Vier Frauen, vier Listen, vier EU-Konzepte

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Die Furche: Welches Thema möchten Sie im EU-Parlament aufgreifen?

Heike Trammer: Für mich ist die Frauen- und Familienpolitik vorrangig. Unser großes Problem sind die sinkenden Geburtenzahlen - und die nationalen Regierungen steuern nicht oder zuwenig dagegen. Wir brauchen EU-weite Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Die Furche: Sind die ÖVP/FPÖ-Maßnahmen zuwenig?

Trammer: Da war die Zeit zu kurz. Jahrzehntelanges Fehlverhalten kann man nicht in vier Jahren rückgängig machen. Wenn wir nicht gegensteuern, werden Überalterung und Generationenstress noch mehr zunehmen. Die Sozialisten setzen auf Zuwanderung und nennen das "migratorische Kompensationspolitik" - davon müssen wir wegkommen. Wir dürfen nicht den Zuwanderern das Kinderkriegen überlassen.

Die Furche: Sie kandidieren für eine EU-skeptische Partei. Wozu braucht es die Europäische Union?

Trammer: Wir haben immer gesagt, das große Friedensprojekt Europa kann funktionieren - und da will ich gezielt darauf hinarbeiten. Eine so lange kriegsfreie Zeit hat es auf diesem Kontinent noch nie gegeben - das ist eine große Chance. Die kann nur genützt werden, wenn sich alle Staaten dieser Gelegenheit bewusst sind. Solange Länder wie Frankreich versuchen, ihre Großmachtträume in der EU auszuleben und das zu Ungunsten der kleinen Länder geht, solange wird es Unfrieden geben.

Die Furche: Generell stellen Sie das Projekt EU aber nicht in Frage?

Trammer: Überhaupt nicht, aber konstruktive Kritik an der EU muss erlaubt sein. Dieses Friedensprojekt kann nicht Wirklichkeit werden, solange Europa nicht erwachsen ist. Und die EU ist nicht erwachsen, solange sie eine reine Abzocker-Institution bleibt, die als flächenbrandartige Erweiterungsmaschinerie agiert und sich als Handlanger des Kriegstreibers USA hergibt. WM

EU-Wahlkampf der Grünen im siebten Wiener Gemeindebezirk: Eine Veranstaltung mit dem kryptischen Titel "Open-Mind, Source, Europe" und der Gastrednerin Eva Lichtenberger. Das erste Vorurteil entkräftet die grüne EU-Kandidatin nach zwei Minuten Redezeit: Lichtenberger ist mehr als nur der prominente Aufputz für diese Veranstaltung. Sie und die knapp 20 Zuhörerinnen und Zuhörer kennen sich bei "Open-Mind, Source, Europe" aus. Der einzige Nicht-Experte im Saal ist der furche-Redakteur, der aber nach weiteren zwei Minuten auch mitkriegt, wie wichtig die Leitfragen des Abends sind: Wem gehört Wissen? oder: Können Ideen patentiert werden?

In der EU tobt derzeit ein heftiger Kampf um die Übertragung des Patentrechts auf die Software-und Informationstechnologie. Lichtenberger ist gegen eine diesbezügliche Richtlinie der EU-Kommission, die durch eine Stellungnahme der irischen Ratspräsidentschaft "noch verschlechtert wurde". Die grüne Nationalratsabgeordnete weiß auch eine Erklärung dafür: "Die Iren werden von Microsoft gesponsert." - "Das stimmt", erhält Lichtenberger Unterstützung aus dem Saal und auch sonst ist man mit derWahlkämpferin einer Meinung: Ein Patentrecht auf Software nützt nur den Großen, die sich ein Heer von Anwälten leisten können.

"Wen wollen wir schützen?", erinnert eine Stimme aus dem Publikum an die weltweite Dimension dieser Patentrechtsfrage, denn die Entwicklungsländer würden am meisten unter diesen Wissensbarrieren leiden. Lichtenberger drängt zur Eile: "Da müssen wir jetzt schnell sein" - 20.000 IT-Patente seien bereits in der "EU-Gesetzes-Pipeline" und würden mit Annahme der Richtlinie schlagend. "Nützt Eure Kontakte in die neuen EU-Länder", fordert sie die Anwesenden auf, "wir brauchen euer Lobbying." Und wie schaut es mit ihrem eigenen Lobbying aus? Sind zwanzig Zuhörer pro Abend genug? Lichtenberger beruhigt: "Ich kriege meine Wählerinnen und Wähler schon." WM

Die Furche: Einmal in Brüssel, was würden Sie ändern?

Judit Wlaschitz: Die EU-Verfassung ist für mich in dieser Form untragbar. Damit wird der ständige Aufrüstungszwang in der EU fort- und festgeschrieben. Diese Tatsache wurde weder von den Parteien noch von den Medien in Österreich publik gemacht.

Die Furche: Ist die EU-Außen- und Sicherheitspolitik in der derzeitigen Form ausreichend?

Wlaschitz: Die Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist ein Auswuchs des neoliberalen Denkens in der Union. Zuerst produziert die neoliberale-kapitalistische Globalisierung Krisenherde, um dann unter dem Deckmantel der Friedenssicherung auf der ganzen Welt intervenieren zu können. Dieses System schafft Ungerechtigkeiten und Verteilungskämpfe - in der EU und weltweit.

Die Furche: Stünde Europa ohne die EU besser da?

Wlaschitz: Würden Sie sagen, wir leben im Wohlstand? Wir leben in einer Glitzerwelt aus reinem Konsum, und die meisten Menschen sind bis zum Hals verschuldet. Der Motor dieser EU ist das Wirtschaftswachstum, und das gilt für jeden Lebensbereich. Ich lehne das prinzipiell ab: diese Konkurrenz, jeder gegen jeden, das Ich-AG-Gefasel, wo jeder gegen jeden kämpfen muss - wo sind wir denn, wo endet das? Ich habe das zu Hause nicht gelernt, meine Erziehung schaut anders aus.

Die Furche: Sie kandidieren für die Linke, was ist links?

Wlaschitz: Links ist, sich für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter einsetzen.

Die Furche: Konservative oder Liberale würden Ihnen antworten: Wenn es der Wirtschaft gut geht, nützt das den Arbeitnehmern am meisten.

Wlaschitz: Ich kann das nicht mehr hören, davon kriege ich Weinkrämpfe: Die Wirtschaft wächst ständig, aber den Menschen geht es immer schlechter - das ist doch ungeheuerlich. WM

Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, ich bin ein EU-Hasser", sagt ein Frühpensionist zu Karin Resetarits - und seine im Arm eingehakte Ehefrau nickt. "Für wie dumm halten sie das Volk eigentlich? Alles versprechen und nichts halten. Seitdem man uns mit Lügen in die EU gelockt hat, ist alles nur schlechter geworden." Der Regen wird stärker und der Mann zieht Resetarits unter einen Dachvorsprung. Im Trockenen lässt er seine Wut ab: Gen-Lebensmittel, Spesenritter, abgehobene EU-Bürokraten...

Resetarits zeigt viel Verständnis. Sie deutet auf einen gelben Zettel in ihrer Hand: "EU-Brüssel aufräumen", steht dort in großen Lettern, "Hans-Peter Martin ist da der rechte Mann", sagt Resetarits. Ihr Visavis ist wenig begeistert: "Politiker ist Politiker", meint er und seine Frau fügt hinzu: "Passen Sie mir auf die Tiere auf. Wenn wir sie schon essen, sollen sie wenigstens ein schönes Leben haben." Resetarits beruhigt. "Ich verstehe das, ich bin ja Vegetarierin".

"Die Leute haben eine ziemliche Aggression gegen die Politik und gegen Europa", sagt Resetarits. Sie lächelt und macht unverdrossen weiter: "Nein Danke" - "Wirklich nicht" - "Keine Hand frei" - viele Passanten weigern sich den gelben Zettel aus ihrer Hand zu nehmen. Schnellen Schrittes eilen sie davon oder machen einen Bogen um die Wahlkämpferin in der Linzer Einkaufsmeile am Taubenmarkt.

"Sie kenne ich", sagt eine ältere Dame und bleibt stehen. "Sagen Sie, wie wollen Sie das machen? Wie soll das gehen in Brüssel, Sie haben doch Kinder?", gibt sich die Passantin besorgt. Resetarits kalmiert. Sie habe auch bisher immer gearbeitet: "Es muss gehen."

Eine andere Frau schimpft: "Herrn Martin würde ich nie wählen. Wer andere Leute bespitzelt, hat das nicht verdient." Bevor Karin Resetarits ihr antworten kann, ist die Frau schon wieder weitergegangen. Resetarits blickt ihr hinterher und zuckt mit den Achseln. Sie hat noch vier Stunden Wahlkampf in der Linzer Innenstadt vor sich. Thomas Hartl

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