Versöhnung über den Gräbern

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Serbische und donauschwäbische Historiker und Publizisten bemühten sich in Wien, das Tabu jahrzehntelangen Verschweigens der Nachkriegsgeschehnisse in der Vojvodina zu durchbrechen.

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Serbische und donauschwäbische Historiker und Publizisten bemühten sich in Wien, das Tabu jahrzehntelangen Verschweigens der Nachkriegsgeschehnisse in der Vojvodina zu durchbrechen.

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Von "zeitweise getrübten Beziehungen durch die Jahrhunderte" sprach der junge Belgrader Historiker Zoran Janjetovic', von "Irritationen als Gründe des Nebeneinander statt des Miteinander" der Wiener Architekt Helmut Frisch - waren es wirklich nur "getrübte Beziehungen", "Irritationen", die schließlich im und nach dem Zweiten Weltkrieg Volksdeutsche und Serben in beispiellosen Haßausbrüchen konfrontierten?

50 Jahre Schweigen über die Tatsache, daß die donauschwäbische Bevölkerung nach 200 Jahren eliminiert wurde, wird heute auch in Belgrad nicht mehr hingenommen. Seit 1993 bemüht sich Zoran Ziletic', Germanistikprofessor an der Universität Belgrad (siehe Interview auf Seite 7), in kleinen Schritten mehr Verständnis für die Überlebenden, ehrendes Andenken für die Toten beider Seiten zu erreichen. Die Zusammenkunft im Wiener "Haus der Heimat", initiiert und organisiert von Helmut Frisch, die Gründung einer "Arbeitsgemeinschaft Dialog" sollten diese Bemühungen auf die Betroffenen in Österreich und Deutschland ausdehnen - auch bei ihnen sind die Vorbehalte noch groß.

Versöhnung - Verständnis - Wissen Voraussetzung zur Versöhnung ist Verständnis, Voraussetzung für Verständnis ist Wissen. Das Wissen um die gemeinsame Geschichte der Völker an Donau und Theiß ist bei den Menschen von heute minimal, bei den Alten lückenhaft, je nach Herkunft gefärbt. Während der Türkenkriege flüchteten die Bewohner der besetzten Gebiete nach Norden, unter den Schutz der Kaiser in Wien, wurden von diesen angesiedelt. So entstand die Militärgrenze zur Abwehr der Gefahr aus dem Südosten. Serben und Kroaten hielten sie als Wehrbauern.

Zur Nutzung der dünnbesiedelten Gebiete holten die Kaiser - Karl VI., Maria Theresia, Josef II. - Bauern und Handwerker aus dem Reich, aus Lothringen, boten ihnen die gleichen Privilegien wie vorher den Serben. Sie sollten nur dem Kaiser unterstellt sein, keinem Landesherrn. Sie machten den Banat zur Kornkammer der Monarchie, zum größten Weinproduzenten.

Die "Irritationen" begannen, führten zu den "getrübten Beziehungen", als die Kaiser in Wien die Versprechungen ihrer Vorgänger zurücknahmen, den Banat Ungarn angliederten, die Ungarn gegenüber Deutschen wie Serben bevorzugten - und als Serben wie Deutsche dem Magyarisierungsdruck nachgaben, wenn sie im Reich der Stefanskrone Karriere machen wollten.

Als dann im jugoslawischen Königreich aus einer benachteiligten Minderheit die Staatsmacht wurde, als Umsiedler aus Altserbien keine Erfahrung im Zusammenleben mit anderen Völkern mitbrachten, wandten die Deutschen ihre Sehnsucht dem Reich zu und begrüßten den Einmarsch der Wehrmacht, die Widerstand mit extremen Repressalien zu ersticken versuchte und damit die ebenso extreme Rache der Partisanen provozierte. Wie weit reichen die Wurzeln der "Irritationen" zurück?

Anton Scherer, der Grazer Historiker und Dokumentar der Donauschwaben, der oft genug gegen wüste Entstellungen serbischer Publikationen aufgetreten ist, zählte im "Haus der Heimat" die Stimmen auf, die Verständnis zeigen, die sich für eine Aussöhnung einsetzen. Es sind noch nicht viele, aber es gibt sie. Auf beiden Seiten noch viel zu wenige.

Auf den Massengräbern des Lagers Knjicanin/Rudolfsgnad, wo mehr als 10.000 Alte, Frauen und Kinder verscharrt liegen, begann Zoran Ziletic', sein Versöhnungswerk in die Öffentlichkeit zu tragen. Im Vorjahr wurde dort die erste Gedenktafel aufgestellt, weitere auf anderen Massengräbern sollen folgen. In Novi Sad/Neusatz, Pancevo und Subotica haben sich Vereine gebildet, die mit Ziletic' die Vergangenheit aufarbeiten wollen. Die offiziellen Stellen in Belgrad halten weiter am Tabu der Titozeit fest.

Lokalaugenschein im Banat Wie sieht es vor Ort aus? Der Fahrer des Autobusses von Belgrad nach Vrsac/Werschetz spricht auch heute noch von der "nemecka crkva", der "deutschen Kirche", die mit ihren zwei Türmen die Kleinstadt, das Zentrum des Südbanat, überragt. Pfarrer Laszlo Gyuris ist Ungar, hat in Innsbruck studiert und ist heute für alle Katholiken in Werschetz und Umgebung zuständig: zwei Sonntagsmessen in Ungarisch, die dritte abwechselnd deutsch oder kroatisch, mit Lesungen in der jeweils anderen Sprache. Die peinlich sauber gehaltene, blumengeschmückte Kirche zeigt noch die Fenster mit den ungarischen Heiligen, aber den deutschen Widmungen. Die Donauschwaben waren bis 1944 die stärkste Bevölkerungsgruppe in der Vielvölkerstadt, auch wenn sie seit dem Ausgleich von 1867 stark dem Magyarisierungsdruck ausgesetzt waren.

Das war die Zeit, in der Felix Milleker durch 48 Jahre Kustos des Werschetzer Museums war, in drei Sprachen publizierte, je nach Anlaß mit Felix, Srecko oder Boldog Milleker unterschrieb und von deutschen, österreichischen wie jugoslawischen Stellen ausgezeichnet wurde.

1921 zählte Werschetz unter 27.000 Einwohnern 13.000 Deutsche, 10.000 Serben und 2.400 Ungarn; 1948, nach Auflösung der Lager, sind unter 23.500 Einwohnern noch 1.200 Deutsche. 1981 zählt die letzte Statistik unter Tito unter 37.000 Einwohnern 27.000 Serben auf und unter 10.000 Angehörigen von 15 weiteren Nationalitäten auch 344 "sonstige", zu denen etwa 100 Deutsche gehört haben dürften.

Was heißt hier "deutsch"?

Aber was heißt hier "deutsch"? Wohl jeder hier, ob er sich als Serbe, als Ungar oder Rumäne fühlt - die Rumänen bilden heute die drittgrößte Gruppe -, hat irgendwo eine volksdeutsche Großmutter im eigenen oder angeheirateten Stamm. Aber Deutschkenntnisse stammen meist vom Aufenthalt als Gastarbeiter in Deutschland. In den Schulen wird Englisch bevorzugt. Von dem, was zwischen 1944 und 1948 hier geschah - an der Straße zur nahen rumänischen Grenze liegen auch heute noch fast 2.000 Tote im Acker - hören die Kinder in der Schule nichts, von der deutschen Vergangenheit wenig. Trotzdem - oder gerade deswegen - strömten kürzlich hunderte, meist junge Menschen in die Ausstellung über "Vrsac u sec'anju" (Werschetz in der Erinnerung) im Konkordiahaus. Vor zehn Jahren hatte Ingeborg Frisch diese Dokumentationsschau in Wien zusammengestellt. Daß sie nun an Ort und Stelle gezeigt werden konnte, mit wesentlich größerem Zulauf als in Wien, wurde als großer Fortschritt gewertet. "Das haben wir alle nicht gewußt!" war die immer wieder gehörte Reaktion. Aber nicht nur Staunen - die größte Lokalzeitung, "Vrsacka Kula", sichtlich noch im Denkschema des Tito- und Milosevic'-Staates verhaftet, polemisierte auf einer ganzen Seite gegen die "nostalgische, pseudohistorische, politikasterische Lamentation", die - ausgerechnet zur Zeit des "Gedenktages der Befreiung" - die wahren Verdienste der Serben um den Banat verschweige.

Die Häuser, die einst den Deutschen gehörten, stehen zum Teil leer - die Jungen ziehen lieber in die Betonkästen der Nachkriegszeit. Im repräsentativsten Bau am Hauptplatz, der einst das Textilgeschäft der Familie Frisch barg, sitzt heute die Hauptfiliale der "Vojvodzanska Banka"; das denkmalgeschützte Äußere ist gepflegt, das Innere architektonisch großartig umgebaut. Der Direktor empfängt die Tochter des 1944 erschossenen letzten deutschen Bürgermeisters wie einen Staatsgast - der "Besuch der alten Dame" auf serbisch?

Die Titozeit liegt weit zurück, aber wirkt weiter. Die Stimmung gegenüber Belgrad ist schlecht, wohl nicht nur, weil die Gehälter und Pensionen vom Juni erst im September ausgezahlt wurden. Nicht nur Wien ist "anders", auch der Banat, wo man sich mitunter durchaus positiv - ohne an die "Irritationen" zu denken - an die kaiserliche Zeit erinnert. Aber bis auch hier auf dem Totenacker eine Gedenktafel stehen wird, dürfte es doch noch einige Zeit dauern.

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