Warme Semmeln für syrische Flüchtlinge

19451960198020002020

In der Unterkunft "Voenna rampa" leben die Flüchtlinge miserabel. Ein Integrationsprogramm fehlt. Der bulgarische Staat versagt in seiner Asylpolitik. Reportage aus einem Quartier der Ungewissheit.

19451960198020002020

In der Unterkunft "Voenna rampa" leben die Flüchtlinge miserabel. Ein Integrationsprogramm fehlt. Der bulgarische Staat versagt in seiner Asylpolitik. Reportage aus einem Quartier der Ungewissheit.

Werbung
Werbung
Werbung

Europa fängt für viele syrische Flüchtlinge in "Voenna rampa" an - einer verfallenen Industriezone am Rande von Sofia, in der ehemaligen Fachschule für Innenausstattung und Holzbearbeitung. Im Hof ist das Pflaster mit buntem Müll bestückt und der heruntergefallene Putz hat am verlassenen Gebäude aus den sozialistischen Zeiten Flecken hinterlassen. Hier und da in den dunklen Fensterrahmen stehen Männer, rauchen nachdenklich und schauen auf die Menschenmenge vor dem roten Van vor dem Schuleingang. Es ist 12.30 Uhr. Die Aktivisten des "Bulgarischen Spendenforums" sind schon angekommen. In Abwechslung mit dem Roten Kreuz organisieren und verteilen sie nun Essen, sowie ein anderes Mal Kleider, Schuhe. Denn die Hilfe in Höhe von etwa 35 Euro, die die Fremden vom bulgarischen Staat gleich wie die bulgarischen Sozialbedürftigen bekommen, ist nicht ausreichend.

Die warme Suppe und die frischen Semmeln haben wie ein Magnet eine Schar von Kindern und Jugendlichen angezogen. Das Ritual scheint schon eingespielt zu sein: Die Aktivisten geben kurze Kommandos auf Bulgarisch, reichen gleichzeitig den arabischen Buben Kartons mit Semmeln und tragen dann selbst die Plastikdosen mit der Suppe durch die finsteren Korridore, geführt von ihren Assistenten, die zu den provisorischen Quartiers heraneilen und die Erwachsenen fragen, ob und wie viele Portionen Essen jede Familie braucht. Die Buben sind stolz, Dolmetscher zu sein.

Da, wo früher große Hallen mit Holzbearbeitungsmaschinen und Turngeräte für die werdenden Handwerker standen, sind heute Hütten aus Sperrholz und Stoff entstanden -merkwürdige Reihenhäuser für Menschen, die ihre Heimat zwangsweise verlassen mussten.

"Als die Syrer im September in die Schule eingezogen sind, waren das alles Gespenstertürme, leer und marode, noch schlimmer als jetzt", erinnert sich Iliana Savova, Direktorin des Programms "Rechtsschutz für Flüchtlinge und Migranten" des Helsinki Komitees in Sofia. Dann haben die Flüchtlinge selbst alles Brauchbare von dem herumliegenden Zeug in der Schule genommen, die Bulgaren haben ihnen einiges mitgebracht. Nach den Weihnachtsaktionen für die Flüchtlingskinder haben nun einige der Abteile auch etwas von der Atmosphäre eines Kinderzimmers - Teddybären, Clowns und Autos schmücken die provisorischen Regale.

In so einem winzigen Quartier mit Kuscheltieren haust die Familie von Gassan Albrahem zusammen mit vier Verwandten. "Ich bin Geschäftsmann", beginnt er zu erzählen und muss sich sofort selbst korrigieren -"ich war Geschäftsmann, hatte einen Betrieb für Herstellung von Joghurt und auch ein Autohaus." Gassan ist 32, vierfacher Familienvater aus Qamischli, einer kurdischen Stadt im Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei. Eins seiner Kinder, ein Mädchen, ist im vergangenen Sommer auf der Straße vor dem Haus erschossen worden -ihr Großvater hatte sie zu einem kurzem Spaziergang ausgeführt. Einen Monat später war Gassan mit Frau, Kindern und seinen Verwandten unterwegs nach Europa.

Keine Chance auf Arbeit

Ein Teil der Großfamilie ist in der Türkei geblieben -keine Option für Gassan wegen der mit 700.000 Flüchtlingen überfüllten Camps und der geringen Chancen, eine Arbeit zu finden. "Unsere Hoffnung ist deshalb Bulgarien", sagt er. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Gassan von den meisten 838 Asylbewerbern in "Voenna rampa", die in ein westliches Land weiterziehen wollen.

"Die Asylbewerber wollen nicht glauben, dass nur ein geringer Teil von ihnen in dem von ihnen ersehnten EU-Land Fuß fassen wird", sagt Krassimira Velitschkova vom "Bulgarischen Spendenforum". Nach der sogenannten Dublin-Verordnung können nämlich Flüchtlinge in Europa über eine Überstellung in einen anderen Mitgliedsstaat nicht selbst bestimmen. Oft werden Flüchtlinge in dasjenige EU-Land zurückgewiesen, wo sie den Erstaufnahmeantrag gestellt haben.

Gassan sitzt auf dem Boden, neben ihm seine Frau Amera, mit dem Baby im Schoß, der Sohn Ali und ein Neffe. "Die Hilfe, die wir in Bulgarien bekommen, ist nicht im Überschuss, aber wir sind dankbar, weil wir in Sicherheit sind -in meiner Heimatstadt bestimmen immer noch Tod, Diebstahl und Entführungen den Alltag. Diese Sicherheit habe der Familie 20.000 US-Dollar gekostet. Soviel habe ein Menschenschmuggler bekommen, um Gassan und seine Leute über die Grenze zu bringen.

Hier, in "Voenna rampa" kann Gassan kurz aufatmen. Draußen erwartet ihn die Ungewissheit."Unsere Familie ist groß. Dach und Unterhalt für 37 Menschen zu sichern, wie wird das sein?" Im neuen Integrationsprogramm der bulgarischen Regierung, das an die immer mehr hinzukommenden Flüchtlinge angepasst werden soll, sollen Sprachkurse, juristische und psychotherapeutische Unterstützung vorgesehen werden. Doch es steht noch aus.

Gesundheitliche Risiken

"Was uns jetzt Sorgen macht, ist unser Sohn", sagt Gassan und weist auf den zweijährigen Mekad. Mehrmals sei der Kleine von bulgarischen Ärzten untersucht worden, ohne Verbesserung. Man sieht es auch am Regal voller Fläschchen mit Hustensaft. Der Bub liegt auf einer Matte und schläft. Sein Gesicht ist blass. Direkt über seinem Kopf klafft ein großes Fenster, die kühle Luft dringt in den ohnehin nicht gut geheizten Raum ein. "Anders geht es nicht", erklärt die Mutter. Die Männer in den Nachbarquartiers würden fast ununterbrochen rauchen.

Draußen im Korridor stehen umgekippte alte Schulbänke, wo die Wäsche trocknet. Gewaschen wird in den Waschbecken der alten WCs, da, wo auch Geschirr gespült wird und wo ebenfalls für Körperhygiene gesorgt wird. Letzte gründliche Renovierung dürften diese Sanitäranlagen noch im Sozialismus erlebt haben.

"Dass Bulgarien total unvorbereitet der Zuflucht von Menschen aus Krisengebieten gegenübersteht, ist auf Versäumnisse des Staates zurückzuführen. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, wir auch, haben die Staatliche Agentur für Flüchtlinge schon längst vor so einer Entwicklung gewarnt", sagt Frau Savova. Doch es habe in den letzten Jahren klare politische Linien gegeben, wenig Asylbewerbern aufzunehmen. Unter Vorwand knapper Plätze seien die Flüchtlinge an der Grenze demotiviert worden, Asyl zu beantragen, obwohl um die 500.000 Euro jährlich nur vom Europäischen Flüchtlingsfonds zur Verfügung standen. So konnte der Zustrom der Flüchtlinge bis 2013 bei 1000 im Jahr gehalten werden, bis die Eskalation der Krise in Syrien, deren Zahl auf 10.000 anschwellen ließ. Derweil hat der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen die EU aufgefordert, Asylsuchende nach Bulgarien nicht mehr zurückzuweisen, da sie dort einem "demütigenden Umgang" ausgesetzt wären.

"Die letzte Renovierung hat das Lager im Sozialismus erlebt. Gewaschen wird in den Waschbecken der alten Toiletten, da, wo Geschirr gespült und wo auch für Körperhygiene gesorgt wird."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung