Versorgungslager IN GRÜN

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Die Wohnungen sind knapp in Bobostan. Der Baugrund ist es auch. Kein Bezirk in Wien ist dichter verbaut als dieser. Da kommt eine Fläche wie jene, vor der Markus Reiter jetzt steht und auf eine Efeu-bewachsene Fassade deutet, gerade recht. Grüne Wiesen, üppige Bäume, Löwenzahn, dahinter leerstehende Pavillons. "Ich sage das nicht ohne Eigennutz, aber das wird das erste innerstädtische Bauprojekt seit ewig, wo wir keinen Hochhausstreit haben und der Baumbestand erhalten bleibt", sagt Reiter. Noch vergangenes Jahr hatte der Konflikt um den geplanten 66-Meter-Turm am Wiener Heumarkt die Hauptstadt-Grünen an den Rand der Spaltung gebracht. Investoren- versus Bürgerinteressen. Lukrative Lofts versus Schutz des Weltkulturerbes. Grüne Führung versus grüne Basis.

Mit solchen Sorgen muss sich Markus Reiter hier nicht herumschlagen. Hier halten sich die Interessenskonflikte in vergleichsweise engen Grenzen. Hier soll sich alles in Wohlgefallen auflösen. Markus Reiter, dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, Prada-Brille, ist grüner Bezirksvorsteher von Wien-Neubau, dem schicken Innenstadtbezirk zwischen Museumsquartier und Gürtel, zwischen Mariahilfer-und Lerchenfelderstraße. Im November hat der 47-Jährige das Amt von Parteifreund Thomas Blimlinger übernommen, der sich nach 16 Jahren als oberster Neubauer zurückzog. Und der Grund, auf dem Reiter an diesem sonnigen Vormittag steht, ist jener des ehemaligen Sophienspitals am südwestlichen Rand des siebten Bezirks. Bis zu 200 neue Wohnungen sollen auf den 1,3 Hektar entstehen. Die Hälfte sozial gefördert, die andere im freien Mietsegment. Daneben werden eine Volksschule und ein Kindergarten errichtet, ein "Bildungscampus" wie das in der Projektbeschreibung heißt. Die Grünflächen dazwischen sollen zum "Sophienpark" ausgebaut werden und künftig öffentlich zugänglich sein. Anders als jetzt, wo das Areal von den alten Krankenhaus-Zäunen begrenzt und von einem Portier bewacht wird.

Epizentrum grüner Stadtpolitik

Projekte wie diese sind entscheidend für die Zukunft der Grünen. Vor allem, wenn sie in Grätzeln wie diesem stehen. Wien-Neubau ist die stärkste grüne Hochburg des Landes. Hier angelte man sich bei der Wahl 2001 den ersten grünen Bezirksvorsteher-Posten der Stadt. Hier schaffte man bei den folgenden Bezirkswahlen 43 bis 45 Prozent. Hier wurde man bei der Nationalratswahl 2013 stärkste Kraft. Und hier ist das urbane grüne Kernmilieu zu Hause. Auch wenn die Partei bei der Parlamentswahl im Herbst selbst beim Heimspiel "im Siebenten" einen drastischen Absturz zu verdauen hatte: Neubau bleibt als Epizentrum grüner Stadtpolitik eines der zentralsten Versorgungszentren für den grünen Wiederaufbau.

Der Siebensternplatz gilt vielen als Herz des Bezirks. Nicht nur wegen seiner zentralen Lage, sondern weil er recht idealtypisch für vieles steht, was Neubau ausmacht. In den Schanigärten der Kaffees tippen Kreativbranchler in ihre Laptops und trinken junge Menschen Maracuja-Spritzer. Daneben kann man am im Boden fixierten Gerät die Fahrradreifen aufpumpen oder aus dem Automaten einen neuen Schlauch drücken. Rad fahren hier fast alle, nur die Fahrradständer sind immer überfüllt. Ringsum Dachgeschoss-Ausbauten auf sanierten Gründerzeithäusern und junge Mütter mit teuren Kinderwägen. Im Café Nil ein paar Meter weiter sitzen Chefinnen von Werbeagenturen neben Afrikanistikstudenten. Und aus dem Bio-Reformhaus in der nahen Neubaugasse holen sich die Büroarbeiter der Gegend vegetarische Mittagsteller. Polenta-Auflauf mit Kraut, Tofu-Burger mit Süßkartoffeln, Wraps mit Paprika und Melanzani. Dazwischen Boutiquen mit bunten Sneakern, skandinavischem Zwirn und Designersonnenbrillen.

Das Durchschnittseinkommen im Bezirk ist trotz der vielen Studenten eines der höchsten der Stadt, die Gegend das, was man ein "Bobo-Grätzel" nennt. Hier wohnt die junge urbane Elite. Hohe Akademikerrate, internationale Orientierung, linksliberale Weltsicht. Alexander Van der Bellen kam hier bei der Bundespräsidentschaftswahl auf 82,4 Prozent. Es sind Stadtviertel wie dieses, in denen sich entscheiden wird, ob die Grünen den Wiedereinzug ins Parlament schaffen. Denn mit ihrem Abschied von dort nach dem Wahldebakel im Herbst verlieren die Grünen nicht nur Millionen an Klub-und Parteienförderung. Sie laborieren noch an einem weiteren Problem, das nicht minder schwer wiegt: Die Partei kommt in den Medien kaum noch vor. Ob Leitartikel zur Oppositionspolitik, Berichterstattung zum U-Ausschuss oder Nationalratssitzung im TV: Grün ist nicht mehr dabei.

Mobilisierung auf der Straße

Um sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen, bleibt der einst erfolgreichsten Grün-Partei Europas also nichts anderes übrig, als in ihren regionalen und lokalen Hochburgen an ihrer Hausmacht zu zimmern. Immerhin: Die Klubförderung der Landesparteien spült Geld in die Kassen - und wird nun auch zum Wiederaufbau der Bundespartei verwendet. Die Landesregierungs-Posten in Linz, Salzburg oder Dornbirn bringen Gestaltungsspielraum und politische Präsenz. Und der erste grüne Bürgermeistersessel in der Geschichte dieser Nation steht gleich in einer Landeshauptstadt. Verantwortlich dafür zeichnete Georg Willi, der die einstige Innsbrucker Stadtchefin im Frühjahr mit einer Mischung aus kommunalem Van-der-Bellentum und gepflegter Volksnähe ausstach. Es sind lebenswichtige Oasen auf dem grünen Marsch durch die Wüste Gobi. Und es sind lokale Testlabore für den bundesweiten Reformprozess der Partei, den Interims-Bundessprecher Werner Kogler und seine Stellvertreterin Regina Petrik eingeleitet haben. "Vieles an Mobilisierung muss künftig vor Ort und auf der Straße stattfinden", sagt sie im Gespräch mit der FURCHE (siehe S. 7).

Anders formuliert: Das Vertrauen in die politische Arbeit der Grünen -auch im Bund -müssen gerade Lagerverbinder wie Georg Willi im Direktkontakt mit den Leuten zurückgewinnen. Das weiß auch Markus Reiter. Und diese Rolle scheint er zu beherrschen. Bevor das einstige Sophienspital in die nächste Projektphase übergeht, hat der Bezirksvorsteher die Bewohner von Neubau zu Bürgergesprächen geladen -an vier Tagen hintereinander. Auch sonst steht Reiter einmal pro Woche zum "Grätzelgespräch" im öffentlichen Raum zur Verfügung. "Da sitze ich im Park oder auf dem Gehsteig", sagt er. "Und habe einen Tisch und ein paar Sessel dabei." In der Bezirksvorstehung liegen Flyer mit dem Porträtbild ihres wichtigsten Angestellten auf. Ein wenig wie die Autogrammkarten von Fußballern, nur dass der Mann auf dem Foto Businesskleidung trägt. Auf der Rückseite gibt der Chef von Neubau unter Mailadresse und Amtshaus-Festnetz auch seine Mobilnummer an. "Gerne können Sie mich auch am Handy anrufen. Herzlich, Markus Reiter."

Bei Anrufen heiß umfehdet ist das Thema Verkehr. Nicht so sehr wegen der Begegnungszone Mariahilferstraße, da hat sich die Aufregung weitgehend gelegt. Aber ein anderes verkehrspolitisches Großprojekt steht den Neubauern noch bevor: Der Ausbau der U2 samt komplizierten Tiefengrabungen und monatelangem Baulärm. "Da muss ich in der Bevölkerung noch viel vermitteln", sagt Reiter. Die Schauplätze der nächsten Baustellen zeigt er dann auch gleich selbst. Unterwegs ist er dabei per Fahrrad, blitzblaue Farbe, Marke "Neubau"."Die werden aus alten Rahmen gefertigt", erklärt Reiter. Beim gemeinnützigen Verein "Jugend am Werk", der Jugendlichen ohne Lehrstelle eine Berufsausbildung ermöglicht. "Upcycling" kombiniert mit sozialer Arbeitsmarktpolitik; und hinten heraus kommen schicke Räder für Bobos aus der Innenstadt. Ein grünes Vorzeigeprojekt quasi.

Von unten nach oben

Es geht weiter Richtung Zieglergasse, ein Augustin-Verkäufer begrüßt den Bezirkschef unterwegs. "Die haben den Neubauer Klimaschutzpreis bekommen", sagt er, während er in die Pedale tritt und deutet auf ein langes graues Gebäude, dessen Fassade begrünt werden soll. Maßnahmen gegen den Klimawandel zu setzen, sei in eng verbauten Bezirken wie Neubau besonders wichtig. In diesem Fall wird die vertikale Grünfläche groß, denn die Außenmauer zieht sich mehrere Dutzend Meter bis in die nächste Querstraße. "Wir machen keine halben Sachen", sagt der Bezirksvorsteher. Die Inszenierung sitzt. Die Kommunikation auch. Beginnt er über seine Lieblingsthemen zu sprechen, ist Reiter schwer zu stoppen. Er holt weit aus, aber formuliert präzise.

Optisch würde Markus Reiter, Polizistensohn und gebürtiger Gmundner, auch als dynamischer Bezirksobmann der "neuen ÖVP" durchgehen. Beginnt er aber zu reden, umweht den Sozialökonom, zuvor lange Jahre Geschäftsführer der von ihm mitbegründeten Sozialeinrichtung Neunerhaus, eine andere Aura. Der dezente oberösterreichische Zungenschlag, die einnehmende Art lassen ihn nahbarer wirken, als Anzug und zurückfrisierte Haarwellen suggerieren. Einer der auf die Neubauer zugeht: das ist Reiter. Einer der bei den Neubauern ankommt: das kann Reiter werden. "Ich glaube, die Zukunft der Grünen ist eine Bürgerinnen-und Bürgerbewegung", sagt er. "Und die kann nur von unten nach oben gehen."

"individuelle Machtinteressen"

Eine Stunde später steht der dreifache Familienvater in seinem Bezirksvorsteherbüro, Ausschnitt einer bepflanzten Fassade an der Wand, langer Sitzungs-gleich neben dem Schreibtisch, und deutet auf eine Karte Neubaus. Urbanen Hitzeinseln durch Begrünung entgegenwirken. Die Neubauer Kulturszene unterstützen. Die Verkehrsberuhigung vorantreiben. Alles zentrale politische Projekte im Bezirk. Und die Bundespartei? "Im Vordergrund ist zu wenig das große gemeinsame Ganze gestanden und zu viel individuelle Machtinteressen", sagt Reiter. Und: In die Beantwortung von Zukunftsfragen habe man seit zehn, fünfzehn Jahren nicht genug investiert, die Themen der Zeit zu wenig verstanden. Nach Finanz-und Wirtschaftskrise hätte es etwa neue Antworten zu sozialer Absicherung gebraucht. "In der Migrations-und Integrationsfrage", sagt Reiter dann, "haben wir uns zu sehr auf das Menschenrecht auf Asyl fokussiert. Das ist wichtig, reicht alleine aber nicht." Die Parteigremien seien zu viel mit sich selbst beschäftigt gewesen. "Funktionäre haben sich mit der ordnungsgemäßen Einhaltung der Rednerinnen-Liste manchmal länger befasst als mit dem Inhalt selbst."

"Ich bin kein typischer Grüner", zitierte der Kurier den Bezirksvorsteher in einem Interview. Warum eigentlich nicht? "Weiß ich nicht", sagt Reiter schulterzuckend, aber mit wissendem Lächeln. "Jedenfalls bin ich nicht der mahnende Zeigefinger", sagt er danach. "Ich möchte nicht verbieten, sondern ermöglichen." Ein Satz, wie ihn externe Imageberater einem Grün-Politiker nicht besser auf den Leib formulieren könnten. Dann muss der Bezirksvorsteher schnell zum nächsten Termin. Die evangelische Religionsgemeinschaft, bei der er sich heute vorstellt. Er ist schon spät dran, denn das Gespräch hat länger gedauert als geplant. Reiter holt noch schnell den Fahrradschlüssel, bevor er das Stiegenhaus hinunter eilt. Direkte Einbindung der Bevölkerung. Persönlicher Kontakt zu den verschiedensten Gruppen - auch abseits grüner Kernmilieus. Mit den Menschen reden. Ihnen zuhören. Vielleicht sieht sie so aus, die grüne Zukunft. Bis die Partei im Bund wieder Präsenz findet, ist das jedenfalls die grüne Gegenwart.

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