Wahlen in Zeiten des Krieges

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Afghanistan wählt am Samstag ein neues Parlament. Doch hinter der demokratischen Fassade macht der tobende Bürgerkrieg alle erreichten Fortschritte zunichte.

Es war im Herbst 2001, als die Lehren des preussischen Generals Carl von Clausewitz aus dem 19. Jahrhundert eine unerwartete Renaissance erfuhren. Im Nachhall der Terrorangriffe vom 11. September waren neue Ratgeber gefragt: Denn die Zukunft brachte Krieg. Clausewitz konnte mit seiner 200 Jahre alten Analyse helfen, die Begriffe gehörig zu glätten. Krieg war nach seiner Definition nicht einfach staatlich sanktionierter Mord, Vertreibung und Vernichtung, sondern #die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln#. Bald war der verblichene General in aller Munde, seine Sentenzen wurden unter dem Schlagwort #Kriegskunst# besprochen.

Das erste Schlachten-Kunstwerk wurde Operation #Enduring Freedom# benannt, und umschrieb heroisch die Eroberung Afghanistans. Die Ziele der Operation kann man noch heute dem Handbuch der NATO entnehmen: Vernichtung der Taliban, Verhaftung von Osama bin Laden, Zerstörung der Al Kaida, Entwaffnung der Warlords, Unterbindung des Drogenhandels, vor allem aber Aufbau eines Rechtsstaates mit demokratischer Verfassung und Gleichberechtigung der Frauen.

Am Samstag, neun Jahre nach dem Beginn des Feldzugs gegen den Terror, wählt Afghanistan nun ein neues Parlament # Gelegenheit genug, eine Zwischenbilanz des Erreichten zu ziehen.

Kein Ende und keine Gewinner

Schon aus rein militärischer Sicht bietet sich ein katastrophales Bild: Der Krieg in Afghanistan forderte bisher 19.000 Tote unter Zivilisten und Soldaten sowie 48.000 Verletzte. Allein im Ersten Halbjahr 2010 stieg die Zahl der zivilen Todesopfer gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 21 Prozent auf 1271, so die Afghanistan-Mission der UNO. Der Kampf gegen die immer stärker werdenden Taliban hat zuletzt mehr als 102.000 Soldaten der USA und der NATO-Verbündeten beansprucht. Bisher kostete der Krieg alleine den Vereinigten Staaten 200 Milliarden Dollar (Stand 2009, US-Kongress). Das ist viel Aufwand für die Erhaltung eines Einflussbereiches, der über die großen Städte kaum hinaus reicht. Die Taliban haben sich von einer fundamentalistischen Miliz zu einer taktisch erfahrenen Armee gewandelt, Osama bin Laden ist offenbar nach wie vor am Leben, die Al Kaida unterhält nach wie vor im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan Trainingscamps für Terroristen. Dass dieser Krieg #nicht mehr zu gewinnen ist#, meinen nicht mehr nur einfache Soldaten auf Youtube, sondern auch Oberbefehlshaber wie der Kommandeur der britischen Einheiten, Mark Carleton-Smith.

Haben nun demokratische Bemühungen um Afghanistan ohne den militärischen Sieg über die Aufständischen überhaupt eine Perspektive? Marc Thörner, deutscher Journalist und Autor des Buches #Der Afghanistan-Code#, sagt: #Die Menschenrechte spielen in Afghanistan keine Rolle mehr. Was eine Rolle spielt, ist Stabilität. Diesem Ziel wird alles untergeordnet.# Die westlichen Staaten duldeten eine neue Allianz aus Warlords und fundamentalistischen Geistlichen, mit dem Argument, man müsse #den Besonderheiten der afghanischen Kultur entgegenkommen#.

Den Einflussbereich der Taliban konnte das nicht wirklich schmälern, das wurde im Wahlkampf klar. Es gab Morde und Entführungen von Wahlhelfern und Kandidaten und Drohungen # vor allem gegen jene rund 300 Frauen, die sich um die 249 Abgeordnetenmandate der Wolesi Jirga bewerben.

Fawzia Kofi ist eine von Ihnen. Vor vier Wochen musste sie aus Sicherheitsgründen ihre Familie verlassen. Ihren Töchtern hinterließ sie einen Brief, in dem sie sie bat, im Falle, dass sie nicht zurückkehren sollte, tapfer zu bleiben und den Kampf um Gerechtigkeit fortzusetzen. Vor zwei Wochen wurde Kofis Auto während einer Überlandfahrt von Bewaffneten angegriffen. Die Kandidatin und ihre Helfer entkamen nur knapp.

Politische Enklave Kabul

Wegen der gefährlichen Sicherheitslage wagen sich viele Abgeordnete nicht mehr aus der Hauptstadt Kabul hinaus. Der Wahlkampf selbst entwickelt sich teilweise zur Farce um Stimmenkäufe. Wahlkämpfer berichten, Dorfälteste würden die Stimmen ihrer Bürger für 1,50 Dollar pro Kopf anbieten.

Nach Einschätzung des deutschen Wahlbeobachters Thomas Ruttig wird die Wahl weder frei noch fair über die Bühne gehen: #Dafür sind die institutionellen und rechtlichen Voraussetzungen nicht ausreichend#, so der Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN). Man müsse diskutieren, wie groß die Abstriche sein dürften, damit das Ergebnis für Wähler und Kandidaten noch akzeptabel bleibe. Erst am Dienstag wurden 3000 manipulierte Wahlkarten in der Provinz Gashni beschlagnahmt.

Dazu erheben Politiker auch Vorwürfe wegen Wahlmanipulation gegen den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai. Er versuche mit der Wahl ein #Ja-Parlament# zu schaffen, #wo er wie ein König herrschen und tun kann, was er will#, sagt der Kandidat Mullah Malang. Wahlbeobachter Thomas Ruttig bedauert, dass die internationale Gemeinschaft dem Präsidenten #wider besseres Wissen# bescheinigt hat, er fühle sich #verpflichtet, vollständig transparente und glaubwürdige Wahlen durchzuführen#. Fazit Ruttig: #Karzai ist damit schon jetzt Wahlsieger. Afghanistans Embryo-Demokratie unterliegt.#

Allianz mit Terroristen?

Vollkommen ad absurdum könnte sich freilich die westliche Kampagne gegen den internationalen Terror führen, wenn der umstrittene Präsident mit genau diesen Kräften paktieren würde. Genau das nämlich fürchten zwei Experten der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Babak Khalatbari und Janna Kazi sehen vor allem eine im Hintergrund geplante Allianz zwischen dem Regime in Kabul und ehemals geächteten Taliban-Verbündeten oder Kriminellen mit Sorge. Karzai hingegen verstünde das als #Politik der Versöhnung#.

Diese Handreichung betrifft auch den fundamentalistischen Mujaheddin-Führer Gulbuddin Hekmatyar. Hekmatyar ist Islamist und seit 2006 offener Unterstützer der Taliban. Die USA suchen ihn seit 2003 per internationalen Haftbefehl als #globalen Terroristen#. Hekmatyar, so die kolportierten Pläne Karzais, solle einige Jahre ins saudi-arabische Exil gehen, während sein Schwiegersohn in Karzais Ministerkabinett die Interessen Hekmatyars vertreten könne.

Auf den Straßen Kabuls zeigen sich bereits die Zeichen einer heraufdämmernden neuen, dunkleren Zeit. Auf einigen der Plakate von Kandidatinnen wurden die Köpfe entfernt. Dies, so die Angaben der Wahlbehörden, geschah auf Wunsch der Politikerinnen # und freiwillig. Man könnte auch das eine #Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln# nennen.

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