Welches Hirn kann Medizin?

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Jedes Jahr schneiden beim Eignungstest für das Medizinstudium die Frauen schlechter als die Männer ab. Nun sorgt eine Frauenquote für Aufregung. Doch was ist der Grund für den Leistungsunterschied?

Exakt 4352 junge Menschen haben sich ihm im Juli gestellt. Beim Eignungstest für das Medizinstudium, kurz EMS, haben sie um 740 Studienplätze in Wien gekämpft. Fünf Stunden sollte er dauern, zehn Untertests mit knapp 200 Aufgaben mussten bearbeitet werden.

Seit 2006 werden künftige Medizinstudenten so ausgesiebt. Jedes Jahr, auch heuer, traten mehr Frauen als Männer zum Test an - und jedes Jahr wurden mehr Männer aufgenommen. Bis heuer. Im Herbst werden erstmals 56 Prozent der Studienanfänger weiblich sein. Damit ist der Anteil der zum Studium zugelassenen Frauen gleich groß wie jener der Bewerberinnen. Grund dafür ist aber kein neuer Test, sondern ein Auswertungsverfahren, das Bewerberinnen bevorzugt. Die Männer sind aufgebracht. Gut 100 Beschwerden sind bereits bei der Österreichischen Hochschülerschaft eingegangen. Einige der männlichen Bewerber werden mit ihrem Anliegen wohl bis zum Verfassungsgerichtshof gehen.

Der Auslöser für die positive Diskriminierung liegt in den Ergebnissen der letzten Jahre: Im Schnitt haben sich 55 Prozent Frauen beworben, aber nur 45 Prozent der Studienanfänger waren weiblich. Bereits 2007 haben die Bildungspsychologinnen Christiane Spiel und Barbara Schober von der Universität Wien diese Auffälligkeit untersucht. Ihr Ergebnis: Der Test benachteiligt Frauen. Der EMS fokussiere auf Bereiche, von denen man weiß, dass Frauen schlechter abschneiden: mathematisch-naturwissenschaftliche Themen, wie das Lösen von quantitativen und formalen Problemen oder das Interpretieren von Diagrammen und Tabellen. Außerdem hat der Test eine sehr hohe Ratewahrscheinlichkeit. "In solchen Situationen neigen Frauen weniger zum Raten, sondern überlegen länger, und sind dadurch im Nachteil“, sagt Barbara Schober.

Unterschiedliche Strategien

Auch sonst gibt es erwiesene Unterschiede zwischen dem männlichen und dem weiblichen Gehirn. Eine Studie der deutschen Psychiaterin Kirstin Jordan zeigt: Bei mentalen Rotationsaufgaben werden bei Männern und Frauen verschiedene Bereiche im Gehirn aktiviert. Solche Aufgaben sind auch als Untertests beim EMS vorhanden. Die Ergebnisse von Jordans Studie lassen vermuten: Männer und Frauen wenden unterschiedliche Strategie an, um die Aufgaben im Gehirn zu verarbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass die Strategien unterschiedlich effektiv sind, die Herangehensweise ist lediglich eine andere.

Auch in spezifischen kognitiven Fähigkeiten unterscheiden sich Männer und Frauen, legt die Forschung des Psychologen Markus Hausmann von der Universität Durham nahe (siehe Interview rechts). Die beiden Geschlechter unterscheiden sich möglicherweise darin, wie sie lernen, sich erinnern, planen oder orientieren. Die Unterschiede sind jedoch nur minimal und im Alltag kaum relevant. Dass die kognitiven Geschlechtsunterschiede angeboren sind, bezweifelt Hausmann.

Streotype im Schulsystem

Dort setzen auch Christiane Spiel und Barbara Schober an. "Die biologischen Unterschiede sind sicher nicht hinreichend, um die Unterschiede in der Leistung beim EMS zu erklären“, sagt Barbara Schober. Die Gründe dafür müssen also woanders liegen. Schober und Spiel nehmen an, dass die Probleme im Schulsystem zu finden sind. Mädchen werden noch immer zu wenig im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich gefördert. Der EMS ist ein Ergebnis, das zeigt wie sehr das Schulsystem von Stereotypen geleitet wird. "Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer haben bestimmte Vorstellungen, wie Knaben und Mädchen sein sollten, und lenken in diese Richtung“, sagt Christiane Spiel, "das Handeln nach Stereotypen passiert oft unbewusst, und es erleichtert das Handeln im Alltag.“

In einer Befragungsstudie stellte man fest, dass 30 Prozent der Lehrpersonen Buben für begabter in Physik halten als Mädchen. Frauen hingegen wird bei sozialen Berufen mehr zugetraut. Außerdem gehen Lehrer häufig davon aus, dass sich Mädchen eher durch Fleiß und Sorgfalt auszeichnen, während Buben produktiv und praktisch lernen. "Wenn Lehrer nun denken, dass Knaben zwar etwas können, aber zu faul zum Lernen sind, und Mädchen es zwar eifrig lernen, den Stoff aber nicht wirklich verstehen, dann drückt sich das unbewusst im Verhalten aus“, erklärt Christiane Spiel.Dieses Verhalten von Lehrpersonen wirkt sich auf die Motivation der Mädchen aus.

Als Österreich im Jahr 2003 an der PISA Studie teilnahm, analysierte auch die amerikanische Psychologin Nicole Else-Quest die Ergebnisse. Insgesamt wurden knapp 500.000 Schüler zwischen 14 und 16 Jahren geprüft. Die Daten stammten von Jugendlichen aus 69 Ländern. Im weltweiten Vergleich zeigte sich nun: "Mädchen sind gleich gut wie Buben, wenn man ihnen das richtige Werkzeug in die Hand gibt, und wenn sie weibliche Vorbilder in diesem Bereich haben“, sagt Nicole Else-Quest. Eine Umfrage im Zuge von PISA unter den österreichischen Schülern zeigte auch: Mädchen haben weniger Vertrauen in ihre mathematischen Fähigkeiten, mehr Angst vor dem Matheunterricht und Motivationsprobleme in diesem Bereich. Das wirkt sich auf die Leistung aus: "Was man glaubt, dass man kann, beeinflusst massiv, was man leistet“, sagt Barbara Schober.

Kritik am EMS

Doch nicht nur das österreichische Schulsystem, sondern auch den Eignungstest für Medizinische Studiengänge an sich, stellen die Psychologinnen infrage. "Ein solches Verfahren sollte breiter angelegt sein. Es solle möglichst alle Kompetenzen testen, die man für die Medizin braucht“, sagt Christiane Spiel. Soziale Kompetenzen wie der Umgang mit Patienten und Angehörigen sollten eruiert werden. Beim Aufnahmetest in Graz werden diese Fähigkeiten bereits abgefragt. "Diese Dinge sind zweifellos schwieriger abzuprüfen, aber sie deshalb gänzlich wegzulassen, würde den Erwartungen an Mediziner nicht gerecht werden“, betont Spiel. Ab nächstem Jahr könnte das Aufnahmeverfahren in ganz Österreich bereits ein anderes sein. Vielleicht zeigt sich dann, welches Hirn besser Medizin kann.

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