Verschlepptes Fach "Ethik"

19451960198020002020

Religionspädagoge Anton Bucher stellt in einem neuen Buch den bildungspolitischen Stillstand in Sachen Ethikunterricht, für dessen Einführung er seit Jahren kämpft, dar.

19451960198020002020

Religionspädagoge Anton Bucher stellt in einem neuen Buch den bildungspolitischen Stillstand in Sachen Ethikunterricht, für dessen Einführung er seit Jahren kämpft, dar.

Werbung
Werbung
Werbung

Auch die Auseinandersetzungen um den Ethikunterricht sind ein beredtes Beispiel für den bildungspolitischen Stillstand im Land. Hier zeigen sich Fronten und Verhärtungen, die Evaluationsergebnisse, welche bald 15 Jahre auf dem Tisch liegen, ebenso ignorieren wie die Tatsache, dass immer mehr Schüler ohne Religionsunterricht, in dem Ethik und Wertfragen thematisiert werden, die Schulen verlassen.

Einer, der darum weiß, der an der Universität Salzburg lehrende katholische Religionspädagoge Anton A. Bucher, hat darüber ein Buch verfasst, in dem die Entwicklungen und Versäumnisse auf allen Seiten des ideologischen Spektrums nachzulesen sind: Der kleine Band "Der Ethikunterricht in Österreich" kann als Sittenbild herhalten, der Untertitel "Politisch verschleppt - pädagogisch überfällig!" drückt die Stoßrichtung aus.

Die Geschichte eines Stillstands

Bucher, von Laizisten als Religionspädagoge zunächst für befangen gehalten, entwickelte sich zu einem der engagiertesten Kämpfer für einen verpflichtenden Ethikunterricht der Sekundarstufe II, der Oberstufe der höheren Schulen.

Bucher war von der damaligen Bildungsministerin Elisabeth Gehrer beauftragt worden, 1999/2000 die Schulversuche zum Ethikunterricht zu evaluieren. Diese Evaluation, die zum Optieren für einen Ethikunterricht als alternativen Pflichtgegenstand für die, die nicht den Religionsunterricht besuchen, führte, verschwand in der Schublade und wurde erst zehn Jahre später anlässlich einer parlamentarischen Enquete wieder ans Licht gebracht. Doch seit 2011 ist die Debatte, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wieder im Dämmerschlaf.

Man ist Bucher dankbar, dass er die Entwicklungen seit den 1990er-Jahren nachzeichnet, und erfährt, wie sich die gesetzlichen Religionsgemeinschaften, allen voran die katholische Kirche, zunächst massiv gegen den Ethikunterricht wehrten. Das Büchlein liest sich über weite Strecke wie ein Leitfaden für politische Engstirnigkeit und für Besitzstandswahrung der etablierten Religion. Dass es etwa im "katholischen" Bayern, wie Bucher darlegt, schon längst einen Ethikunterricht gibt, zeigt, dass die Uhren auch anders gehen können.

Bucher referiert die politischen Entwicklungen (der Stillstand kommt angesichts leerer Staatskassen ja auch den Säckelwarten zupass, zumal Ethikunterricht ja nicht gratis ist), stellt aber auch inhaltliche Diskussionslinien dar: Die Religionsgemeinschaften treten heute für einen Pflichtgegenstand Ethik ein, der alternativ zum Religionsunterricht besucht werden kann. Inzwischen ist aber auch die Debatte um einen Ethikunterricht für alle und den konfessionellen Religionsunterricht als Freigegenstand im Gang - derartiges Ansinnen wird naturgemäß von den Religionsgemeinschaften abgelehnt. Umgekehrt stoßen sich Gruppen wie die Konfessionsfreiern, für die Bucher wiederholt eine Lanze bricht, weil sie seiner Meinung nach viel zu wenig gehört und ernst genommen werden, daran, dass Religionslehrer auch Ethik unterrichten, weil die Laizisten dem Religionsunterricht generell Indoktrinierung unterstellen. Dagegen verwahrt sich Bucher.

"Ethik und Religionen" für alle?

Der Autor faltet schließlich seine eigene Vision eines gemeinsamen Unterrichtsfaches "Ethik und Religionen" für alle Schüler aus, das in Kooperation mit den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften zu entwickeln wäre. Dieses Modell hat zurzeit aber realpolitisch keine Chance. Das weiß auch Anton Bucher.

Insgesamt stellt "Der Ethikunterricht in Österreich" eine informative, konzise und gut zu lesende Zusammenfassung des Standes der Diskussion dar. Was das Buch aber problematisch macht, liegt im Atmosphärischen begründet. Bucher wurden bei seinem Engagement für eine offene Diskussion und für die Einführung eines Ethikunterrichts viele Steine in den Weg gelegt. Die Verbitterung darüber durchzieht das Buch.

Man kann eine Entwicklung unter der Devise des halb vollen oder des halb leeren Glases betrachten. Anton A. Bucher tut dies über weite Strecken aus letzterer: Natürlich war die katholische Kirche zu Beginn der Debatte strikt gegen den Ethikunterricht - dass sie ihre Position heute jedenfalls überdacht hat, könnte man ihr anrechnen.

Thema im Nationalratswahlkampf

Umgekehrt sind viele "laizistische" Anliegen mindestens so hinterfragungswürdig wie etwa die diskursiven Auswüchse des Salzburger Weihbischofs Andreas Laun, die Bucher kritisiert. Der Autor fasst die Konfessionsfreien erkennbar sanfter an als die Akteure aus seiner katholischen Kirche.

Zuletzt war der Ethikunterricht im letzten Nationalratswahlkampf ein Thema. Bucher kritisiert da die Instrumentalisierung des Themas durch die ÖVP. Die FURCHE hatte im September 2013 dazu Bucher und die Wiener Schulamtsleiterin Christine Mann zum Gespräch geladen: Beide einte da die Ablehnung dieser Instrumentalisierung Im Buch, in dem der Autor viele Zeitungsartikel zitiert, findet sich allerdings weder ein Hinweis auf diese Debatte noch auf die anderen markanten FURCHE-Diskussionsbeiträge der letzten 15 Jahre

Der Ethikunterricht in Österreich

Politisch verschleppt - pädagogisch überfällig! - Von Anton A. Bucher. Tyrolia 2014.128 S., brosch., € 14,95

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung