Vom Wetter vertrieben

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Der Klimawandel und daraus folgende Naturkatastrophen zwingen Menschen zur Migration in sicherere Regionen. Wie Europa davon betroffen sein könnte, lässt die EU-Kommission gerade erforschen.

Die Wikinger waren ein migrationsfreudiges Volk. Im neunten Jahrhundert entdeckte Erik der Rote "Grünland". Dieser Name passte damals für Grönland - Europa befand sich in einer Warmzeit. 500 Jahre später kam es zu einer Kaltzeit und die Wikinger gaben Grönland auf, emigrierten in südlichere Gefilde. Immer wieder löste das Klima in der Geschichte der Menschheit Völkerwanderungen aus oder machte diese erst möglich. Dieser Einfluss des Klimas ist bis heute ungebrochen - auch wenn die Zusammenhänge weitaus komplexer wurden.

Noch nie lebten so viele Menschen auf dem Planeten, der Druck auf die natürlichen Systeme der Erde ist enorm. Ein Großteil der Umweltveränderungen ist erst durch diesen Druck entstanden oder signifikant verstärkt worden. Gleichzeitig leben deutlich mehr Menschen in potenziell gefährdeten Lebensräumen. 21 der 36 Megacitys liegen in Küstenregionen, weltweit leben 100 Millionen Menschen nur maximal einen Meter über dem - ansteigenden - Meeresspiegel. Viele Menschen sind zudem äußerst verwundbar gegenüber Umweltveränderungen, haben wenige Möglichkeiten, sich an neue Bedingungen anzupassen oder sich gegen Naturkatastrophen zu schützen. Eine der logischen Folgen: Migration - eine erprobte (Über-)Lebensstrategie des Menschen.

Die EU-Kommission hat ein Konsortium von europäischen Forschungsinstituten damit beauftragt, die möglichen Folgen dieser durch Umweltveränderungen ausgelösten Migration für die Europäische Union abzustecken. Denn eines ist klar: Nationen mit hohem materiellem Wohlstand haben weitaus größere Ressourcen, um sich an Umweltveränderungen anzupassen und die Lebensqualität ihrer Einwohner zu sichern. Das macht die EU - neben weiteren Faktoren - zu einer Zielregion möglicher Umweltflüchtlinge.

EU-Osten unter Wasser

Erste Zwischenergebnisse aus dem Forschungsprojekt EACH-FOR (www.each-for.eu) benennen die "Hotspots", aus denen Umweltmigration zu erwarten ist: Die Sahelzone (Bodenverwüstung), Bangladesch (Meeresspiegelanstieg) oder Ägypten (Wassermangel) sind besonders betroffen, aber auch Menschen in der EU und deren unmittelbarer Nachbarschaft (Osteuropa, GUS-Staaten) sind mit massiven Veränderungen ihres Lebensraums konfrontiert.

In Europa wirkt sich der Klimawandel vor allem durch eine Zunahme an extremen Wetterereignissen aus: Neben mehr Dürren steigt die Zahl an Fluten deutlich - besonders betroffen davon ist der Osten Europas: Rumänien, Weißrussland und die Ukraine. Neben mehr Hochwassern erwarten Klimaforscher gleichzeitig weniger Niederschläge in diesen Regionen im Sommer. Noch mehr Dürren und Wassernot wären die Folge. Besonders betroffen davon ist Russland: 20 Prozent des russischen Trinkwassers sind bereits chemisch verunreinigt. Viele Flüsse und Seen sind zudem durch industrielle Abfälle verschmutzt. Russland hat rund 80 Milliarden Tonnen an industriellen Abfällen angesammelt, mehr als eine Milliarde Tonnen davon sind giftig. Der Druck auf die Ökosysteme ist groß, oft zu groß, sie kollabieren und können ihre Funktionen nicht aufrechterhalten. Berühmtes Beispiel ist der Baikalsee, aber auch die großen europäischen Seen Ladoga und Onega an der Grenze zu Finnland sind betroffen.

Umweltsünden rächen sich

Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan, Tadschikistan kämpfen ebenfalls mit massiven Umweltproblemen. Der Aralsee war vor 50 Jahren noch der viertgrößte Inlandsee der Welt. Heute ist er auf ein Viertel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft und in zwei Teile zerfallen. Der Wind wirbelt Sand und Salzpartikel des ehemaligen Seegrundes auf - eine gesundheitsschädliche Mischung, die zu einer niedrigeren Lebenserwartung bei den Menschen in der Region führt. Schreitet der Klimawandel so wie bisher voran, wird die Wüstenbildung weiter zunehmen und empfindliche Einbußen in der Lebensmittelproduktion sind sehr wahrscheinlich.

Grenzen ändern kein Wetter

Wie werden sich diese Umweltveränderungen auf Migrationsströme auswirken? Eine exakte Prognose ist derzeit unmöglich. Im EU-Projekt EACH-FOR arbeiten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen gerade daran, mögliche plausible Zukunftsszenarien abzustecken. Ergebnisse dazu werden in einem Jahr erwartet. Eines ist aber jetzt schon klar: Um sich auf die zukünftigen Entwicklungen einzustellen, braucht es differenziertere Maßnahmen, als die Grenzen dicht zu machen.

Der Autor forscht am Sustainable Europe Research Institute / SERI in Wien.

Weitere Infos: www.seri.at und

www.each-for.eu

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