Versprechen und Versagen der Volkspartei

Werbung
Werbung
Werbung

Der wievielte Obmann der ÖVP war er doch gleich? In der Nachfolge von Josef Pröll, Wilhelm Molterer und Wolfgang Schüssel; Erhard Busek, Josef Riegler und Alois Mock; Josef Taus, Karl Schleinzer und Hermann Withalm; Josef Klaus und Alfons Gorbach; Julius Raab und Leopold Figl sowie Leopold Kunschak! Der Vorsitzende einer Volkspartei, deren erstes Symbol nicht das V, sondern das Ö war, wie Erhard Busek, gemeinsam mit Wolfgang Schüssel Protegé von Rudolf Sallinger, zu betonen niemals müde wird.

In der Tat: Mit knapp 50 Prozent der Stimmen war die ÖVP 1945 noch staatstragend, ja -füllend, fast -sprengend. Gemeinsam mit der SPÖ erreichte sie zu Beginn der ersten Phase der Großen Koalition nämlich mehr als 95 Prozent. Ist es heute, an einer Schwelle von der Zweiten zur Dritten Republik und in der dritten und letzten Phase der Großen Koalition, indes umgekehrt, und gilt für den Staat, dass er parteitragend ist?!

Ja, so wie die Parteien zunächst den Staat getragen haben, trägt heute der Staat wohl die Parteien. Ist insofern die Beteiligung an den Ministerien samt damit zusammenhängenden Budgets vielleicht die letzte Hoffnung, woran sich die einst stolze österreichische Christdemokratie (ebenso wie die Sozialdemokratie) verwegen klammert? Was hätten all die genannten Obmänner der Volkspartei, besonders jene der ersten Jahrzehnte, zum Verfall ihrer Bewegung hin zum Abgrund gemeint: ein Versprechen am Anfang! Ein Versagen am Schluss?

Eine beiläufige Frage am Ballhausplatz

Wie auch immer; Anfang der 1990er-Jahre, also mitten in der zweiten Phase der Großen Koalition, die zusammen immer noch über rund 75 Prozent der Stimmen verfügte, hatte sich der Wandel in Staat und Parteien längst manifestiert. Mehr denn je trieb Jörg Haider SPÖ und ÖVP, die 1986 die Plätze getauscht hatten, vor sich her, ein Wort namens Populismus verbreitete sich beständig.

Um den Dritten zu bezwingen, erschallte schon damals der dringende Ruf nach Eintracht in den Parteien, die von großen zu größeren (also kleiner) geworden waren. Ob Michael Spindelegger, Protegé von Robert Lichal, vielleicht unter ihm Generalsekretär werden könne, hatte einer von dessen Sekretären Erhard Busek Anfang der 1990er-Jahre am Weg vom Ministerrat ein bisschen provokant gefragt. Spindelegger würde nicht nur ein ergänzendes Pendant der jüngeren Generation zur älteren, sondern ein versöhnliches Signal vom einen Flügel zum anderen darstellen. Doch Busek, erst vor kurzer Zeit mit nicht einmal 60 Prozent zum Obmann gewählt, schlug aus. Ein Zögling Lichals war kein Thema für ihn. Eine Täuschung mehr, der er sich hingab. Denn Spindelegger sollte seine Rolle für Busek spielen.

Schon bald schien klar: Das Versprechen, das Busek vielen sozialliberalen Christdemokraten gegeben hatte -nämlich seine politische Bewegung gegenüber Bildung und Kultur zu öffnen, die von Riegler nachhaltig konzipierte Ökologisch-soziale Marktwirtschaft (etwa als frühes Gegenmodell dazu, was die konventionelle Linke später platt "Turbokapitalismus" nannte) zu vertiefen sowie die auf die Zwischenkriegszeit verweisenden ständischen Strukturen der Partei zu modernisieren -löste er jedenfalls allein in einer Hinsicht ein: So erlebte die Wissenschaft mit den ersten Schritten einer Universitätsreform und der Einführung der Fachhochschulen einen gewissen Aufbruch.

Blüten ganz anderer Art trieben indes weiter die Bünde. Vor allem aus dem ÖAAB und nicht zuletzt um Spindelegger, der Stufe um Stufe nach oben erklomm (und Vertraute gerade dort um sich scharte, wohin Busek die Partei nicht mehr bringen wollte: Maria Plain), verstummten die negativen Töne nie; erst inoffiziell, dann offiziell. Wie bekannt, wurde Busek 1995 endgültig demontiert, und mit seiner Absetzung begann der Aufstieg des anderen endgültig über seinen Bund bis an die Spitze der Partei.

Mit Wolfgang Schüssel und vorübergehenden Stimmen aus dem rechten Lager erreichte die ÖVP 2002 einsame vier Jahre lang mehr als 40 Prozent; ein Wert, den seine Nachfolger seit 2006 Stück für Stück unterschritten (parallel dazu, unter Josef Pröll, hoben sie den ÖVP-Bünden zur Freude die Kammern in Verfassungsrang), bis Spindelegger schließlich selbst ans Ruder kam. Die nationalkonservativen Christdemokraten, wie sie in Salons und Zirkeln der Macht genannt wurden, hatten sich durchgesetzt! Wie lange aber mochten sie währen?

Am Horizont

Was Busek zu erhalten sich stets gewünscht hatte, fiel Spindelegger quasi in den Schoß: das Außenamt. Ohne Kritik an seiner Phantasie verließ er es nach wenigen Jahren nicht: Immerhin waren die regionalen Partnerschaften im Donauraum als vernetzte Radwege präsentiert worden. Doch auch im Finanzwesen war ihm das Glück des Tüchtigen nicht hold. Die Hebel zur Reform des Staats an Haupt und Gliedern am Beispiel der Steuern wären in seiner Hand gelegen! Ob er seine Waffen zu schnell streckte?

Jedenfalls gilt für Spindelegger wie für Busek (der sich natürlich als einer der Ersten nach dem Rücktritt des ÖVP-Obmanns zu Wort meldete), was eigentlich für alle Vorsitzenden der Volkspartei seit 1945 gegolten hat: Der Gegner lauert nicht nur außer-, sondern auch innerhalb der eigenen Reihen. Vielleicht weist die Volkspartei heutzutage deshalb nur noch wenig mehr als 20 Prozent in allen Umfragen auf. Wo aber den Hebel ansetzen? Ist die Partei -weniger programmatisch als organisatorisch -doch seit Jahrzehnten beratungsresistent!

Vielleicht erinnern sich manche an die mahnenden Worte eines der wirklich Großen der ÖVP, Josef Klaus. Schon 1970, als die Volkspartei erstmals den Kanzler an die Sozialisten verloren hatte, hatte er einen dringenden Appell an seine versammelten Granden gerichtet: Die Schranken der Bünde seien nicht zu eng zu ziehen, sodass man die Wissenschaftler und Kunstschaffenden, die Produktiven und Kreativen und viele andere, deren Engagement man nach wie vor mit Bürgersinn und Zivilcourage umschreibt, nicht ausschließe.

Doch verhallte der Ruf, und selbst Schüssel, der es kraft Person und Erfolg 2002 wohl in der Hand gehabt hätte, ließ hier tragisch aus. Weiter rekrutierte sich so die angebliche oder vermeintliche Elite der Partei aus den Bünden, die unbestritten im Kleinen längst nicht mehr abbilden, was Österreich und Europa, was Österreich in Europa und Europa in der Welt in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung im Großen benötigen.

Dass sich in Zukunft keinerlei Änderungen der Strukturen der ÖVP abzeichnen - statt dessen, quasi als Ablenkung und Beruhigung, aber wieder deren Programm geändert werden soll ("Evolution") - ist jenen Personen und Figuren im Mittelbau zu danken, die ihren Aufstieg in erster Linie eben den Klientelen der Bünde schulden. Ihre permanente Karriere garantiert -wenn kein Wunder geschieht -sozusagen ein sicheres Ende der Partei Schritt um Schritt, nicht explosiv wie in Italien in den 1990er-Jahren, sondern implosiv. Eine Volkspartei geht nicht unter, sie versickert.

Über die Täler der Alpen blicken

Dabei wäre -die Hoffnung stirbt als christliche Tugend auch in der Demokratie zuletzt -ein Blick über die Grenzen durchaus heilsam. In Deutschland lebt die CDU vor, welche Breitenwirkung und welchen Tiefgang Christdemokratie erlangt, wenn Programme Vorrang vor Strukturen sowie wertbasierte Haltungen vor entgeltlichen Interessen haben.

Wenn es unser Nachbar -heute so geachtet wie nie zuvor seit 1945 -insofern schafft, Interessenverbände und Bündeklientele nicht als Teil-,sondern als Rahmenorganisationen zu führen (und damit zu zähmen), warum gelingt dies nicht auch in der ÖVP?

Es kommt also -um einem Versprechen kein Versagen folgen zu lassen -weniger darauf an, wer den Vorsitz der ÖVP abermals übernehmen wird, sondern ob der neue Obmann die Courage für eine Reform weniger des Programms als der Strukturen aufbringt und der Volkspartei damit neue Milieus erschließt. Reinhold Mitterlehner wäre es zu wünschen, nicht obwohl, sondern weil er die Vor-und Nachteile seiner Organisation bestens kennt!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung