Wenn Diplomatie zur Rache wird

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Das Veto der Türkei gegen Ursula Plassniks OSZE-Kandidatur war unfair, aber absehbar. Eine Eskalation schadet allen Beteiligten - vor allem aber Österreich.

Einmal ehrlich: Kennen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, Marc Perrin de Brichambaut, wenigstens dem Namen nach? Der Mann ist Diplomat - und nicht einmal der Schlechteste. Er hält seit dem Jahr 2005 Woche für Woche einen diplomatischen Stall von 56 Staaten zusammen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Er ist Generalsekretär der OSZE. Er muss die Interessen des Vatikans oder Kasachstans mit jenen der USA und Russlands unter einen Hut bringen. Das ist bei den kleinen, aber wichtigen Aufgaben der OSZE, vor allem Wahlbeobachtungen und Bürgerrechtsmonitoring, schon ein anspruchsvoller Job. Anders formuliert: Wer diesen diplomatischen Multispagat schafft, der hat das Zeug zu Höherem in der internationalen Diplomatie. Wir werden also von Marc Perrin de Brichambaut noch hören, der nun seine Amtszeit bei der OSZE beendet.

Weltmacht-Diplomatie?

Weniger wird vermutlich von Österreichs Ex-Außenministerin Ursula Plassnik zu berichten sein, die sich um die Nachfolge de Brichambauts bewarb. So nicht ein kleines Wunder geschieht, was in der hohen Diplomatie noch viel seltener ist als im Leben hienieden, hat die Türkei Plassnik per Veto den Posten verbaut. Das kann man schade finden, denn die Vorraussetzungen und die Qualifikation hätte Plassnik wohl vorzuweisen gehabt: intelligent, verschwiegen, hartnäckig in Verhandlungen, zielstrebig, kompetent etc.

Doch die Debatte zwischen Österreich und der Türkei, die sich seit vergangenem Wochenende abspielt, hat mit fachlichen Qualitäten nichts zu tun - und eigentlich gar nichts mit positiven Eigenschaften. Deshalb wohl besteht ihr einziges Potenzial darin, allen Beteiligten zu schaden.

Nehmen wir zuerst den Auslöser der Affäre, die Türkei. Dort scheint sich eine hoch emotionale Politik zunehmend in hoch emotionale Diplomatie umzusetzen, was Letzterer wirklich nicht guttut. Diplomatie sollte ja gerade durch die Umsicht und Abgebrühtheit bestechen. Stattdessen werden hier nicht nur gegenüber Österreich, sondern auch auf weitaus wichtigeren Feldern, wie etwa im Nahostkonflikt, Beleidigtheiten statt kluger Taktik zum Gebot der zwischenstaatlichen Beziehungen. Wie sich eine solche Außenpolitik mit dem Anspruch vereinen kann, "Weltmacht zu werden“ (Außenminister Ahmet Davuto˘glu), ist ungeklärt.

Angesichts des türkischen Istzustandes ist die Ablehnung der Person Ursula Plassnik aber weitaus weniger überraschend, als Außenminister Spindelegger und die Abgelehnte selbst ("milde verblüfft“) nun vorgeben. Umso weniger, als sich die Türkei kurz vor Parlamentswahlen befindet und die regierende AKP Stimmenverluste fürchtet. Was liegt da näher, als Feindbilder zu pflegen? Anfang Mai war in der Zeitung Zaman Österreich, die der AKP-Regierung nahesteht, zu lesen: "Der Widerstand Österreichs bis zur letzten Sekunde vor der Aufnahme der EU-Gespräche mit der Türkei wurde in der türkischen Öffentlichkeit nicht vergessen.“ Dieser Widerstand hat einen Namen: Ursula Plassnik. Dass sie 2005 im Auftrag der Bundesregierung handelte, war schon damals für die türkische Presse unerheblich: "190 Zentimeter blonder Eigensinn“, hieß es da in großen Lettern.

Das erwartbare Veto

Nun gibt es ein Veto gegen Plassnik persönlich, das fachlich weder korrekt ist noch in irgendeiner Beziehung zur Aufgabe eines OSZE-Generalsekretärs steht. Die Empörung des Außenministers darüber ist nachvollziehbar. Allerdings gibt es drüber hinausgehende Fragen, die sich nun angesichts des diplomatischen Scherbenhaufens stellen. Diese betreffen die Konfliktvermeidung im Vorfeld des Eklats, die offenbar großteils unterblieben ist: War es gerechtfertigt von der Bundesregierung, den Widerstand aus Ankara zu ignorieren, angesichts dessen, wie in der Türkei Politik gemacht wird? War es misszuverstehen, wenn Außenminister Davuto˘glu meint, sein Land habe "auf extrem klare Weise darauf hingewiesen, dass die Türkei die Kandidatin auf keine Weise akzeptieren könne“? Hätte man nicht aufgrund dessen die Regierungen der USA und Russlands intensiver einbinden müssen, als ihnen bloß ein Placet zu Frau Plassnik abzufragen?

Letztlich stellt sich die Frage, was eine Eskalation der Lage durch die eine oder andere Sondersitzung bringen soll. Österreich ist mit 681 Millionen Dollar Investor Nummer zwei in der Türkei. Österreichs Unternehmer wollen, wie aus Pressemitteilungen hervorgeht, mehr als bisher "auf dem Basar mitmischen“. Ein politischer Kleinkrieg, wie er sich nun entwickelt, muss dieser ökonomischen Weiterentwicklung zwar nicht schaden, er nützt aber auf keinen Fall.

Diese opportunistische Betrachtung lässt freilich eine moralische Frage unbeachtet: Werden Politiker und Diplomaten aus internationalen Posten ausgeschlossen, weil sie zu irgendeinem Zeitpunkt etwas von sich gegeben haben, das einem der Mitentscheider nicht gepasst hat? Wiewohl die Erfahrung zeigt, dass es genau so ist - und das nicht nur im Fall der Ex-Außenministerin -, meint der andere Teil der Ratio, dass dieses Auswahlverfahren dem feigeren, dem anpässlerischeren Personal, den Duckmäusern und Wendehälsen Tür und Tor öffnet, während es vielleicht Prinzipienbewussteren die oberen Chargen versperrt. Der Fall Plassnik wäre wohl ein Anlass, das zu diskutieren - jenseits persönlicher, nationaler und OSZE-Befindlichkeiten.

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