Wahlen im Herz der Finsternis

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Im Kongo sollen die Präsidentenwahlen am kommenden Sonntag den "Afrikanischen Weltkrieg" formell beenden. UNO-und EU-Engagement stehen auf dem Prüfstand.

Kananga, Provinz West-Kasai. Die heruntergekommene Millionenstadt in der Mitte des Landes war einmal als Alternative zur Landeshauptstadt Kinshasa ausersehen. Gebäude aus der Kolonialzeit zerfallen. Einst gab es ein funktionierendes Stromnetz, Wasserversorgung, sogar Straßenbeleuchtung. Alles kaputt, zersägt, verkauft oder verrostet. Wenn die Bahnarbeiter streiken, weil sie seit Jahren nicht bezahlt wurden, liegt es nahe, dass niemand da ist, der die verbliebenen Waggons davor schützt, ihrer letzten Sitze beraubt zu werden. Aus Lokomotiven, Waggons am Bahnhof wachsen Bäume. Dieses Alteisen war zu robust, um es mit hiesigen Mitteln zu zersägen.

Drei Millionen Tote

Die Menschen - Händler, Bauern, Flüchtlinge - lächeln wenig, wiegen sich nicht in kongolesischen Musikrhythmen, auch wenn der letzte Krieg Kananga nicht verwüstet hat. Ein Krieg, der 1998 bis 2003 im Kongo mindestens drei Millionen Menschenleben gefordert hat, durch Massaker, Krankheiten, Unterernährung, in einem Land mit fruchtbarem Boden und massenhaften Rohstoffen. Wäre die Demokratische Republik Kongo ein funktionierender Staat, wäre sie das reichste Land Afrikas. Kommenden Sonntag entscheiden 25 Millionen Wähler in einer Stichwahl, wer als Präsident die Geschicke des 60-Millionen-Landes kontinentaler Ausmaße (28-mal so groß wie Österreich, dabei gerade noch 600 Kilometer asphaltierte Straßen) führen soll.

Nach den blutigen Wirren der Unabhängigkeit 1960 hatte Mobutu Sese Seko einen Operettenstaat etabliert. Völlig zerrüttet, wurde das morsche Regime 1997 von Laurent Kabila weggefegt. Kabila in Kinshasa wurde von Angola, Simbabwe, Sambia und Namibia, diverse Rebellenbewegungen wurden von Ruanda, Uganda, Burundi unterstützt. Eine Metzelei im Stil des 30-jährigen Krieges, der einst Europa ein Jahrhundert zurückwarf. Soldaten erhalten keinen Sold, leben von Plünderungen. Der Krieg ernährt sich selbst. Bis Erschöpfung einsetzt. Das schien 2003 der Fall, als sich die Kriegsparteien auf einen Friedensschluss einigten, die Macht unter sich aufteilten und Wahlen vereinbarten. Die fremden Truppen zogen ab, während ihre lokalen Schergen weiter plünderten.

Gescheiterter Staat

Der Kongo, ein Markt unbegrenzter Tätlichkeiten voll Raffgier und Korruption, ein Flickenteppich, aufgeteilt in Einfluss-, Ausplünderungssphären seiner Nachbarstaaten und internationaler Konzerne. Ein gescheiterter Staat, der lange aufgehört hat, so zu tun, als ob er seine Lehrer mit vier oder sechs Euro monatlich bezahlte. Die Staatsangestellten (Lehrer, Bahn, Verwaltung) hören auf, so zu tun, als ob sie arbeiteten. Es gibt sie natürlich, verantwortungsvolle, aufopfernde Menschen. Aber sie sind sehr allein auf weiter Flur, wo nach Jahrzehnten strafloser Kleptokratie ein tiefgehender Moralverfall, die soziale Verwahrlosung ein Stadium erreicht haben, das nicht zu unterbieten ist: die Einschätzung von Kongolesen vor Ort wie Bruder André im katholischen Karmel-Kloster von Kananga. Seit der Flucht der letzten Weißen Patres führt es Frère André, ein einheimischer Laienbruder, geradezu vorbildlich, unterstützt von einer Handvoll Helfer. Als Diktator Mobutu stürzte, war die katholische Kirche die einzige landesweite Institution, die noch funktionierte.

Die ersten freien Wahlen im Land seit vierzig Jahren werden von der UNO organisiert. MONUC, die Mission im Kongo ist mit fast 20.000 Mann die größte UN-Präsenz weltweit. Die EU hat den Löwenanteil der Wahlkosten von fast 400 Millionen Euro übernommen. 25 Millionen Menschen wurden registriert und bekamen einen Ausweis, für die meisten das erste Dokument, die erste staatliche Kenntnisnahme ihrer Existenz. Die erste Wahlrunde am 30. Juli verlief erstaunlich gut organisiert und transparent ab. Angesichts fehlender staatlicher Verwaltung und eines inexistenten Transportwesens ein Wunder, das durch logistische und finanzielle Unterstützung von UNO und EU und das Engagement von 300.000 lokalen Wahlhelfern möglich war.

Programmierter Sieger

Die westlichen Regierungen trauen dem Amtsinhaber und vorprogrammierten Wahlsieger Joseph Kabila (Sohn des 2001 ermordeten Laurent Kabila) zu, die Lage zu stabilisieren, wofür er sich mit lukrativen Bergbaukonzessionen erkenntlich zeigte. Allerdings zahlten die ausländischen Unternehmen außer Bestechungsgeldern nur einmalige Lizenzgebühren von wenigen Millionen Euro in die Staatskassa. Kongo verfügt über Rohstoffreserven im Wert von Hunderten Milliarden Euro. Die Ausplünderung geht, nunmehr formell legal, weiter. Die unterlegenen 31 Kandidaten der ersten Runde, die 72 Minister, diverse ehemalige Rebellenführer, die 2003 ihre Uniformen aus-und Krawatten angezogen hatten, wollen ihre Pfründe sichern, obwohl etliche wie Kabilas Stichwahlgegner, der Warlord Jean-Pierre Bemba, eher vor ein internationales Kriegsgericht gehörten.

Der friedliche Ausgang der zweiten Runde bleibt abzuwarten. Auch ein vergleichsweise korrekter Wahlprozess macht noch keine Demokratie. Saubere Polizeikräfte, Verwaltungsstrukturen, ein effizientes Justizsystem, freie Medien, Ausbildung, wirtschaftliche Perspektiven: illusionäre Schlagworte nach einem Jahrhundert Kolonialismus, Inkompetenz und Ausplünderung. Die MONUC und die EUFOR-Beteiligung könnten dennoch zum Erfolg werden, wenn sie sich als wirksame Alternative zu den Polizei-und Militäraktionen einer Hegemonialmacht herausstellen, die in einem globalen Terror-Bedrohungsszenarium mit höchst zweifelhaftem Erfolg Länder (Somalia, Afghanistan, Irak) rein militärisch stabilisieren will. Die EU und damit auch Österreich haben Entwicklung, Demokratieförderung und Menschenrechte in einen erweiterten Sicherheitsbegriff und in die Entwicklungs-Zusammenarbeit aufgenommen.

Der Autor war in leitender Position bei NGOs und internationalen Organisationen für konsensuale Konfliktlösung tätig; zuletzt EU/UN-Wahlbeobachter im Kongo.

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