Vom Staat zum zweiten Mal zum Opfer gemacht?

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Der Staat bereichere sich anStrafgeldern für Verbrechen und gebe nur einen Bruchteil an die Opfer zurück, beklagen Opferschutzeinrichtungen

Zwei Juristen, zwei Meinungen: Udo Jesionek, Präsident der Opferschutzeinrichtung "Weißer Ring" und Dieter Böhmdorfer, Justizminister. Ihre jeweilige Darstellung der Situation von Straftatopfern in Österreich könnte unterschiedlicher nicht sein. Jesionek, hauptberuflich Präsident des Jugendgerichtshofes in Wien, diagnostiziert schwere Mängel beim Umgang der Justiz mit Verbrechensopfern. Der zuständige Minister hingegen hält in diesem Bereich nur mehr Verbesserungen "in Nuancen" für möglich und nötig.

Was ist der Ausgangspunkt dieser groben Meinungsverschiedenheit? Bis Freitag letzter Woche hätte der EU-Rahmenbeschluss über die Stellung des Opfers im Strafverfahren auch in Österreich umgesetzt werden sollen. Das Komitee zur Verbesserung der Opferrechte mit Udo Jesionek als prominenten Wortführer an der Spitze nützte das Datum, um dem Justizminister schwere Säumigkeit bei der Umsetzung von Opferrechten vorzuhalten. Dieser retournierte die Vorwürfe via APA postwendend als "unnötige Schaumschlägerei", um im Gespräch mit der furche zu präzisieren: Der EU-Rahmenbeschluss sei ein "abstraktes Forderungsprogramm" für alle EU-Staaten, so Dieter Böhmdorfer. Österreichs Gesetzgebung im Bereich des Opferschutzes sei aber bereits so weit fortgeschritten und verbessert, dass "keine nennenswerten Nachrüstungen" nötig seien.

Dieser Einschätzung widerspricht Weißer-Ring-Präsident Jesionek vehement und erhält wissenschaftlichen Beistand von Angelika Kartusch vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte: "Von einer vollständigen und fristgerechten Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses in Österreich kann keine Rede sein."

Opfer ernst nehmen

Und auch Frank Höpfel vom Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien sieht grobe Mängel im hiesigen Opferschutzbereich. Höpfel relativiert die Vorwürfe aber ein wenig, indem er ausführt, dass das Problem weltweit virulent sei. Österreich sei, laut Höpfel, auch keineswegs das Schlusslicht in dieser Sache. Entscheidend wäre für den Wissenschafter, dass der Staat zu den Verbrechensopfern sagt: "Wir stehen auf deiner Seite!" Opfer hätten oft das Problem, "nicht ernst genommen zu werden". Hier gehe es nicht nur um materielle Aspekte, weiß Höpfel, sondern generell um eine "würdevolle Behandlung". Dabei müsse auch überlegt werden, so der Strafrechtler, wie man einer "uninteressierten Staatsanwaltschaft Beine macht".

Udo Jesionek gibt selber zu, dass er zwar seit 40 Jahren Richter sei, aber erst seit fünf Jahren an die Verbrechensopfer denke. Und vorher? Jesionek, verweist in seiner selbstkritischen Antwort darauf, dass es im Strafrecht das Wort "Opfer" gar nicht gebe. Erst langsam finde ein Umdenkprozess in der Justiz statt, wende sich der Rechtsstaat den Opfern zu. Das geschehe "zu langsam und zu halbherzig", bemängelt der Weiße-Ring-Präsident und untermauert seine Vorwürfe mit konkreten Forderungen: Recht des Opfers auf Anerkennung, auf Information, auf schonende Vernehmung, auf Entschädigung durch den Täter und Erstattung der Ausgaben im Rahmen des Strafverfahrens sowie das Recht auf Resozialisierung und Unterstützung bei der Aufarbeitung von Traumas,...

Knapp 30 Millionen Euro (400 Millionen Schilling) nehme der Staat jährlich aus Strafen und Bußen ein. "Der Justizminister schüttet aber nur einen Bruchteil davon (1,5 Millionen Euro/20 Millionen Schilling) aus, während in Deutschland die gesamte Summe an Opferschutzeinrichtungen geht", beklagt Jesionek. Mit dem Geld könnten die Anwaltskosten für die Opfer - zumindest als Vorschuss - und andere Entschädigungen beglichen werden. Der Justizminister antwortet darauf mit der Feststellung, die frühere Regierung habe es verabsäumt, hier eine Zweckwidmung vorzunehmen. Jesionek kontert via furche: "Laut Artikel 6, Strafprozessnovelle 1999 könne der Justizminister sehr wohl das Geld anders verteilen, wenn er wolle." Böhmdorfer retour: "Jesionek vermengt hier Prozessbegleitung mit Opferentschädigung für die das Sozialministerium zuständig ist." Gespräche mit Minister Haupt zu einem neuen Modell der Opferhilfe seien aber bereits im Gange. Das Justizministerium schicke jedenfalls, so Böhmdorfer, auch jetzt schon niemanden weg, der im Rahmen der Prozessbegleitung nach Unterstützung für Rechtsanwalt, Therapeut oder Sozialhelfer verlange. Die Vorwürfe seien "abstrus", das Vorgehen seines Ministeriums "vorbildlich".

Zwei Juristen, zwei Meinungen. Vielleicht können die beiden Herren sich ja auf eine andere Aussage Jesioneks als weitere Verhandlungsgrundlage einigen: "Aufgabe des Staates ist es, seine Bürger zu schützen. Wenn das nicht gelungen und ein Verbrechen geschehen ist, dann ist der Staat verpflichtet, gute Opferrechte zur Verfügung zu stellen."

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