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wer arbeitet, wird bestraft

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Anläßlich der zweiten Fragestunde im Nationalrat erklärte Sozialminister Proksch, daß eine Aufhebung der so umstrittenen letzten Ruhensbestimmung im Rentenrecht, des § 94 ASVG, zwar nicht in Aussicht genommen sei, die bisher bestehende Ungleichheit aber beseitigt werden wird. Wie und warum das geschehen soll, hat der Minister zwar nicht angeführt, hätte er es aber getan, dann hätte seine Antwort bei allen jenen Rentnern, die bis jetzt völlig ungehindert einer selbständigen Beschäftigung nachgingen, tiefste Bestürzung hervorgerufen. Um nämlich die unzweifelhaft bestehende Verfassungswidrigkeit des § 94 ASVG — er widerspricht bekanntlich dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung — zu beseitigen, bringt der Entwurf der 9. Novelle zum ASVG, die am 1. Jänner 1962 in Kraft treten soll, eine Neufassung dieser Gesetzesbestimmung, die eine Rentenkürzung nicht nur wie bisher bei einer unselbständigen, sondern — das eben ist neu — auch bei einer selbständigen Beschäftigung des Rentners1 eihtretėn läßt. n6r

Kurze Freude

Nur durch sechs Jahre seit dem Inkrafttreten des ASVG vermochten sich die selbständig erwerbstätigen Rentner darüber zu freuen, daß sie, wieviel sie auch immer verdienten, eine Rentenkürzung nicht befürchten mußten. Damals, am 1. Jänner 1956, war die Rentenruhensbestimmung für selbständig erwerbstätige Rentner mit der Begründung (siehe Motivenbericht zum ASVG) aufgehoben worden, die hier notwendige Überwachung und Kontrolle koste mehr, als die Aufrechterhaltung dieser Bestimmung einbringe.

Gilt das etwa heute nicht mehr? Was soll unsere Öffentlichkeit von einer Sozialgesetzgebung denken, die heute das aufhebt, was sie vor sechs Jahren als notwendig erkannte, ohne daß sich seither auch nur die geringste Veränderung in der hier maßgebenden Situation ergeben hat. Also eine Laune des Gesetzgebers? Nein, das alles geschieht nur aus dem einzigen Grund, um die letzte Ruhebestimmung, eben den § 94 ASVG, der das Ruhen von Rententeilen schon dann verfügt, wenn dem in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Rentner ein Monatsentgelt von mehr als 680 S monatlich zusteht, aufrechtzuerhalten. Rente und Entgelt zusammen sollen nämlich ein „soziales Zuviel” darstellen, dem man begegnen müsse! Und das in einer Zeit, da man jede Arbeitskraft mit der Laterne sucht. Soll das etwa der Beitrag der Sozialversicherung zur Sanierung unseres Arbeitsmarktes sein? Ganz abgesehen davon, daß man heute wohl den Sozialrenten, ebenso wie den Anwartschaften auf solche, den Eigentumsschutz des Art. 5 unseres Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 wird zubilligen müssen. Hier die völlig veraltete Theorie, diese Bestimmung schütze nur Privatrechte, aufrechterhalten zu wollen, hieße unsere diesbezügliche Rückständigkeit im Verhältnis zum Ausland (Bundesrepublik Deutschland!) nur neuerlich unter Beweis stellen.

Rente oder Armenunterstützung?

Aber wird denn diese beabsichtigte Neufassung des § 94 ASVG den Verfassungsgerichtshof wirklich davon abhalten, ihn, wenn sich dazu die Gelegenheit bietet, wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz aufzuheben? Nein, keine Spur. Dieses Grundrecht unserer Verfassung wäre nur dann nicht verletzt, wenn die Ruhensbestimmungen auch jene Rentner treffen würden, die Einkommen aus eigenem Vermögen beziehen. Damit aber würde man unsere Rentenversicherung nach einer mehr als fünfzigjährigen, beispielhaften Entwicklung zu einer Armenunterstützung mit vorausgehender Bedürfnisprüfung degradieren. Anderseits — soll etwa die gegenwärtige Lösung sozial sein, die dann praktisch etwa so aussieht? Der Rentner A, seinerzeit mit kleinem Gehalt tätig und für eine größere Familie sorgend, hatte nie die Möglichkeit, Ersparnisse zu machen und sicher anzulegen. Nun ist er gezwungen, neben der Rente noch zu arbeiten; dafür wird er bestraft, seine Rente gekürzt. Der Rentner B dagegen, seinerzeit kinderlos und mit großem Einkommen, konnte viel zurücjklegeji und sicher placieren. Nun ergänzt er seine Rente mit den Zinsen seines Vermögens und genießt ein ruhiges Alter. Die Rente wird ihm nicht gekürzt. Das ist ihm sicherlich vom Herzen zu gönnen, aber daß in diesen beiden Fällen etwas nicht stim men kann, merkt ein jeder. „Wenn du arbeitest, wirst du bestraft.”

Soweit kommt man eben, wenn man sich jeder vernünftigen Überlegung zuwider krampfhaft bemüht, die letzte Ruhensbestimmung im ASVG, koste es, was es wolle, aufrechtzuerhalten, anstatt endlich damit Schluß zu machen.

Man hat den Rentenruhensbestim- mungen in der deutschen Bundesrepublik keine Träne nachgeweint, als man sie im Februar 1957 in den Versicherungsneuregelungsgesetzen strich. Heute kann dort jeder Bezieher des Altersruhegeldes (das sind die mehr als 65 Jahre alten Personen) jede Arbeit verrichten und Verdienst in jeder Höhe erzielen, und das gleiche gilt für alle Witwenrentnerinnen. Nur den Beziehern bedingter Altersrenten (Anfall mit dem vollendeten sechzigsten Lebensjahr) gestattet man, nicht mehr als zwei Monate im Jahr zu arbeiten, aber sogar die Rentner aus dem Titel der Berufsunfähigkeit dürfen noch, ohne eine Rentenkürzung befürchten zu müssen, die Hälfte des durchschnittlichen Verdienstes vergleichbarer, berufsfähiger Personen erarbeiten.

Das „soziale Zuviel”

Und wozu soll denn eigentlich bei uns diese letzte Ruhensbestimmung noch aufrechterhalten werden? Das unsinnige Wort von dem „sozialen Zuviel” wollen wir hier gar nicht mehr wiederholen, und das, was die Aufhebung des § 94 ASVG, das heißt, die volle, ungekürzte Auszahlung der Rente auch an noch tätige Rentner, kosten würde, wird durchaus eingebracht: erstens durch die ach damit erübrigenden Verwaltungskosten der Rentenversicherungsträger für Überwachung und Kontrolle der Rentner und zweitens durch den Wegfall der sich bei der gegenwärtigen Rechtslage immer wieder wiederholenden Neuberechnungen von Renten und der damit verbundenen Kosten.

Im übrigen rechnet auch der versicherungsmathematische Unterbau des ASVG durchaus mit der vollen Auszahlung der Renten und kalkuliert keineswegs mit Einsparungen aus dem Titel „Ruhensbestimmungen”. Damit ist auch die Behauptung widerlegt, bei völliger Aufhebung der Ruhensbestiin- mungen könnte man die bisherigen Rentensätze nicht mehr zur Auszahlung bringen, die Rentendynamik nicht einführen und die Witwenrenten nicht von bisher 50 auf 60 Prozent der Rente des verstorbenen Rentners hinaufsetzen. Das alles hat mit der Frage der Ruhensbestimmungen aber auch nicht das geringste zu tun.

Einkommen würde dem Bezug dieser Rente nicht entgegenstehen.

Das alles ist so einfach, daß man sich nur immer wieder zu wundem vermag, wie krampfhaft man vor einer solchen, alle befriedigenden Lösung die Augen verschließt. Oder sollte es etwa wirklich ein solch erhebendes Gefühl sein, die Rentner vom Moment des Rentenanfalles an bis zu ihrem Tode ständig unter Kontrolle zu halten und das Damoklesschwert der Rentenkürzung dauernd über ihren Häuptern schweben zu lassen? Das wäre pathologisch; oder sollte das ganze etwa eine Prestigeangelegenheit sein? Fast möchte man es glauben.

Wir meinen leider, daß es bereits zu spät ist, in dieser Sache noch an die Mitglieder des sozialpolitischen Ausschusses des Nationalrates zu appellieren, wobei wir außerdem überzeugt sind, bei seinem Vorsitzenden für unsere Forderung nicht das geringste Verständnis zu finden. So sei denn an das Plenum des Hohen Hauses das Ersuchen gerichtet, dem Ruf des Rechtes, der sozialen Billigkeit und der Vernunft Gehör zu schenken und anläßlich der Beratung und Beschlußfassung über den Entwurf der 9. Novelle zum ASVG die Ruhensbestimmungen zur Gänze aus dem Gesetz zu eliminieren.

Warum die Rentnerverbände so leise protestieren

Zum Schluß noch etwas: Man wird sich wundern, in den Resolutionen der diversen Rentnerverbände — mit einer einzigen Ausnahme — kaum jemals die für ihre Mitglieder doch so lebenswichtige Forderung nach Aufhebung der letzten Renten- ruhensbestimmung vorzufinden. Erklärlich, die Rentnerverbände müssen eben Rücksichten nehmen, aber leider, in diesem Falle wenigstens, nicht auf ihre Mitglieder.

Sehr bedauerlich ist es, daß der Entwurf der 9. Novelle zum ASVG nicht dem normalen Begutachtungsverfahren, also der Stellungnahme durch Kammern und Körperschaften, zugeführt ‘ wurde, er soll vielmehr als Initiativantrag der beiden Regierungsparteien dem Nationalrat zugehen. Also eine Art fait accompli — zeugt das nicht von schlechtem Gewissen?

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