"Man steht voller Bewunderung vor der Weisheit des Wählers", soll Helmut Kohl 1983 nach seiner Wahl zum deutschen Kanzler ausgerufen haben. Selbst solch ironisches Staunen scheint dem bayerischen Wahlsieger vom letzten Wochenende fremd. Der nüchterne Auftritt Edmund Stoibers am Wahlabend bestätigte, was über 60 Prozent der Stimmen und die Zwei-Drittel-Mehrheit für den Ministerpräsidenten sind: eine Selbstverständlichkeit - und wenig Genugtuung für die Wahlniederlage gegen Kanzler Gerhard Schröder vor einem Jahr.
Schon bei der Bundestagswahl hatten knapp 60 Prozent der Bayern Stoiber gewählt. Insofern war sein fulminanter Wahlsieg keine wirkliche Überraschung. Dass er schließlich derart überragend ausgefallen ist, verdankt die CSU auch der niedrigsten Wahlbeteiligung in Bayerns demokratischer Geschichte (57,3 Prozent), die vor allem auf Kosten der Sozialdemokraten gegangen ist.
Die bayerischen Roten entschuldigen ihre Wahlschlappe mit dem Reformkurs der rot-grünen Bundesregierung. "Die SPD-Wähler sind zu enttäuscht gewesen, um wählen zu gehen", lautet auch der Tenor der Wahlanalytiker. Schon melden sich SPD-interne Kritiker am "neoliberalen" Kurs Schröders zu Wort und fordern eine Abschwächung der Reform-Agenda 2010.
Daraus ließe sich vorschnell der Schluss ziehen: Wer reformiert verliert! Wer dieser Argumentation folgt, verdonnert aber Volksparteien jeglicher Ausrichtung dazu, strukturell reformunfähig zu sein. Dass das nicht stimmt, zeigt ein Blick nach Skandinavien. Aber warum in die Ferne schweifen: Unter dem Titel von Wende und Reform ist die ÖVP hierzulande erst wieder zu einer Volkspartei gewachsen. Das bedeutet also: Nicht wer reformiert, verliert, sondern wer seine Reformen schlecht verkauft, ist verkauft. Dafür sorgt die Weisheit der Wähler.
wolfgang.machreich@furche.at
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