7107298-1995_37_02.jpg
Digital In Arbeit

Was wir uns nicht mehr leisten können

19451960198020002020

Alles ist einsichtig: Sparen (sprich: belasten) muß sein. Zumindest die Sozialpartner vertrauen auf die Einsicht der Bevölkerung. Die Opposition verweist auf die Grenzen der Einsicht.

19451960198020002020

Alles ist einsichtig: Sparen (sprich: belasten) muß sein. Zumindest die Sozialpartner vertrauen auf die Einsicht der Bevölkerung. Die Opposition verweist auf die Grenzen der Einsicht.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Einsicht in die Notwendigkeit des Sparens ist grundsätzlich gegeben, ist Fritz Neugebauer, Vizepräsident des Osterreichischen Gewerkschaftsbundes, überzeugt. Im Gespräch mit der furche vermerkt er mit Genugtuung, daß Regierung und Sozialpartner jetzt zur politischen Kultur zurückgefunden haben, die im vergangenen Herbst nur unter großen Mühen erzwungen wurde. „Der Versuch der Regierung, ein Sammelsurium von Maßnahmen an uns vorbeizuschwindeln”, so der ÖGR-Vize, „hat ja damals letztlich zu großen Aufständen geführt und zu einer Regierungsumbildung in beiden Parteien. Jetzt stehen wir wieder bei jener politischen Kultur, die für Osterreich typisch ist - auch wenn das Resümee, das jetzt diskutiert wird (volkstümlich Sparpaket II), ein schmerzliches ist.” Jetzt müßte die Regierung in Klausur gehen, wiederholt Neugebauer seine Forderung vom Frühjahr (furche 5/1995, Seite 1), um die als verhandlungsfähig bezeichneten Punkte einer genauen Untersuchung und Rerechnung zu unterziehen. „Dieser Aufgabe kann sich die Regierung nicht entledigen”, so Neugebauer zur Kritik, die Regierung habe das Regieren den Sozialpartnern überlassen (außerdem handle es sich um Vorschläge eines „Reiratsgutachtens”, wovon es schon viele, wenn auch nicht so detailreich, gegeben habe).

Was die Regierung jetzt aus dem Reiratsgutachten macht, muß - wie Neugebauer mit Nachdruck betont — „politisch für alle nachvollziehbar sein”. Zudem gebe es noch „die großen Brocken, die nicht gelöst sind, die uns in Zukunft Sorgen bereiten werden”. Der ÖGB-Vizepräsident wörtlich: „Die Tatsache der zunehmenden Pensionslast ist im Gutachten nur partiell angesprochen, die verschiedenen Pensionssicherungssyste-me müssen gleichwertig angesetzt werden. Das ist für die Rundesbediensteten mit dem Staatsekretär und mit dem Sozialminister für den ASVG-Bereich anzugehen, sonst gibt's einen Crash. Die zweite Geschichte, die uns nicht erspart bleibt, ist der Krankenanstaltszusammenar-beitsfonds (KRAZAF). Auch wenn dort die Kompetenzverflechtungen so schwierig sind, wir werden uns das nicht mehr leisten können.”

Die Regierung wird hart arbeiten müssen, denn wie lange hält die von den Sozialpartnern für tatsächlich vorhanden geglaubte „Spar”gesin-nung der Österreicher an? Neugebauer: „Ich würde davor warnen, wenn das alle Jahre so weiterginge; die Spargesinnung würde abnehmen. Wir können nicht jedes Jahr ein Körberlgeld hineinschmeißen.”

Daß es sich bei dem geschnürten Paket (siehe Graphik) um eine Art „Solidarbeitrag”, an dem alle Revöl-kerungsgruppen beteiligt sind, handelt, bestätigt Neugebauer („Das würde ich so sehen”). Von einer „absoluten Ausgewogenheit” mag der Christgewerkschafter noch nicht sprechen, „aber es sind alle mit einem gerüttelt Maß dabei”.

Wichtig ist für ihn, daß einige Positionen erstmals auch von der Einkommenshöhe her gestaltet worden sind. Verdiener mit geringerem Einkommen würden weniger zur Kasse gebeten (das durchzusetzen, müsse Aufgabe der Gewerkschaft und christlich-soziales Prinzip sein); bei jenen die mehr haben (den „Reichen” - wer sie für wen sind , sagt ein Reitrag auf Seite 12), betont Neugebauer, dürfe nicht der Eindruck entstehen, daß sie dafür „bestraft” würden (siehe dazu auch den Reitrag von Herbert Kohl-maier auf der folgenden Seite).

Daß die Unzufriedenheit „gleichmäßig verteilt” ist, bewertet Neugebauer als ein gutes Zeichen nach den Sozialpartnerverhandlungen. Demonstrieren werden am 22. September aber die Pflegeorganisationen („Aber wenn man sich die Kostenexplosion anschaut, mußte man da einfach etwas tun ”, so Neugebauer), auch seitens der Studenten erwartet der Gewerkschaftsvize Anti-Sparpaket-Manifestationen. Die Schüler schreien schon auf (Seite 2). Aber: „Es ist die Frage, ob noch alles zum Nulltarif laufen kann oder ob so viel gefördert werden muß. Wenn man es sich leisten kann, gerne, aber irgendwann muß man dann halt hineinschneiden.”

Was hat uns so in die Rredouille gebracht? Die 40 EU-Milliarden seien nicht so dramatisch, mit Zeitverzögerung würde mehr als die Hälfte zurückfließen, so Neugebauer. „Aber wir haben sicherlich auch als Gewerkschaften in guten Zeiten die Kuh gemolken, keine Frage.” Selbstkritik? „Das ist ja nichts Schlechtes, wenn man gut verdient, kann man in die Leute investieren.” Auch Pflegevor-sprge und zweites Karenzjahr haben zur Kostenexplosion beigetragen. Bei der Pflegevorsorge sei so etwas wie ein „grauer Finanzausgleich” insofern eingetreten, als die Länder plötzlich das, was sie selber finanzierten, dem Bund „umgehängt” haben. Es sei fraglich, ob Österreich so viele Pflegeorganisationen brauche oder 400 Spitäler - womöglich alle mit Nie-rensteinzertrümmerern, die nicht ausgelastet sind.

Eine Einstellungsumkehr fordert Neugebauer auch hinsichtlich der Frühpensionierungen. „Es darf kein Kavaliersdelikt sein, wenn jemand mit 53 in Pension geht und noch einigermaßen gesund ist und alle anderen arbeiten müssen.” In diesem Zusammenhang müßte die Rolle der Ärzte überdacht werden, wie restriktiv oder wie flexibel man Bestim-mungen gestaltet. Die bisherige Handhabung der Frühpensionierung als. arbeitsmarktpolitisches Instrument - „Großbetriebe haben 50,100, 200 Leute quasi der öffentlichen Hand überantwortet” - müsse, als falsch erkannt, ein Ende haben. Jetzt gehe es darum, Anreizmechanismen für die Firmen bezüglich älterer Arbeitnehmer zu schaffen. Wenn sich einer mit 57 vom Arbeitsprozeß verabschiedet, dann wird er wohl einsehen, daß er mit einer geringeren Pension zufrieden sein muß.”

(Folgende Seite: Die Sehlde und das Sparpaket I sowie Sparen bei der Wohnbauförderung).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung