn die Kinder zweifelsfrei identifiziert werden können, was angesichts der Tatsache, dass manche der Kinder bis zu 20 Identitäten haben, nur möglich ist, wenn ein Kind selbst aussteigen will. Behindert wird die Arbeit der Drehscheibe auch durch ein seit kurzem geltendes Verbot, die Kinder zu fotografieren, was ermöglicht hatte, diese wiederzuerkennen und nachzuvollziehen, wo und wann welches Kind tatsächlich aufgegriffen worden war. Tanzgern zeigt sich allerdings zuversichtlich, denn als Druckmittel könne "die Karotte des eu-Beitritts natürlich schon einiges bewirken".

Lücken im Gesetz

Bei der Bekämpfung des organisierten Kinderhandels stoßen Polizei und Behörden noch auf andere große Schwierigkeiten. Die Schlepper verstehen, die bestehenden Gesetzeslücken bestens auszunützen. Besonders hinderlich erweist sich für die Polizei die in Europa übliche Praxis, dass Kinder lediglich mit ihrem Namen und ihrem Geburtsdatum im Reisepass der Eltern eingetragen sind. Dem soll allerdings 2006 durch eine eu-Richtlinie beigekommen werden: In Zukunft müssen Kinder entweder über ein eigenes Reisedokument verfügen oder aber mit einem eigenen Foto im Reisepass ihrer Eltern aufscheinen. Kopfzerbrechen bereitet Ceipek auch das Verbot, strafunmündige Kinder unter 14 Jahren festzuhalten. Es gehe ihm nicht darum, für geschlossene Systeme in der Sozialpädagogik zu plädieren, sondern darum aufzuzeigen, dass hier gewollter Opferschutz ungewollt als Täterschutz fungiere. Man muss die Kinder vor den Tätern schützen: "Sie fürchten sich weder vor uns noch vor der Polizei, sie fürchten sich vor den Schleppern und machen deswegen alles, was diese ihnen anschaffen."

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