6792913-1970_47_10.jpg

Was ist die Familie der Gesellschaft wert?

19451960198020002020

Vor dem Ende des "Sexualmonopols" der Ehe?

19451960198020002020

Vor dem Ende des "Sexualmonopols" der Ehe?

Werbung
Werbung
Werbung

Die amtierende sozialistische Bundesregierung Bruno Kreisky hat gesetzesvorbereitende Maßnahmen angekündigt, mit denen ganz bestimmte Vorstellungen von Ehe, Familie und sexuellem Verhalten in neue legale Formen gekleidet werden sollen. Das Paket der Entwürfe, in denen zum Teil die Problematik der seit Jahrzehnten unvollendet gebliebenen Beform des österreichischen Strafrechts steckt, soll auch in Österreich den inzwischen auf wissenschaftlichen und sozialen Gebieten vollzogenen Fortschritten Rechnung tragen und die Wahlfreiheit bestimmter sexueller Beziehungen der Erwachsenen legalisieren. In anderen Ländern wurden die dort bereits vollzogenen Maßnahmen dieser Art mit dem Schlagwort von der Uberwindung des scheinheiligen Puritanismus einer versunkenen bäuerlichen und bürgerlichen Welt populär gemacht. Nach radikalen Ansichten, wie sie auch die Neue Linke vertritt, handelt es sich bei dem Ganzen nicht um Gesetzesreformen, sondern um Teile jener „sexuellen Revolution“, die nach Herbert Mar-cuse und anderen erste und wichtigste Treibladung zur Zerstörung des jetzigen Gefängnisses der individuellen Freiheit ist. Niemand wird jedenfalls ernsthaft bestreiten können, daß das gedachte Neue nicht nur den „Intimbereich des Individuums“ angeht, sondern den Sinn und die Tatsachen des gesamten menschlichen Zusammenlebens völlig und fundamental ändert.

Der Staat geht mit solchen Neuerungen die Menschenrechte, die Grundrechte, an. Wie immer man im Zeitalter des Pluralismus über das Recht zu Ehe und Familie, das Recht zur Erziehung der eigenen Kinder, das Recht zur Persönlichkeitsentfaltung, über andere Rechte, zum Beispiel jenes der freien Religionsausübung, denkt; man denkt heute jedenfalls nicht mehr wie zur Zeit des Polizeistaates der Ära Kaiser Franz I. Moderne Staaten sehen Problem« der Ehe, der Familie und des sexuellen Verhaltens primär in Zusammenhang mit der Verankerung der Grundrechte in ihrer Verfassung. In der unter Mitwirkung des späteren Justizministers Hans Klecatsky entstandenen Gesetzesausgabe des österreichischen Bundesverfassungsrechtes ist lediglich im Index von der Familie die Rede, und zwar im Zusammenhang mit Förderungsmaßnahmen materieller Natur, die die Zweite Republik ergriffen hat. Man sollt« denken, daß in einer Zeit, in der auch in Österreich eine den jetzigen Zeiterfordernissen entsprechende Fundierung der Grundrechte im Verfassungswesen der Republik erwogen wird, der zweite Schritt nicht vor dem ersten getan wird. Das aber heißt: Zuerst die Grundrechte, namentlich die zur Ehe, zur Familie, im Verfassungsrecht statuieren und nachher die Vorschriften auf dem Gebiet des Sozialrechte«, des Wirtschaftsrechtes, des Schulrechtes und so weiter, also auch des Strafrechtes neufassen. Es wäre systemwidrig und gefährlich, die Nominierung der Grundrechte zu präjudizieren, indem mit den gesetzesvorbereitenden Maßnahmen einzelner Ressorts begonnen wird, bevor die fundamentalen Statusprobleme gelöst sind. Hiebe! handelt es sich, so wie im Falle des öffentlichen Unterrichts und der Erziehung, um Materien, über deren gesetzliche Regelung keine zufälligen und flachen parlamentarischen Mehrheiten entscheiden dürfen.

Wer ohne Sünde ist ...

Der Christ wird sich vorsehen müssen, wenn die Polemiken und Kontroversen über die fraglichen, „brisanten“ Problemstellungen einmal „hochgeschaukelt“ werden. Was den Ehebruch anlangt, der jetzt von gewissen strafrechtlichen Verfolgungen befreit und anderseits, im Fall« der Trennung des Ehebandes, einige« von der früheren Bedeutung einbüßen soll, so ist es gut, dessen eingedenk zu sein, was Christus angesichts der Ehebrecherin und der zur Verurteilung bereiten Pharisäer sprach: Wer ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein. Die volle Bedeutung dieses Satzes geht erst aus dem letzten Vers dieses Kapitels des Johannes-Evangeliums hervor. Christus sagt« zur Ehebrecherin nicht: Es ist gut Du kannst gehen, niemand wirft dir einen Stein nach. Das Ereignis steht unter dem Befehl des sechsten Gebots: Du sollst nicht ehebrechen. Und daher schließt Christus: Gehe hin und sündige nicht mehr. Ein so hohes Gut wie die Unauflöslichkeit der Ehe überläßt Christus nicht allein den Pharisäern und der Ehebrecherin. Das frühe Christentum hat die Schutzlosigkeit der Frau, der sie nach mosaischem Recht ebenso unterworfen war wie zum Beispiel auf Grund der germanischen Volksrechte, beseitigt. Über das Schicksal der Ehefrau, namentlich der alternden Frau, entschied fortan nicht der im Scheidebrief einseitig erklärte Wille des Ehegemahls oder der im germanischen Recht ursprünglich nur dem Mann« zustehende Akt der Scheidung. Es verschwanden, solange sie nicht ein Staat aufs neue verlangte, die barbarischen Strafen für Ehebrecherinnen. Einheit der Ehe, Unauflöslichkeit, Heiligkeit und die mit all dem verbunden« Stellung der Frau wurden kultursoziologische Grundlagen der neuen Welt, die nur den Polemikern altvaterischer Ideologien „finsteres Mittelalter“ ist. Als dieses Mittelalter zu Ende ging, zögerte die Kirche nicht, den Preis für die Behauptung solcher Fundament« zu zahlen: Als Heinrich VIII. von England, wegen der ihm rechtens vorenthaltenen Verweigerung einer Ungültigkeitserklärung seiner gültigen Ehe, mit seinem ganzen Land und Volk den Bruch mit Rom vollzog. Als Innozenz III. den französischen König zwang, seine seit zwanzig Jahren verstoßene rechtmäßige Gemahlin wieder aufzunehmen.

Wer diskutiert über die Ehe?

Ehemüde Verheiratete und zölibatsmüde Geistliche bestimmen mit ihren Erwartungen und Ansichten vielfach das heutige Gespräch über Ehe, Familie und sakramentalen Charakter der kirchlich geschlossenen Ehe in dem inneren Zusammenhalt der einen Kirche. In der pluralistischen Welt von heute muß es die Kirche hinnehmen, daß der Souverän, die Volksvertretung, in Sachen Ehe die Kompetenz der Kompetenz an sich nimmt und über das Institut der kirchlichen Ehe hinweggeht. Das Ist die eine Seite einer unbestreitbaren Faktizität. Die andere ist, daß niemand, auch kein kirchlicher Gesetzgeber, den sakramentalen Charakter der kirchlich geschlossenen Ehe und die von Christus ausgesprochene Unauflöslichkeit aufheben kann. Die von vielen bereits als abgetan angesehene Ehelosigkeit der Geistlichen — kein leichteres Joch als die Ehe — ist, zumal in unserer Zeit, mehr als die Last zölibatsmüder, alternder, vereinsamter Priester; und mehr als eine Verneinung des Eheverlangens junger Priester, denen an Hochschulen und oft in Seminaren der übersteigerte Eindruck halb wissenschaftlicher und halb ideologischer Gehalte sexueller und erotischer Probleme vermittelt wird. Wenn heute Guerilleros, Berufsrevolutionäre und Partisanen, Männer wie Frauen, um ihrer Agitation, ihres Kampfes, ihrer Existenz im Untergrund willen auf Ehe, Familie, Kinder, ja oft auf sexuelle Angewohnheiten verzichten, dann läge der missionarische Auftrag an die Kirche in schwächlichen Händen, würde für die Ehelosigkeit des Priesters nichts mehr und nichts weniger sprechen, als ein stärkeres oder schwächeres Eheverlangen.

Rechtswidriger Schutz

In der Diskussion über die Strafrechtsreform in Österreich fiel unlängst der Satz, wonach der „Schutz des Sexualmonopols der Ehe“ ein rechtswidriger sei. Damit erst gerät die Problemstellung betreffs Ehe, Ehestörung, Homosexualität usw. in den vollen Horizont der Betrachtung. Ob es einmal die Abgeordneten zum Nationalrat wahrhaben werden oder nicht: Es geht nicht einfach um die Beseitigung unhaltbar gewordener, altvaterischer Strafrechtsbestimmungen; um die Erleichterung der Bindungen, die der Staat einmal zum Schutz der Ehe auferlegt hat; um das Ende einer Diskriminierung der Homosexualität; um die Beseitigung gewisser Risiken im Falle eines Ehebruchs. Mag die von den Massenmedien präparierte öffentliche Meinung einen Ehebruch als Mittel zum Leimen einer „kaputten Ehe“ akzeptieren, weil derartiges angeblich die Wissenschaft empfiehlt; mag da und dort eine unbegrenzte Wahlfreiheit in den sexuellen Beziehungen — wenigstens unter Erwachsenen — als Ertrag eines .^fortschrittlichen Denkens“ naheliegen; und mag die sexuelle Promiskuität, mit all ihren praktischen Folgen in Wohn- und Städtebau, Erziehung und Unterricht, Sozial- und Wirtschaftsordnung verschiedentlich ernsthaft zur Diskussion stehen. Niemand ist berechtigt, solche kalkulierte Risken der Neuerungen als „Verstiegenheiten der Radikalen“, „als Exzesse jugendlicher Revolutionäre“ und dergleichen abzutun und zu sagen: uns kümmern nicht solche Utopien bleiben wir auf dem Boden der Tatsachen., Es geht um Änderung von Sinn und Bedeutung der Ehe. Es geht um die biologisch-ökonomischen und um die seelisch-geistigen Fundamente der Ehe. Und es geht um Bestand und Bedeutung von normal und abnorm in der Gesellschaft beziehungsweise um die Einebnung solcher Unterscheidungen.

Terror der Minoritäten

Der Sinn des Pluralismus besteht nicht darin, daß Minoritäten — jede für sich —' der „Schweigenden Masse“ das Maß ihrer Exzentrik als Gesetz für das Gemeinwohl aufzwingen. Die römisch-katholische Kirche hat sich unter der Ägide des Papstes Johannes XXIll. zu ihrer Situation im herrschenden System des Pluralismus bekannt. Das bedeutet: Einigung im Sachlichen, wann und wo der ewige und unveränderliche Auftrag an die Kirche eine derartige Bereitschaft gestattet. Es wäre aber eine falsche Toleranz und ein Mißverstehen der Bedeutung und der Möglichkeiten des Dialogs, würde die Kirche bei solchen Anlässen „zeitbedingte Gültigkeiten“ gegen absolut ungeschichtliche „Wahrheiten“ eintauschen, wie das zum Beispiel der niederländische Katechismus tat. Hier soll gar nicht näher die Rede davon sein, daß das von der Republik Österreich in der Ära Raab/Schärf, in seiner völkerrechtlichen Existenz anerkannte Konkordat 1933 in Artikel VII konkrete Abmachungen enthält, auf Grund derer die Republik Österreich zum Beispiel den gemäß dem kanonischen Recht geschlossenen Ehen die bürgerliche Rechtswirksamkeit zuerkennt. Solche „Exzesse des Dollfuß-Konkordats“ wurden hinsichtlich des innerstaatlichen Rechtsbereichs zuweilen als irrelevant bezeichnet, weil bei der Ratifizierung des Konkordats durch das Rumpfparlament des Jahres 1934 die sozialdemokratischen Abgeordneten durch Gewalt am Erscheinen im Hohen Haus verhindert waren. Waren wir aber nicht alle durch Gewalt daran gehindert, jenes Reichsgesetz zu verhindern, durch das im Juli 1938 das im Kulturkampf der Ära Bismarck den Katholiken aufgezwungene Eherecht des Deutschen Reiches österreichisches Recht verdrängte? Wie lange soll in Österreich noch aufgezwungenes Recht gelten, weil es einmal der „linken Reichshälfte“ und ein anderes Mal der „rechten“ zupaß kommt? 25 Jahre nach der Wiederaufrichtung des Staates und nach Austriflzierung von Bergen anderer Rechtsvorschriften tut eine solche Schaukelpolitik in Grundsatzfragen dem Staat nicht gut. Es greift der Blinde mit dem Stock, wo hier das Gemeinwohl liegt und wo das Interesse des Parteiismus.

Was ist die Familie wert?

Dem Bundeskanzleramt ist ein Beirat für Familienangelegenheiten zugeordnet. Zahlenmäßig starke Familienbünde und -verbände auf religiös-kirchlicher oder auf überparteilicher Grundlage sind zum Zwecke des Schutzes der Familie organisiert worden. In einer Stunde wie dieser hörte man unlängst von bestimmten materiellen Forderungen und Teillösungen im Zusammenhang mit Lasten und Einzelvergütungen. Das entspricht der notwendigen Vorsorge | für einen gesunden biologisch-ökonomischen Bestand der Familie. Wieviel investieren die Gesellschaft, besagte Interessenvertretungen, politische Parteien, Kirchen und Reliiglonsgesellschaften jetzt, da es nicht nur um eine Reform des Straf rechtes geht, sondern um etwas, das zum „Sexualmonopol“ deklassiert wird? Ist die Familie tatsächlich nur noch Stätte der Ausübung eines veralteten, rechtswidrigen Sexualmonopols oder: Wieviel ist die Familie dem Staat und der Gesellschaft wert. Was erwartet er von ihr. Was ist er bereit zu geben, damit die Familie ihre Funktion als erster und unersetzlicher Faktor der Vermittlung ideeller und materieller Kultur erfüllen kann.

Die Politik um der Familie soll nicht eine Polemik auf den Schultern der Familie werden. Es darf nach der Beendigung des vierzigjährigen Schulkampfes kein neues Verdun in der österreichischen Innenpolitik entstehen. Dazu ist es notwendig, daß zuerst die Fundamente in den Grundrechten verfestigt werden und dann die Ausgliederungen in den einzelnen Zweigen erfolgen. Wenn jetzt das Maß für neuerdings als schutzbedürftig erkannte Interessen genommen werden soll, dann muß zuerst Übereinstimmung darüber erzielt werden, was nicht nur Minoritäten angeht, sondern alle. Mag das Parlament Aufbesserungen der Witwenpensionen auf Grund von Zufallsmehrheiten und von Fall zu Fall beschließen. Das Schicksal der alternden Frau, deren Ehe ohne ihr Verschulden zerbricht; die Sorge der Eltern um die tatsächlichen Auswirkungen der „nur den Erwachsenen“ zugestandenen Wahlfreiheit in sexuellen Beziehungen; das Schicksal des nicht nur gehörnten, sondern auf allen Bühnen verhöhnten und zum impotenten, senilen, perversen Unmenschen degradierten Ehegatten; und der Erziehungsnotstand, der in der Mehrzahl der Fälle in geschiedenen Ehen seinen Ursprung hat, vertragen nicht solche Kunststücken der Zufallsdemokratie.

Es handelt sich um Fragen, die das Gewissen angehen, auch das Gewissen einer Gesinnungsgemeinschaft, ohne die keine politisch« Partei auf die Dauer auskommen wird. Der Sozialismus hat hierin seine Gesinnung bewiesen. Werden sich die verschiedenen „anderen“ mit der diskreten oder stolzen Haltung der „Schwelgenden Masse“ begnügen? Oder werden grundsätzliche Fragen nach Grundsätzen entschieden werden und nicht nach Methoden und Vorteilen einer Gefälligkeitsdemokratie?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung