
Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Völker müssen handeln
Immer wieder ist es gesagt worden, wieviel wir heute für die Fltichtlingeun, wird darüber entscheiden, ob wir nicht selber — noch ehe dieses Jahrhundert zu Ende geht — zu Flüchtlingen werden. Es kann keinen Frieden geben auf dieser Erde, solange ein so großer Prozentsatz ihrer Bewohner weder Heim noch Arbeit noch Hoffnung besitzt. Deshalb müssen wir Menschen gegen diese Not unserer Mitmenschen die Stimme erheben und dürfen nicht stumm bleiben. Dies steht an erster Stelle.
Zweiten: Völker müssen handeln, sonst ist die Not nicht zu beheben. Es bedarf mehr als eines im christlichen Sinne verabfolgten Schlucks kalten Wasser.
Die Vereinten Nationen haben mehrere bedeutende Schritte unternommen, um die Not der Nachkriegsflüchtlinge zu lindern. Aber sämtliche Bemühungen der Vereinten Nationen hinsichtlich einer Linderung der menschlichen Not sowie einer gerechten Verwaltung haben damit begonnen und scheinen damit zu enden, daß die Notleidenden mit Nahrung versorgt und o weit wie möglich von ihren Heimstätten entfernt werden. Ein weiterer grundsätzlicher Fehler wurde begangen, indem die Tätigkeit der internationalen Organisationen auf diesem Gebiet auf eine sprunghafte und unbeständige Art ausgeübt wurde. Immer dringlicher aber erhebt sich heute die Notwendigkeit, eine neutrale und dauerhafte Organisation zu schaffen, deren Kompetenz dazu ausreicht, im Notfall rasch und entscheidend einzugreifen. Ein anderes Problem ist, daß die großangelegten Wiederaufbaupläne, welche der Ansiedlung von Flüchtlingen dienen sollen, zu entarten drohen, indem sie ausschließlich dem Zweck der nationalen Verteidigung dienen. Der Wunsch, ich zahlreiches und billiges Menschenmaterial zu
verschaffen, geht deutlich aus dem Abkommen hervor, welche von Regierungen verschiedener Aufnahmeländer abgeschlossen werden. Insbesondere neigen junge und wenig bevölkerte Länder dazu, übertriebene Ansprüche an Auswanderer zu stellen. So wird beispielsweise die Altersgrenze auf 45 Jahre festgelegt, ganze Gruppen werden für politisch unzuverlässig erklärt, und der Gesundheitszustand muß auf einer Höhe sein, die kaum zu erreichen ist. In manchen Fällen wird sogar der Wuchs vorgeschrieben, indem ein Mindestmaß von fünf Fuß und neun Zoll verlangt wird! Es ist geradezu paradox, daß in dem Moment, als der Bedarf nach Arbeitskräften anstieg, die zur Einwanderung geschaffenen Schwierigkeiten nahezu unüberwindbar wurden.
Zusammenfassend muß darauf hingewiesen werden, daß eine internationale Aktion dringend notwendig ist. Selbstverständlich wäre dies nur zu erreichen, wenn alle Völker — einzeln oder gesondert — zur Uberzeugung gelangen, daß etwas zu geschehen hat. Aber schließlich muß auch gesagt werden, daß die Initiative zu einer nationalen Aktion in der Hand eines jeden einzelnen Bürgers — in der Ihren und in der meinen — liegt! Wie sollen wir diese Verantwortung, die uns zufällt, verstehen und was müßte getan werden?
1. Die bereits bestehenden Hilfsorgane sollten auf eine rationellere Weise ihre Tätigkeit koordinieren und sämtlichen Flüchtlingen beistehen.
2. Sollten Flüchtlinge ihr Anrecht auf das verlorene Heim und auf eine eventuelle Repatriierung beibehalten.
3. Sollte denjenigen, die es wünschen, die Möglichkeit gegeben werden, auszuwandern.
1 4. Müßte Völkern, welche die übergroße wirtschaftliche Last nicht allein zu , bewältigen vermögen, auf Grund eines internationalen Abkommens geholfen werden.
i 5. Sollten Flüchtlinge im Rahmen eines gesunden Aufbauprogramms an Stelle
von künstlich geschaffenen wirtschaftlichen Programmen eingesetzt, werden. Und endlich, der Flüchtlingsdienst sollte ausschließlich auf Grundsätzen des menschlichen Rechts ohne Rücksichtnahme auf politische Erwägungen begründet sein, wobei sämtliche Völker ein Abkommen im Sinne der Genfer Konvention unterzeichnen sollten.
Wie steht es um die Kirche im Hinblick auf das Flüchtlingsproblem? Besteht ihre Aufgabe nur darin, daß sie den Flüchtlingen Gottes Wort predigt, ihre Kinder tauft und ihre Toten beerdigt? Wird sie jeder Verantwortung enthoben, sofern die Menschheit selbst Protest erhebt und manche Völker bereit sind, zu handeln?
Der Flüchtlingsdienst des Lutherischen Weltbundes hat im Verlauf der letzten vier Jahre Erfahrungen gesammelt, die den klaren Beweis dafür erbringen, daß die geistliche
Betreuung — im begrenzten Sinn dieses Wortes — allein nicht genügt. Wir erkannten die Notwendigkeit einer Versorgung mit Nahrung und Kadern zu einer Zeit, als sogar die UNRRA in vollem Einsatz stand. Anschließend begründeten wir unseren Ansiedlungsdienst, um der IRO — welche über Millionen von Dollars verfügte — zu helfen. In diesem Sinn wird die Kirche auch in Zukunft eine besondere Rolle im Rahmen des Flüchtlingsdienstes zu spielen haben.
In den Jahren, da sich eine neue Weltorganisation gestaltete, hatten christliche Grundsätze eine größere Bedeutung, als dies im allgemeinen angenommen wird. Allerdings nur dann, wenn diese Uberzeugungen deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Leider neigen wir allzuoft dazu, die Schätze unserer Herzen im verborgenen zu halten und vom weltlichen Alltag zu erwarten, daß sie richtig erraten und verstanden werden. Die Hauptaufgabe der Kirche besteht nicht darin, daß sie still hält und darauf wartet, bis man den Weg zu ihr findet. Auch nicht darin, daß man von der Kanzel aus den Regierungen sagt, was sie unternehmen sollten, sondern im geistlichen Dienst am Menschen selbst. Um dies zu verwirklichen, muß die Kirche mitten im Leben stehen. Das ihr durch Gottes Gnade auferlegte Amt bevollmächtigt sie dazu, mit einer Autorität zu sprechen, welche sogar von einer ihr feindselig eingestellten Welt respektiert wird. Eine lebendige Kirche muß alle Anzeichen eines lebendigen Lebens zur Schau tragen. Sie darf nicht still und tatenlos bleiben.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!
