7125529-1997_03_08.jpg
Digital In Arbeit

Was Geschwisterlichkeit eigentlich bedeutet

Werbung
Werbung
Werbung

Die Plattform „Wir sind Kirche“ schlägt im Hinblick auf die kommende Pfarrgemeinde-ratswahl am 16. März 1997 in einem „ 1. Gemeindebrief an alle österreichischen Pfarrgemeinden“ vom 5. Dezember 1996 folgende Aktion vor: „Öffentlicher Verzicht des Pfarrers auf die Ausübung seines Vetorechts im neuen Pfarrgemeinderat“. Damit soll ein Signal gesetzt werden, „daß erwachsene und mündige Christinnen und Christen in ihrer Mitverantwortung ernst genommen werden“.

Mit diesem Vetorecht des Pfarrers ist die Bestimmung gemeint, daß der Pfarrgemeinderat seine Beschlüsse nicht gegen den Willen des Pfarrers fassen kann, daß er also zumindest bezüglich seelsorglicher und theologisch relevanter Fragen eben ein Bat gebendes Gremium ist. Das entspricht dem Kirchenrecht (CIC 1983 can. 536). Das kann man negativ durch ein Vetorecht zur Geltung bringen oder positiv dadurch, daß Beschlüsse erst in Kraft treten, wenn der Pfarrer zustimmt. In der neuen Wiener Pfarr gemeinderatsordnung vom 14.9.1996 ist von einem Vetorecht keine Bede. Da heißt es einfach, daß der Pfarrgemeinderat „den Pfarrer bei der Leitung der Pfarre mitverantwortlich unterstützt, Fragen des pfarrlichen Lebens berät, zusammen mit dem Pfarrer im Sinne dieser Ordnung entscheidet und für die Durchführung der Beschlüsse sorgt“ (I/2b).

Die Wiener Pfarrgemeinderats-ordnung geht dann sogar über das Kirchenrecht (can. 532 und 537) hinaus, wenn sie festlegt: „Bei der Mitwirkung in den Angelegenheiten der kirchlichen Vermögensverwaltung kommt dem Pfarrgemeinderat beschließendes Stimmrecht zu“ (11/10). Dabei wird bezüglich des Abschlusses oder der Auflösung von Dienstverträgen weder zwischen dem finanziellen und dem personalen Aspekt unterschieden noch die Frage der Haftung geklärt. Denn nach dem Kirchenrecht (can. 532,1284 und 1741/5) und wohl auch nach dem Konkordat haftet nach wie vor der Pfarrer für eine schlechte Vermögensverwaltung, die sich möglicherweise aus einem Beschluß des Pfarrgemeinderates ergab, dem er gar nicht zugestimmt hat.

Man müßte also konsequenterweise die Kandidaten zur Pfarrgemein-deratswahl darauf aufmerksam machen, daß sie auch mit ihrem Privatvermögen haften, wenn sie in grob fahrlässiger Weise durch einen Beschluß die Pfarre schädigen. Außerdem müßte man dafür sorgen, daß bei jeder Abstimmung in Vermögensangelegenheiten im Protokoll festgehalten wird, wer für diesen Beschluß gestimmt hat und daher auch für ihn haftet. Sonst müßten alle anderen das Gremium verlassen, wenn sie den Beschluß nicht mittragen können.

Wenn also der Pfarrgemeinderat auch in theologischen und pastoralen Fragen mit Mehrheit über den Pfarrer hinweg entscheiden könnte, wie es die Plattform „Wir sind Kirche“ vorschlägt, käme dieser bezüglich jener Angelegenheiten, die man eigentlich noch ernster nehmen müßte als die finanziellen, in dasselbe Dilemma: Er wäre als Pfarrer nach dem Kirchenrecht der Gesamtkirche, vertreten durch den Bischof, und den übrigen Pfarrangehörigen gegenüber für Entscheidungen verantwortlich und haftbar, denen er möglicherweise nach seinem besten Wissen und Gewissen nicht zustimmen konnte, denen er aber folgen müßte, wenn er auf sein Vetorecht (oder Zustimmungsrecht) verzichtet hat. Er käme damit „zwischen Mühlsteine“ und in eine weitere Überforderung seines ohnehin äußerst schwierigen Amtes. Sollte das „geschwisterlich“ sein? Oder wird der Pfarrer auch von der Plattform „Wir sind Kirche“ - wie leider (noch) vom Kirchenrecht - nicht zu den „Geschwistern“ gerechnet?

Der Appell der Plattform müßte sich also an andere Adressaten richten, zunächst an den Bischof: Ob er wohl bereit wäre, nicht mehr den Pfarrer, sondern die jeweilige Mehrheit (oder den ganzen Pfarrgemeinderat, falls alle die Verantwortung für jeden Mehrheitsbeschluß mittragen wollten) zur Rechenschaft zu ziehen. Er müßte dann konsequenterweise auch alle Pfarrgemeinderäte zu Priestern (bzw. Priesterinnen) weihen. Denn der Sinn der Weihe von Gemeindeleitern besteht primär darin, daß es in jeder Gemeinde jemanden geben muß, dem von der Gesamtkirche das Vertrauen ausgesprochen und die Vollmacht übertragen wird, für die Einheit der Gemeinde mit der gesamten Kirche und durch sie mit Jesus Christus zu sorgen und diese sichtbar zu machen. Diese Bezugspersonen können dann innerhalb der Gemeinde nicht einfach überstimmt werden, wenn diese Gemeinschaft bewahrt bleiben soll.

Außerdem müßten auch die (übrigen) Pfarrangehörigen gefragt werden: Ob sie sich darüber hinaussehen, mit allen Pfarrgemeinderäten (vor allem mit jenen, die einen bestimmten Beschluß gefaßt haben) Kontakt aufzunehmen, wenn sie sich über eine Entscheidung des Pfarrgemeinderates und seine Auswirkungen beschweren wollen. Die Erfahrung zeigt aber, daß sie dazu nicht bereit sind, sondern ihren Ärger beim Pfarrer deponieren, der dann wieder zum Sündenbock wird, auch wenn er der Entscheidung gar nicht zugestimmt hat (das gilt natürlich auch von den Vermögensangelegenheiten; besonders, wenn alle mitzahlen sollen). Wenn die Zeit drängt, müßten die Pfarrangehörigen auch eigene Sitzungen des Pfarrgemeinderates einberufen können, um den Konflikt auszutragen. Vor allem in den viel zu anonymen Großstadtpfarren kennen sie meistens gar nicht alle Pfarrgemeinderäte persönlich und wenden sich schon aus diesem Grund an den Pfarrer.

Wenn also der Bischof (gegen das Kirchenrecht) und die gesamte Pfarre zustimmen würden, könnte der Pfarrer auf seine Letztverantwortung verzichten. Er wäre dann nur mehr der Sitzungsleiter, Sprecher oder Generalsekretär eines Gremiums, das seine Beschlüsse mehrheitlich faßt; im Extremfall mit nur einer Stimme, weil sich alle anderen der Stimme enthalten. Vielleicht wäre mancher Pfarrer froh, auf diese Weise seiner Verantwortung enthoben zu sein. Aber diese wird dann unpersönlich undhat keinen Namen mehr. Es bleibt auch völlig offen, wer sich für die Minderheit einsetzt. Außerdem besteht die Gefahr, daß die Verantwortung in Wirklichkeit auf die jeweilige Mehrheit abgeschoben wird, hinter der man sich auch verstecken kann. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine vielleicht knappe Mehrheit von Personen, unter denen sich niemand ganz verantwortlich fühlt, richtig entscheidet, ist wohl nicht größer, als wenn ein Letztverantwortlicher nach intensiver Auseinandersetzung mit einem Gremium von Mitverantwortlichen die Entscheidung trifft und für sie auch einsteht.

„Geschwisterlich“ kann sich nicht nur auf Autoritätsfragen beziehen. Es bedeutet gegenseitige personale Liebe zwischen Personen, die einander nicht aussuchen. Und das kann sehr anstrengend sein. Bezüglich der Entscheidungsfindung besagt „geschwisterlich“ nicht eine Abschaffung von Autorität, sondern daß diese in die Verbindlichkeit der Gemeinschaft übergeht (die auch ihre Organe braucht; in der Kirche auch solche, die für die Einheit mit der Gesamtkirche sorgen). An die Stelle der alleinigen Autorität eines einzelnen tritt dann der Anspruch auf Einmütigkeit (vgl. P. Weß „Möglichst zur Einmütigkeit“, Fl.'RQlK 11 vom 12. März 1992, S. 12; und P. Weß, Und behaltet das Gute. Thaur 1996, S. 101 bis 106).

Denn von Geschwistern kann kei-ne(r) übergangen oder ausgeschlossen werden. Sie müssen sich einig werden. Der Ijeiter des Ieitungsgremiums hat für diese Einmütigkeit zu sorgen, steht aber selbst auch unter ihrem Anspruch und muß deshalb die Zustimmung des Gremiums suchen. Es handelt sich um eine Kombination des Prinzips der personalen Verantwortung mit dem der Kollegialität, um eine Miteinanderverantwortung, die mehr ist als eine Mitverantwortung. Wenn sich ein Pfarrgemeinderat unter diesen Anspruch stellt (im weltlichen Bereich nennt man es das Konsensprinzip), dann braucht der Pfarrer kein Vetorecht mehr. Er wird nicht überstimmt, wenn er eine Entscheidung nicht mittragen kann. Auch seine gesamtkirchliche Verantwortung wird respektiert. Denn auch die Christinnen und Christen in den anderen Gemeinden und Teilkirchen gehören zu den Geschwistern.

Sobald man Kirche so versteht und lebt, genügen allerdings die Säuglingstaufe und die Kinderfirmung als Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zu einem solchen Entscheidungsgremium nicht mehr (falls man den Sakramenten nicht eine magische Wirksamkeit zuschreibt). Dann braucht es die bewußte und von der Kirche in einer Erwachsenentaufer-neuerung und -firmung als solche angenommene und besiegelte Glaubens entscheidung jener Christinnen und Christen, die wirklich im Glauben mündig geworden sind, das heißt nicht nur die Bechte einer geschwisterlichen Gemeinschaft einfordern, sondern auch ihre Pflichten auf sich nehmen (zum Beispiel die Mühsal einer Einigung, ohne festlegen zu können, wie lange die Sitzung dauern darf); und selbstverständlich sind auch einige natürliche Voraussetzungen nötig. Diese konkreten Konsequenzen aus seinen Visionen hat das letzte Konzil nicht gezogen. Daraus ergeben sich heute viele Schwierigkeiten und Konflikte. Gemeinden, die sich unter den Anspruch der Einmütigkeit stellen, könnten hier wegweisend sein.

Der Autor ist

Universitätsdozentfitr Pastoraltheologie und derzeit Gastprofessor an der Theologischen Fakultät der Universität Graz zu dein Thema „Gemeinsame Entscheidungsfindung in der Kirche“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung