VP-Dilemma: Neoliberal vs. Christlich

Werbung
Werbung
Werbung

Ich warne die CDU vor Thatcherismus. Er hat über Großbritannien im Wesentlichen Elend gebracht: geringere Produktivität, entgleiste Eisenbahnen aufgrund der Privatisierungsorgie und eine Steigerung der Sozialhilfeempfänger um 60 Prozent", so jüngst der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler an die Adresse seiner Partei.

Die ÖVP ist derzeit vor solchem Thatcherismus nicht gefeit. Der Privatisierungswahn geht auch in Österreich um. Die Förderung der privaten Vorsorge im Renten- und Gesundheitssystem hilft den oberen, schadet den unteren Einkommensschichten. Die Einkommensschere öffnet sich immer weiter, was jeder Wirtschaftsforscher statistisch nachweisen kann. Niemand bestreitet, dass unser gegenwärtiges Sozialsystem in manchen Bereichen überentwickelt ist, in anderen zum Missbrauch einlädt. Der generelle Rückbau des Systems in Richtung Privatvorsorge verstößt jedoch gegen den nationalen Konsens, auf dem die Zweite Republik aufgebaut hat, gegen das Konzept der sozialen Marktwirtschaft. Die Gründer der ÖVP wollten 1945 sogar mit "christlichem Sozialismus" gegen die SPÖ in den Wahlkampf ziehen.

Heute zählen FPÖ-Ideologen ganz offen den Wirtschaftsminister der ÖVP "zu den Unsrigen", ohne dass sich dieser von der Vereinnahmung distanziert. Finanz- und Wirtschaftsminister aus dem neoliberalen Lager besetzt, das Sozialressort an die FPÖ abgetreten - womit will die ÖVP noch ihre soziale Komponente glaubwürdig machen?

Was Wolfgang Schüssel derzeit vorführt, ist die Umwandlung einer christlich-demokratischen Partei in eine neoliberale, deren letzter christlicher Ausweis die Familienpolitik ist. Wo bleibt ein Heiner Geißler für die ÖVP, der Wolfgang Schüssel auf dem Weg zu Maggie Schüssel bremst?

Die Autorin war ORF-Journalistin und Dokumentarfilmerin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung