Vom Stahl verlassen?
Der Erzberg war der Mittelpunkt der Mur-Mürz-Furche. Heute erzählt das obersteirische Gebiet eine Geschichte von ökonomischem und gesellschaftlichem Wandel.
Der Erzberg war der Mittelpunkt der Mur-Mürz-Furche. Heute erzählt das obersteirische Gebiet eine Geschichte von ökonomischem und gesellschaftlichem Wandel.
Metallrote Häuser reihen sich dicht aneinander, daneben gewaltige Fabrikkomplexe der Stahlindustrie – so präsentiert sich der Weg durch die obersteirische Eisenstraße. Die Reise beginnt in Eisenerz, dem einstigen Herz der Stahlregion, direkt am Fuße des Erzbergs. Alt, fast modernd, steht ein Gebäude inmitten der 3900-Einwohner-Gemeinde. Es bietet einen Panoramablick auf den imposanten Erzberg, 1465 Meter hoch, auf den jede Postkarte neidisch wäre. Unzählige verstaubte und zerbrochene Fenster sind wie Augen auf den nahezu ausgestorbenen Ort gerichtet. Eine Zeichnung zweier verbleichender Hämmer an der Fassade erinnert an vergangene Tage.
Der Bergbau ist in der Obersteiermark seit jeher tief verwurzelt. Archäologische Befunde weisen gar darauf hin, dass bereits in der frühen Bronzezeit der Abbau vom Erzberg begann. Die abgebauten Ressourcen wurden in den europäischen Mittelmeerraum gebracht und dort weiterverkauft, gewonnene Kupferprodukte von Händlern über den ganzen Kontinent verbreitet. Selbst die alten Römer siedelten sich für das „norische Eisen“ in der Obersteiermark an. 1929 wurde im kleinen Vordernberg an der Eisenstraße eine Ofenanlage ausgegraben, die auf das zehnte Jahrhundert datiert werden konnte.
Die Hochburg verfällt
Doch die Bedeutung von Eisenerz für die Region verbleicht, so wie auch jene der gleichnamigen Gemeinde. In der Blütezeit der Obersteiermark vor gut sechs Jahrzehnten bot der Ort noch für 13.000 Einwohner eine Heimat. Parallel dazu erreichten auch die Belegschaftszahlen im Eisenerzabbau am Erzberg ihren Höchststand. Um die 4000 Mitarbeiter waren zu dieser Zeit am steirischen „Brotlaib“, wie der Erzberg dereinst treffend genannt wurde, beschäftigt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete sich die Region unterstützt vom Marshallplan an die technologische Weltspitze. Das 1949 entwickelte Linz-Donawitz-Verfahren führte die österreichische Stahlproduktion in ungeahnt erfolgreiche Sphären. Selbst einen Fußballverein konnten Stahlbrodler mit dem KSV damals in Österreichs höchster Spielklasse halten. In den 1970er Jahren arbeitete jeder Dritte in der Obersteiermark in der bereits verstaatlichten Stahlindustrie. 1973 konnten über eine Million Tonnen Roheisen aus dem Erzberg gewonnen werden. Doch mit den enormen Zahlen kam schließlich am Höhepunkt die Wende. Von 1981 bis 1991 wurden 46 Prozent der Arbeitnehmer (rund 11.000 Personen) abgebaut, schreibt der Volkswirt Michael Steiner in seinem Beitrag zur Bundesländergeschichte der Steiermark. Heruntergebrochen auf die Betriebe zeichnet sich ein desaströses Bild dieser Zeit. Vor allem von der großen Krise 1986 hart getroffen, wurden im Zeitraum 1971 bis 1991 die Arbeitsplätze bei Böhler von 11.400 auf 3900 reduziert, bei den Voest-Alpine-Betrieben von 16.500 auf 6400. Auch der Erzberg wird mittlerweile von Maschinen dominiert und ist beinah menschenleer geworden. Die Beschäftigungszahl am steirischen Brotlaib sank von 4000 auf 230, dies ist vor allem der Mechanisierung im Bergbaugeschäft geschuldet.
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