Von fremden Radios aus dem Schlaf gerissen

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Rußland bekommt die Lage in Tschetschenien nicht in den Griff. Nach und nach dringen Meldungen über weitaus höhere Verluste an die Öffentlichkeit, als bislang zugegeben wurde. Unabhängige Berichte über die Anzahl der gefallenen Soldaten werden nach wie vor von Armeeführung und Geheimdienst systematisch verhindert.

Anfang dieser Woche hat man den größten privaten russischen Fernsehsender NTW von der Berichterstattung ausgeschlossen. Reaktion auf ein von NTW gezeigtes Interview mit einem russischen Offizier, in dem dieser die große Zahl russischer Opfer zugab.

Galina Orlowa, Quäkerin und Friedensaktivistin in Moskau, attestiert trotz des Informationsdefizits ein langsames Erwachen der russischen Zivilbevölkerung. Vor allem der Empfang ausländischer Radioprogramme gibt ein realistischeres Bild über den Krieg, und weckt die Russen aus dem "ungestörten Schlaf, in den sie seit Beginn des Zweiten Tschetschenienkriegs gefallen sind."

Sowohl in Moskau als auch in der Provinz finden Anti-Kriegs-Demonstrationen statt, bestätigt Orlowa im Gespräch mit der Furche. Waren es im vergangenen Dezember nur etwa ein Dutzend Demonstranten, die auf dem Roten Platz in Moskau gegen den Krieg im Kaukasus demonstrierten und Transparente mit dem Porträt von Ghandi hochhielten, sind es mittlerweile an die 100 Friedensaktivisten, die vor dem Verteidigungsministerium und der Duma gegen den Krieg auftreten. Unter ihnen Jugendliche, die die Ableistung ihres Militärdienstes wegen des Tschetschenienkriegs verweigern.

In der Hauptstadt werden die Demonstranten von der Polizei nicht behelligt. Auch ungenehmigte Aktionen haben die Behörden bislang toleriert. Einzig Journalisten versucht die Miliz von den Demonstranten fernzuhalten. In den Provinzen sieht die Lage anders aus. Orlowa berichtet, daß dort Anhaltungen und Festnahmen von Aktivisten die Regel sind.

Was planen die Pazifisten noch, gegen den Krieg zu unternehmen? Das Wichtigste ist, der tschetschenischen Zivilbevölkerung Unterstützung zukommen zu lassen, betont Orlowa. Russische Menschenrechts- und westliche Nichtregierungsorganisationen arbeiten gerade am Zustandekommen eines Hilfprojekts. Orlowa fordert Solidarität mit Tschetschenien, und die Transparente bei den Demonstrationen erinnern an ein Faktum: "Tschetschenen sind russische Bürger!" Wie lange noch, wird man sich fragen müssen.

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