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Völker im Volke Österreichs
Während das alte Österreich, zis-leithanische Reichshälfte, ein ausgesprochener Vielvölkerstaat war, in dem keine Volksgruppe, damals in dem noch heute weitergeltenden Artikel XIX des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, „Volksstämme“ oder „Nationalitäten“ genannt, die absolute Mehrheit hatte, ist die Republik Österreich im wesentlichen monoethnisch (Gogolöfc: „edn-natio-naler Staat“). Dennoch ist auch das heutige Österreich nicht nur von Angehörigen des deutschen Sprach- und Kulturvolkes bewohnt, sondern auch von anderen Sprach- und Volksgruppen. Überhaupt gibt es in Europa nur ganz wenige Staaten ohne sogenannte nationale Minderheiten, nämlich Portugal und Norwegen.
Die politischen wie die ziffernmäßigen Gewichte der nationalen Minderheiten in Österreich haben sich gegenüber der Zwischenkriags-zeit erheblich verschoben: Die Tschechen, in Wien zahlenmäßig wie 'auch nach ihrem politischen Gewicht in den zwanziger Jahren mächtig, sind heute nahezu im Aussterben. Die Slowenen in Kärnten sind zwar zahlenmäßig zurückgegangen, aber eine überaus aktive Volksgruppe geblieben. Die Magyaren im Burgenland gibt es nur noch in Rudimenten. Die Burgenlandkroaten, heute die zahlenstärkste Sprachminderheit in Österreich, üben nicht annähernd jene Einflußmöglichkeiten aus wie die Slowenen Kärntens. Die Zigeuner, im Ständestaat erstmals gerecht behandelt, wurden durch das Dritte Reich weitgehend vernichtet und werden heute gar nicht mehr gezählt.
Was die Juden anlangt, so .Ist es schon in der Zeit der Monarchie strittig gewesen, ob sie zu den nationalen Minderheiten oder Volksgruppen gehören. Ein berühmt gewordenes Reichtagerich tserkenntnis erklärte, sie seien keine „Nationalität'“. In der Zwischenjkriegszeit gab es ebenso eifrige Verfechter des Gedankens der Existenz einer jüdischen nationalen Minderheit wie der Ablehnung'. Heute kann man für den österreichischen Rechtsbereich sagen, daß es sich weder um eine Volksgruppe noch um eine Sprachminderheit handelt.
Die nunmehr folgende Artikelreihe behandelt daher nur folgende Volksgruppen und Sprachminderheiten in Österreich: Tschechen, Slowaken, Zigeuner, Kroaten, Magyaren, Slowenen.
Gemeinsame Kultur und Sprache
Wenn man — wie der Verfasser dieser Untersuchung dies tut — unter
Volksgruppe einen in einem anders-nationailen Staat lebenden Teil eines Volkes im ethnischen Sinne versteht, so gehört zum Begriff „Volk“ genau dieselbe Grundlage wie zum Begriff „Volksgruppe“, nämlich das Vorhandensein einer gemeinsamen Kultur, in der Regel auch einer gemeinsamen Sprache oind eines geistigen Zusammenhangbegriffes. Dieser Zusammenhang ist nicht nur horizontal, sondern auch vertikal (Volk als Generationengebilde im Sinne etwa von Fr. A. Von der Heydte'). Nation ist etwas anderes, nämlich Volk als politische Zielsetzuingagemeinschaft.
Niemand wird die Tschechen in ihrem angestammten Gebiet als Volk nicht gelten lassen. Sind die Tschechen in Österreich aber deswegen schon eine Volksgruppe? Die Antwort hierauf hängt davon ab, ob und inwieweit die Tschechen auf dem Boden des heutigen Österreich auch als ethnischer Verband (Zusammenhangbegriff) gelten können.
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