Vom bosnischen Frühling zum dunkelgrauen Herbst

19451960198020002020

Am Sonntag wählt Bosnien ein neues Parlament. Die Kassen des Landes sind leer, die Strukturen ineffizient. Und nun wird das Land auch noch in den Konflikt zwischen Russland und dem Westen hineingezogen.

19451960198020002020

Am Sonntag wählt Bosnien ein neues Parlament. Die Kassen des Landes sind leer, die Strukturen ineffizient. Und nun wird das Land auch noch in den Konflikt zwischen Russland und dem Westen hineingezogen.

Werbung
Werbung
Werbung

Vanessa Redgrave ist gerne in Sarajewo, sagt sie. Es ist Freitag, und Redgrave hat zu einer Pressekonferenz in der bosnischen Hauptstadt geladen. Sie meint, dass es hier viel für die Welt zu lernen gäbe. Deshalb hat sie einen Dokumentarfilm über die Entrechtung und Ausbeutung der arbeitenden Bevölkerung durch die Politik und die Korruption von Eliten hier angesiedelt. "Bosnia Rising" nennt sie ihren Film, und die Hauptprotagonisten sind alle jene Bewohner von Tuzla und Sarajewo, die sich im Frühjahr dieses Jahres zu Zehntausenden zusammenschlossen, um gegen einen verrottenden Staat und seine lähmenden Begleiterscheinungen zu protestieren.

Aber wo Redgraves Film endet, im "Rising", im Aufstand, da ging die Wirklichkeit nicht ganz so hoffnungsvoll weiter. Der Aufstand, das "Rising", setzte sich nämlich, wenn man so will, einfach wieder nieder. Auch deshalb klingt es ganz anders, wenn nicht Vanessa Redgrave, sondern Nejira Nali´c aus Tuzla über Bosnien spricht und über die Hoffnungen für die Wahlen am kommenden Sonntag.

Gnadenlose Überschuldung

Nali´c betreibt ein Mikrokreditunternehmen (Partner von Oikocredit) und ist nach Wien gekommen, um über die Situation von überschuldeten Bosniern zu sprechen. 400.000 von insgesamt fünf Millionen Bosniern sind überschuldet. Aus Hoffnung verschuldet, könnte man sagen. "Nach dem Krieg", berichtet Nali´c, "sind die Banken nach Bosnien gegangen und alle haben billig Kredite vergeben." Und die Bosnier nahmen Kredite, sie bauten Häuser, kauften Vieh und Konsumgüter. Nur die Jobs fehlten, um die Raten zu bezahlen. Und dann, nach den Aufständen im Frühjahr, von denen man hoffte, sie würden einiges besser machen, kam die Flut. Der Politikwissenschafter Vedran Dzihic vom Institut für internationale Politik (oiip):"Alles das, was wir an Schwächen wahrgenommen hatten, hat das Hochwasser noch einmal aufgezeigt. Die Politik war nicht bereit und fähig zu reagieren, der administrative Bereich unfähig, da die materiellen Mitteln und Ressourcen nicht zur Verfügung stehen, weil der Staat praktisch bankrott ist." Nun ist alles weg und der Winter steht vor der Tür. Das ist die ökonomische Wirklichkeit Bosniens: Derzeit sind offiziell 27 Prozent der arbeitenden Bevölkerung arbeitslos, inoffiziell sind es 40 Prozent. Im Bezirk Tuzla gibt es beispielsweise 80.000 Beschäftigte bei 100.000 Arbeitslosen. Staatliche Hilfe oder gar Initiativen gegen die Krise gibt es kaum oder gar nicht.

Besonders hart trifft das jene, die Opfer des verheerenden Hochwassers geworden sind. Millionen von Nutztieren ertranken, die Ernte 2014 ist in diesem Gebiet ein Ausfall. Und selbst wo es Hilfsgelder gäbe, verhindern die staatlichen und regionalen Strukturen des ethnisch zersplitterten Gebietes, dass die Hilfe ankommt. Am Montag beschwerte sich die NGO USAID über die Untätigkeit und die Korruption lokaler Politiker. 800 Millionen Dollar, so USAID-Chef David Barth, hätte die internationale Gemeinschaft den Hochwasseropfern gespendet. Aber das Geld könne wegen der Unfähigkeit der Politiker und Behörden nicht abgerufen werden.

Die Politiker scheinen andere Sorgen zu haben. Auf dem Berg Trebovic bei Sarajewo ließen serbische Nationalisten etwa zur Provokation der muslimischen Bevölkerung vor wenigen Tagen ein zehn Meter hohes weißes Kreuz aufpflanzen. Was man für solche politischen Aktionen bekommt? Nun, nicht wenig. Bosniens Politiker verdienen im Schnitt bis zu 8000 Euro. Zum Vergleich: Arbeitslose erhalten eine Unterstützung von 20 Euro pro Monat.

Das Problem Russland

Doch nicht nur solche Probleme hemmen die Entwicklung Bosniens. Es steht nun auch im Brennpunkt der Krise zwischen Russland und dem Westen. In Banja Luka, der Hauptstadt der Republika Srpska marschierte am Sonntag ein Trupp von 144 russischen Kosaken in Uniform und allem martialischen Klimbim auf. Es dauerte nicht lange und schon begannen sich Gerüchte zu verbreiten, die Kosaken, willige Helfer Putins bei der Besetzung der Krim, hätten das gleiche in der Republika Srpska vor. Sie wollten nach den Wahlen das Versprechen des Nationalisten Milorad Dodik einlösen helfen, die Serbengebiete Bosniens für unabhängig zu erklären.

Obwohl dieses Szenario sehr unwahrscheinlich scheint. Unbestreitbar sind die russischen Interessen in Bosnien und in Serbien. Politikwissenschafter Dzihic: "Die Serbische Mineralölgesellschaft gehört Russland und auch die South Stream-Pipeline soll über Serbien und die Republika Srpska gebaut werden." Russland sei derzeit nur daran interessiert, gegen alle europäischen Ambitionen in Serbien und in der Republika Srpska zu arbeiten. Doch dieses Kalkül scheint derzeit nur bei einer kleinen Minderheit aufzugehen. Mehr als 70 Prozent der Bosnier sehen ihre Zukunft in der EU.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung