Vom Muster- zum Prügelknaben

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Drei Monate währen jetzt schon die Boykott-Maßnahmen der 14 EU-Länder gegenüber Österreich. Sind die bisherigen Reaktionen der Regierung ausreichende Mittel dagegen?

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Drei Monate währen jetzt schon die Boykott-Maßnahmen der 14 EU-Länder gegenüber Österreich. Sind die bisherigen Reaktionen der Regierung ausreichende Mittel dagegen?

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Nach wie vor ist es üblich, daß sich die Medien gierig auf Äußerungen Jörg Haiders stürzen, sie kommentieren und Wortspenden zur Wortspende einholen. So auch nach Haiders markiger, den Bogen wieder einmal überspannender Kampfansage an die EU. Ihr mit einem Austritt zu drohen, sei skandalös, hieß es darauf prompt. So verärgere man die letzten Freunde Österreichs im Ausland. Allerdings hat Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nun doch seinerseits ein entschlosseneres Auftreten der Regierung in Aussicht gestellt.

Ein selbstbewußteres Auftreten Österreichs ist eigentlich längst schon überfällig. Hat sich Österreich nicht von Anfang an allzu sehr als Juniorpartner in der EU gebärdet? Das fing schon mit den Beitrittsverhandlungen an. Schon damals mußte man den Eindruck gewinnen, Österreich stehe als Bittsteller in Brüssel und werbe um die Gunst, endlich Mitglied im erlauchten Verbund der westeuropäischen Nachbarn sein zu dürfen. Wieviele berechtigte Forderungen Österreichs - man denke nur an den Transitverkehr, an die Übergangsregelungen für die Landwirtschaft - wurden während der Verhandlungen allzu leicht aufgegeben.

Auch in den Jahren seither versuchten wir, uns als europäische Musterknaben darzustellen. Das entspringt dem Hang des Österreichers, sein Selbstverständnis aus der Anerkennung der anderen zu beziehen. Auffallend, wie man hierzulande darauf aus war, für die EU-Präsidentschaft gelobt zu werden. Kein anderes Land hat wegen dieser Routine-Tätigkeit ein solches Tamtam gemacht. Man erinnere sich an die Supershow am Heldenplatz. Als würde die EU am österreichischen Wesen genesen. Daher jetzt auch der tiefe Absturz - man liebt uns nicht! - statt gelassener, angemessener Reaktion. Wir stehen nicht vor dem wirtschaftlichen Ruin.

Die Italiener haben uns vorexerziert, wie man auf eine (auch nur angedeutete) Einmischung in die Regierungsbildung durch europäische "Freunde" reagiert. Als der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder im Zusammenhang mit der Ächtung Österreichs feststellte, auch bei einer Beteiligung der "Nationalen Allianz" des bekehrten Neofaschisten Gianfranco Fini an einer italienischen Regierung werde man sich in Europa angemessene Schritte überlegen müssen, stach er in ein Wespennest: Von links bis rechts erscholl der Protest der politischen Vertreter. Dezidiert wies der ex-kommunistische Ministerpräsident Massimo d'Alema seinen deutschen Amtskollegen in die Schranken.

Wie anders die Reaktion in Österreich: Die Medien kolportieren genüßlich jede österreichkritische Äußerung im Ausland und die politischen Vertreter können sich nicht zu einer Zurückweisung der Sanktionen aufraffen. Eine solche Reaktion hätte die Opposition in keiner Weise in ihrer Handlungsfähigkeit gegenüber der Regierung die Hände gebunden. Im Gegenteil: Sie hätte klarstellen können, daß es allein ihre Aufgabe ist, für die Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung in Österreich zu sorgen. Warum überläßt man wieder einmal Jörg Haider das Feld, ein offensichtliches Unrecht zu kritisieren?

Nach drei Monaten ist es an der Zeit, daß alle Parteien sich entschieden gegen den Boykott aussprechen. Erfreulicherweise gab es vorige Woche erste Anzeichen für ein Umdenken in der SPÖ. Die Meinungsumfragen, die für eine härtere Gangart plädieren, trugen sicher dazu bei.

Und noch ein Gedanke sei eingebracht. Die wiederkehrenden Behauptungen, Sorgen wegen der Gefährdung der österreichischen Demokratie seien maßgebend für diesen außergewöhnlichen Schritt unserer EU-Partner, sind einfach nicht ernstzunehmen. Wie wenig das antidemokratische Verhalten eines Landes die internationalen Beziehungen tatsächlich beeinflußt, zeigt der Empfang, der Wladimir Putin kürzlich in London zuteil wurde.

Ministerpräsident Tony Blair empfing den Vater des Tschetschenienkriegs mit Pomp in London - inklusive Tete a tete mit der Queen. Konfrontiert mit Kritik an seinem Wohlwollen einem Politiker gegenüber, der schwere Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat, erklärte Blair, das Ausgrenzen Rußlands sei kein probates Mittel. Man müsse die Demokratisierung im Land durch Vertrauenserweise fördern. Für Österreich also Ausgrenzung und für Rußland vertrauensbildende Maßnahmen.

Das moralisierende Gerede von der europäischen Wertegemeinschaft ist als das zu nehmen, was es ist: politische Rhetorik.

In den internationalen Beziehungen geht es beinhart um Interessen, wie auch das Beispiel Frankreich zeigt: Da sollte in einer parlamentarischen Resolution die Türkei für den Völkermord an den Armeniern zu Beginn der Jahrhunderts verurteilt werden. Die erste Kammer hatte schon 1998 für die Verurteilung gestimmt. Als die Türkei sauer darauf reagierte und mit der Stornierung von Rüstungskäufen drohte, ging die französische Regierung in die Knie und gab vor kurzem dem Senat zu verstehen, sie wäre dankbar für ein negatives Votum in der zweiten Kammer.

In der Politik geht es nicht um Sentimentalitäten, sondern um Interessen, um das geschickte Einsetzen seiner Möglichkeiten und um das Ausüben von Druck. Nur mit dem Erweis von demokratischem Wohlverhalten werden wir wohl kaum aus dem Winkerlstehen in Europa herauskommen. Druck wird auch notwendig sein. Strikt abzulehnen sind aber Projekte, wie das Verzögern von Beitragszahlungen oder das Drohen mit einem - von der Sache her ohnedies ausgeschlossenen - EU-Austritt. Was nützt es, einen Rechtsbruch mit Rechtsbrüchen zu beantworten? Wirkungsvoller wird es sein, legitime Mittel einzusetzen, mit der Zustimmung zu Beschlüssen zu geizen, die Einstimmigkeit erfordern. Auch Großbritannien hat dieses Mittel eingesetzt, als es in der Ära Thatcher darum ging, Englands Beitragszahlungen zu reduzieren.

Und es ist durchaus möglich, daß man bei solchen Aktionen Gleichgesinnte findet. Denn gerade der Fall Österreich mag manch anderem kleinen Mitgliedsstaat zu denken geben, ob es beim derzeitigen Stand der Beziehungen angeraten ist, das Vetorecht, das die Staaten in vielen Fragen heute noch im Rat haben, weitgehend zugunsten von Mehrheitsbeschlüssen abzuschaffen. Es könnte ja sein, daß einmal Portugal Mißfallen erregt und ins Out gestellt wird.

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