Vom Kurden-Streit profitieren zuviele

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Türkische Richter verbieten eine kurdische Partei – und die Welt von Brüssel bis Washington ist empört über die „Einschränkung bürgerlicher Freiheiten“ im Land. Die gleiche EU und die gleichen USA, die seit Jahren die kurdische Arbeiterpartei PKK als terroristische Organisation einstufen, warnen jetzt vor einer Gefahr für den Demokratisierungsprozess in der Türkei. Warum, wo der Richterspruch doch damit begründet wird, dass die jetzt verbotene Kurdenpartei DTP der politische Arm der PKK ist? Türkeis Präsident Abdullah Gül sagte, die DTP habe dem Gericht keine andere Wahl gelassen. „Und Gerichtspräsident Ha¸sim K1l1¸c sagte: „Eine Partei mit Verbindungen zum Terror muss verboten werden.“

Beispiel Spanien oder Deutschland

Stimmt! Von US-Washington bis EU-Brüssel würden und werden Parteien mit Nähe zu terroristischen Organisationen oder staatsfeindlichen Aktivitäten verboten. Beispiel Spanien, wo man regelmäßig Parteien mit Nähe zur baskischen Seperatistenorganisation ETA aus dem politischen Rennen nimmt; Beispiel Deutschland, wo erneut über ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD diskutiert wird.

Warum ist dann in der Türkei etwas demokratiefeindlich, was in anderen Ländern gerade als Rettung der Demokratie vor ihren Feinden akzeptiert wird?

Weil man der türkischen Justiz nicht zu Unrecht unterstellt, dass sie Parteiverbote nicht als Ultima Ratio im politischen Wettstreit, sondern als juristische Waffe gegen politische Gegner benutzt. Mehr als 20 Parteiverbote seit Anfang der 1960er Jahre, vor allem gegen islamische und pro-kurdische Gruppierungen, erhärten diesen Verdacht. Erst im Vorjahr sind die Regierungspartei AKP und Premier ErdoØgan haarscharf einem Richterverdikt entkommen.

Bleibt trotzdem die Frage: Sind die kurdischen Abgeordneten terroristische PKK-Wölfe im demokratischen Schafspelz?

Mitnichten, jedenfalls bei Weitem nicht alle und auf keinen Fall der DTP-Vorsitzende, der Kurde mit dem für Türken versöhnlichen Namen Ahmet Türk. Mit dem Verbot verlieren zwar der 67-Jährige und ein zweiter Abgeordneter ihr Mandat. Wie sehr die kurdische Familie Türk allerdings mit dem türkischen Staat verwoben ist, zeigt eine andere Koinzidenz: Am Tag nach dem Verbot der DTP begann Türks Sohn seinen Wehrdienst in der türkischen Armee.

Parteiverbot mit Hintertürchen

Machen das Terroristenkinder? Erlauben das Terroristenväter? Nein, deswegen beklagten auch mehrere dem Verbot prinzipiell wohlgesonnene türkische Kommentatoren, das Gericht habe den gemäßigten Türk mit einem Politikverbot belegt, DTP-Hardliner aber verschont.

Wobei das Gericht selbst keine eindeutige Botschaft aussendet: Türkei-Insider glauben im Verbotsurteil eine indirekte Aufforderung des Verfassungsgerichts an kurdische Politiker herauszulesen, damit diese (unter anderem Logo) im Parlament bleiben. Denn die Anklage hatte die Entfernung von acht DTP-Politikern aus dem Parlament verlangt, doch das Gericht beließ es bei lediglich zwei Abgeordneten-Ausschlüssen.

Was also? Ein Parteiverbot wegen angeblicher Terror-Verstrickungen, doch ein Hintertürchen wird bewusst offengelassen?

Ja, denn die Hü-Hott-Entscheidung des Gerichts spiegelt die Zerrissenheit der Türkei in der seit Sommer an Fahrt gewinnenden „demokratischen Initiative“ wider, die den Kurden mehr Rechte verleihen soll. Wobei die Gegner dieser AKP-Initiative nicht nur in der kemalistisch-nationalistischen Opposition angesiedelt sind. Auch im Militär, in der PKK, in der DTP gibt es Gegner einer türkisch-kurdischen Annäherung, von Versöhnung noch gar nicht zu sprechen. Jeweils auf ihre Weise profitieren sie alle von der Fortsetzung des Konflikts. Und an einer Eskalation des Jahrhundertstreits zwischen Türken und Kurden hätten jetzt wieder viele von ihnen Gefallen – Türken wie Kurden sollten ihnen diese Freude nicht machen.

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