Tanner

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner über Österreichs Neutralität

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Aufrüsten, nachrüsten, ausbilden – so das Credo von Klaudia Tanner. Die Verteidigungsministerin über Raketenangriffe als Risiko für Österreich, den Neutralitätsstatus und die Mission Sahelzone.

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Aufrüsten, nachrüsten, ausbilden – so das Credo von Klaudia Tanner. Die Verteidigungsministerin über Raketenangriffe als Risiko für Österreich, den Neutralitätsstatus und die Mission Sahelzone.

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Bis zu 60 Mal im Jahr rücken die Eurofighter ob eines bedenklichen Flugobjektes im österreichischem Luftraum aus. Warum diese Fehlalarme einen beruhigenden Nebeneffekt haben und wieso man trotzdem in neue Abfangjäger investieren muss, erklärt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im FURCHE-Interview.

DIE FURCHE: 600 Kilometer von Wien entfernt tobt ein Krieg, die Sicherheitsarchitektur in Europa hat sich verschoben. Sie sind die Verteidigungsministerin von Österreich, Ihre Rolle erscheint angesichts der Zeitenwende in einem anderen Licht als bei Ihrer Angelobung 2020. Wie hat sich Ihr Amtsverständnis verändert?
Klaudia Tanner:
Als die Amtsübergabe vor mehr als drei Jahren stattgefunden hat, war man sich ganz sicher, dass eines nicht passieren wird: ein Krieg auf unserem Kontinent. Ich amtiere also inmitten der Zeitenwende und wir haben wenige Stunden nach dem Angriff im Nationalen Sicherheitsrat einstimmig und über alle Parteigrenzen hinweg den Beschluss gefasst, dass man das Österreichische Bundesheer wieder in die Lage versetzen muss seinen Pflichten nachzukommen.

DIE FURCHE: Wie hat sich dieser Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft auf Ihre geopolitische Sichtweise ausgewirkt?
Tanner:
Er hat alles verändert. Dennoch: Auch wenn man diesen brutalen Angriff nicht voraussehen konnte, konnte man angesichts der sicherheitspolitischen Jahresvorschauen, die unsere Experten rund um den Generaldirektor der Verteidigungspolitik herausgeben, durchaus davon ausgehen, dass uns eine stärker werdende Konfrontation zwischen Russland und Europa bevorsteht.

DIE FURCHE: Sie haben im Vergleich zu Ihren Vorgängern ein umfangreiches Budget, auf das Sie zurückgreifen können. Welche Prioritäten setzen Sie diesbezüglich?

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Tanner: Ganz oben steht alles, was der Soldat braucht für seinen Schutz und die entsprechende Wirkung. Das beginnt beim neuen Flecktarn-Anzug, geht über die Bewaffnung wie das modifizierte StG (Sturmgewehr, Anmerkung) 77, auch jener der Miliz – und dann kommen noch Dinge wie Funkgeräte dazu. Der zweite Bereich ist die Mobilität. Wir werden 36 Hubschrauber beschaffen infolgedessen dann die Alouettes III aussortiert werden. Hier werden 870 Millionen Euro investiert.

DIE FURCHE: Geht die Überlegung auch in die Richtung, dass wir nun nicht mehr nur Luftraumüberwachung haben, sondern auch aufrüsten in Richtung Verteidigung?
Tanner
: Die aktive Luftraumüberwachung müssen wir ohnehin sicherstellen. Die Investition von 1,6 Milliarden Euro in unsere Eurofighter ist unabdingbar. Seit der Zeitenwende mehr denn je. Daher beschäftigen wir uns auch mit der Frage, ob wir die Anzahl der 15 Eurofighter erhöhen. Stichwort Luftverteidigung: Die europäischen Nationen haben sich mit „European Sky Shield“ auf einen gemeinsamen Schutz für den europäischen Luftraum verständigt, insbesondere was Langstreckenraketen angeht. Bei diesem Projekt müssen und wollen wir dabei sein. Aber gemäß unserer Verfassung gilt es, zusätzlich in unsere Abfangjäger zu investieren. Fakt ist: Pro Jahr steigen unsere Eurofighter zwischen 50 und 60 Mal auf, werden in Alarmbereitschaft versetzt. Bislang waren die Gründe zum Glück harmlos – etwa, weil der Funkkontakt zu einem Flugobjekt verloren gegangen war. Zwar musste bislang noch kein Abschussbefehl erteilt werden – aber es ist doch gut zu wissen, dass die Verteidigung im Fall der Fälle funktioniert.

DIE FURCHE: Laut einem aktuellen Risikobericht des Verteidigungsministeriums können Raketenangriffe gegen Europa, also auch gegen Österreich, nicht ausgeschlossen werden. Welche Szenarien sind denkbar?
Tanner:
Unsere Experten schließen beinahe gar nichts aus. Wir müssen also aufrüsten, nachrüsten, unsere Soldaten ausbilden – und zwar für jedes dieser benannten Risiken.

DIE FURCHE: Schutz vor wem oder was genau? Wer ist der potenzielle Feind? Russland, Terroristen…
Tanner:
Das beginnt bei der Gefahr, die bei der Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan stattfindet. Natürlich geht es auch um Russland. Aber nicht nur. Gerade der Westbalkan ist nach wie vor ein instabiles Gebilde mit großem Eskalationspotenzial. Auch Terror ist ein Risikobild. Gleichwohl ist die größte Bedrohung, dass sich der Krieg in der Ukraine auf andere Teile Europas ausweitet.

DIE FURCHE: Neben der Republik Moldau gilt es auch hier wieder den Westbalkan zu benennen, obwohl die derzeitigen Gespräche zwischen Serbien und Kosovo doch Anlass zur Hoffnung geben.
Tanner:
Die aktuelle Annäherung zwischen Serbien und Kosovo ist ein sehr positives Zeichen. Das ist für Österreich insbesondere auch wichtig, weil wir dort ein starkes Kontingent an Friedenssoldaten im Rahmen des KFOR-Einsatzes stellen.

Gleichwohl ist die größte Bedrohung, dass sich der Krieg in der Ukraine auf andere Teile Europas ausweitet.

DIE FURCHE: Sollte es tatsächlich dort zu einer Verständigung kommen: In welchen Regionen könnten Sie sich neue Auslandseinsätze des Bundesheers vorstellen?
Tanner:
Neben dem Westbalkan steht unser Einsatz im Libanon nach wie vor außer Frage. Da hat sich die Lage vor allem auch wirtschaftlich dramatisch zum Schlechteren verändert. Prinzipiell beschäftigen wir uns mit der ganzen Welt. Dabei rücken Einsätze auf dem afrikanischen Kontinent zusehends in unseren Fokus, nicht zuletzt auch wegen der sicherheitspolitischen Aspekte rund um das Thema Migration. In der EU ist derzeit eine Mission in Niger im Gespräch. Unsere Experten sondieren, ob wir uns daran beteiligen.

DIE FURCHE: Österreich verteidigen in der Sahelzone?
Tanner:
Ich weiß, solche Fragen tauchen oft, mit einem Schmunzeln begleitet, auf: Was machen unsere Jagdkommando-Soldaten im Senegal? Aber ich war dort, und ich habe gesehen, wie wichtig solche Einsätze sind. Unsere Kampftaucher bilden die Soldaten dort im Kampf gegen Menschenhandel, gegen Rauschgiftschmuggel, Terroranschläge auf Pipelines aus. Wir können an vielen Ecken und Enden dieser Erde einen positiven Unterschied machen. Und das tun wir. Mir tut es manchmal in der Seele weh, dass das nicht gesehen wird. Stattdessen sagt man „Trittbrettfahrer“.

DIE FURCHE: Sind wir das nicht?
Tanner:
Nein, diesen Vorwurf lasse ich nicht gelten. Wir sind keine Trittbrettfahrer. Diesem Vorwurf zu widersprechen, das sind wir allein schon unseren 1000 Soldaten in Missionen auf der ganzen Welt schuldig. Deutschland hat 5000 Soldaten in internationalen Einsätzen. Und ich sage Ihnen ganz offen: Ich höre den Vorwurf im internationalen Rahmen auch nicht.

DIE FURCHE: Sie sprechen von Ihren Kolleginnen und Kollegen auf EU-Ebene.
Tanner:
Wir haben kommende Woche wieder ein Treffen der EU-Verteidigungsminister. Wir werden dort wieder informieren, wie wir die Ukraine unterstützen – humanitär und finanziell. Aber den Vorwurf, wir seien Trittbrettfahrer, höre ich dort nicht.

DIE FURCHE: In Österreich ist er nicht zu überhören. Was antworten Sie auf die Kritik, das Beharren auf der Neutralität sei sicherheitspolitisch aus der Zeit gefallen?
Tanner:
Ich muss unser Verständnis von Neutralität schon etwas auseinanderdröseln. Militärische Unterstützung an die Ukraine leisten wir nicht. Humanitäre Hilfe jedoch sehr wohl, etwa in der Form der 90.000 Flüchtlinge, insbesondere Familien, die bei uns sind. Daneben sind zum jetzigen Zeitpunkt mehr als 126 Millionen Euro an finanziellen Hilfen an die Ukraine geflossen. Und was der wichtigste Punkt ist: Ab Tag eins dieses Krieges waren wir politisch nicht neutral. Wir haben gesagt: „Das ist ein Bruch des Völkerrechts“ – und wir haben jedes Sanktionspaket der EU mitgetragen. Aber militärisch neutral zu sein, dazu stehe ich.

DIE FURCHE: Völkerrechtler sagen, Österreich lege seine Neutralität besonders streng aus. Vom Neutralitätsgesetz her wäre beispielsweise die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf österreichischen Leopard-Panzern möglich. Was fehlt, ist der politische Wille.
Tanner:
Ich kenne die unterschiedlichen Meinungen der Völkerrechtler dazu, ich bin selbst Juristin. Der eine sagt, das könnten wir machen, der zweite sagt, das geht zu weit. Politisch tragen wir die Verantwortung. Daher haben wir uns entschieden, die EU-Ausbildungsmission EUMAM (EU Military Assistance Mission Ukraine) finanziell über die europäische Friedensfazilität zu unterstützen. Aber bei allem, was die Lieferung letaler Waffen und auch die Ausbildung daran anbelangt, sind wir nicht dabei. Dazu stehe ich, und das werde ich auch in Zukunft tun.

Fragen Sie in Schweden oder in Finnland die Wehrbereitschaft ab. Dort sagen 75 Prozent, sie wären bereit, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Bei uns ist das nicht so.

DIE FURCHE: Warum, glauben Sie, hat der Angriff auf die Ukraine in Österreich zu keinem Nachdenken über die Beibehaltung der Neutralität wie in Finnland oder Schweden geführt?
Tanner:
Ich weise zurück, dass bei uns nicht nachgedacht wird. Bei uns im Haus, in unseren sicherheitspolitischen Abteilungen, passiert das laufend. Wir haben das Risikobild adaptiert und das Streitkräfteprofil auf das Ziel „zuhause stark, im Ausland fokussiert“ aktualisiert. Der Unterschied zu Schweden und Finnland hängt sicher damit zusammen, dass dort die räumliche Nähe zu Russland eine gänzlich andere ist. Fragen Sie dort die Wehrbereitschaft ab und fragen Sie sie bei uns ab. Dort sagen 75 Prozent der Menschen, sie wären bereit, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Bei uns ist das nicht so – und im Vergleich ein verschwindender Prozentsatz. Der hat sich auch mit dem Krieg nicht verändert.

DIE FURCHE: Wir haben vorhin von Zeitenwende gesprochen – aber in Österreich bleibt sicherheitspolitisch alles gleich.
Tanner:
Wir müssen wieder informieren darüber, was es zu verteidigen gibt. Wir müssen die umfassende Landesverteidigung wiederbeleben, inklusive der geistigen Landesverteidigung. Das gehört von klein auf wieder gelehrt. Meine Aufgabe als Verteidigungsministerin sehe ich vor allem darin, dass wir unsere verfassungsrechtliche Pflicht, die Neutralität zu verteidigen, auch erfüllen können. Das heißt zunächst einmal, in das Bundesheer zu investieren. Sonst brauchen wir über das andere gar nicht zu sprechen.

DIE FURCHE: Bitte bleiben wir noch bei der Neutralität.
Tanner:
Manchmal habe ich den Eindruck, es gibt nichts anderes mehr, über das gerade am liebsten gesprochen wird. Aber gerade zum jetzigen Zeitpunkt die militärische Neutralität in Frage zu stellen, halte ich für gefährlich. Und ich halte es persönlich für einen ganz schweren Fehler, wenn man gegen das Volk regieren will

Ich weiß nicht, wo es in der ÖVP einen Schwenk geben sollte. Ich halte es persönlich für einen schweren Fehler, wenn man gegen das Volk regiert.

DIE FURCHE: Es gab einmal eine Zeit, da haben ÖVP-Politiker sehr am Neutralitäts-Tabu gekratzt, denken Sie nur an Bundeskanzler Schüssels „Lipizzaner, Mozartkugeln, Neutralität“-Gleichsetzung. Seit wann und warum gibt es diesen Schwenk der ÖVP in Richtung Neutralität ohne Wenn und Aber?
Tanner:
Ich sage ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wo es da einen Schwenk geben sollte. Die militärische Neutralität steht für mich außer Frage. Ich habe nie etwas anderes gesagt. Das steht so in der Verfassung – und ich halte das auch für klug.

Standbild Navigator - © Foto: Die Furche

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