wenn sie "aUsländer" sagen, meinen sie Uns

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Die Neuregelung der Mindestsicherung hat für heftige Diskussionen gesorgt. Ein Sozialrechtsexperte und ein NGO-Vertreter beziehen hier dazu Position.

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Die Neuregelung der Mindestsicherung hat für heftige Diskussionen gesorgt. Ein Sozialrechtsexperte und ein NGO-Vertreter beziehen hier dazu Position.

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Die Regierenden betreiben das Geschäft von Trickdieben: Es braucht immer einen, der ablenkt, damit dir der andere die Geldbörse aus der Tasche ziehen kann. (Martin Schenk)

Im März hat der Verfassungsgerichtshof die Kürzung der Mindestsicherung in Niederösterreich aufgehoben. Demnach verfehle das Gesetz "seinen eigentlichen Zweck, die Vermeidung und Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen".Was wir daraus lernen sollten:

Verfassung und Menschenrechte als unsere gemeinsamen Werte achten -bei Minderheiten und Armutsbetroffenen nicht schauen, "was geht" und verfassungs-wie menschenrechtlich bedenkliche Gesetze erlassen.

Genau hinsehen: "Asyl" wird gesagt, aber gestrichen wird bei allen. In Niedersösterreich ist nur jeder Siebente von der Deckelung Betroffene Asylberechtigter. Die Existenzkürzungen betreffen in erster Linie Hiesige und schon längst Dagewesene; die Deckelungskürzungen Familien, Pensionisten, Menschen mit gesundheitlichen Problemen oder Behinderungen, Arbeitnehmer wie Arbeitssuchende. Hierzulande sind 80.000 Kinder auf Mindestsicherung angewiesen. Die vorgesehenen Kürzungen der Regierung treffen alle Paare mit Kindern (48.942 Kinder) und mehr als die Hälfte der Kinder von AlleinerzieherInnen. Durch den Bonus in vielen Bundesländern sind jene mit einem oder zwei Kindern bessergestellt. Da jedoch in einigen Ländern bisher die Wohnkosten bis zu einer Höchstgrenze abgedeckt wurden (Tirol, Vorarlberg, Salzburg) oder Mietbeihilfe bezahlt wurde (Wien), ist dort auch diese Gruppe von Verschlechterungen betroffen. Alleinerziehende mit drei oder mehr Kindern werden in den meisten Bundesländern existenzsichernde Leistungen verlieren.

Verschärfungen "nur für Flüchtlinge"?

Massiv sind die Verschlechterungen für Menschen mit Behinderung in Wien, falls Zusatzleistungen für Wohnen nur für AlleinerzieherInnen zulässig wären und es keine Sonderzahlungen mehr gäbe. Was in der Diskussion völlig verschwiegen wird: In den meisten Bundesländern kommt der Mindestsicherung auch die Rolle zu, ein finanzielles Existenzminimum für Menschen mit Behinderung, wenn sie in Privathaushalten leben, sicherzustellen. Auf deren besondere Bedürfnisse hat die Mindestsicherung derzeit keine Antwort. Und es kommt zu großen sozialen Härten, wenn Menschen von Familienangehörigen gepflegt werden. Auf "die Flüchtlinge" zeigen die Regierenden, die Bedingungen verschärfen sie aber für alle. Das ist das Geschäft von Trickdieben: Es braucht immer einen, der ablenkt, damit dir der andere die Geldbörse aus der Tasche ziehen kann. Die "Ausländer" werden ins Spiel gebracht, weil die Kürzungen sonst nicht durchsetzbar wären. Keiner alten Frau, keinem Menschen mit Behinderung, keinem Niedriglohnbezieher geht es jetzt besser. Im Gegenteil: Die Pläne mit Abschaffung der Notstandshilfe, Streichung der Hilfen am Arbeitsmarkt oder Kürzungen bei chronisch Kranken belasten gerade diejenigen, denen wegen der "Flüchtlinge" Gerechtigkeit versprochen wurde.

Der "Neid-Trick" schadet uns selbst

Kürzung der Familienberatungsstellen, Stopp des Ausbaus von Ganztagsschulen, Einfrieren von Investitionen in Kindergärten -all das geht zu Lasten von Kindern in den unteren drei Haushaltsdezilen. Ich soll einen Kommentar schreiben, erzähle ich Stefanie, drei Kinder, krank, prekäre Jobs und immer wieder Mindestsicherung. "Schreib, was ich mir am meisten wünsche", sagt sie: "Gesundheit und dass es meinen Kindern einmal besser geht." Im Salzkammergut steht ein höchst erfolgreiches Sozialprojekt vor dem Aus. Ein Fahrtendienst, der besonders ältere Menschen unterstützt, zum Arzt, zur Therapie, zum Einkauf zu kommen. Nun verlieren neben den zahlreichen Fahrkunden auf einen Schlag zwölf Fahrer und Verwaltungskräfte ihre Arbeitsstelle und eine wertvolle, sinnstiftende Aufgabe. Was macht nun die Regierung, um von diesen Folgen abzulenken? Sie verkündet ein "Ausländersparpaket". Und verpackt darin alle Maßnahmen wie die Einstellung ebendieses Fahrtendienstes oder die Kürzung der Familienberatungsstellen. Damit alle glauben, das trifft sie nicht. Damit Kürzungen im Sozialstaat reibungslos durchgesetzt werden können. In Wirklichkeit handelt es sich um ein Kürzungspaket bei Kindern, Arbeitssuchenden, Kranken und Familien im unteren Einkommensviertel. Wenn sie "Ausländer" sagen, meinen sie uns alle, sagt Stefanie. Das können wir als Drittes lernen: Der Neid-Trick schadet einem selbst, weil man sich das, was einem nützt, selbst versagt. Er ist ein Instrument, um jene auseinanderzutreiben, die sich zusammenschließen könnten, um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern. Er ist ein Gift, das Leute mit ähnlichen Interessen spaltet. Er nützt den Trickdieben, sagt Stefanie, uns nicht. Ziel muss es doch sein, Existenz und Chancen zu sichern, nicht Leute weiter in den Abgrund zu treiben. Die Chancen für 80.000 Kinder weiter zu verschlechtern, Familien in desolate Wohnungen zu treiben und Menschen mit Behinderungen weiter zu belasten: All das sind nicht die Werte, die uns stark gemacht haben.

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