Wer hat Angst vor dem "Zwarte Piet“?

In den Niederlanden wird der Weihnachtsmann Sinteklaas seit dem 19. Jahrhundert von einem dunkelhäutigen Helfer begleitet. Nun entzündet sich daran eine Rassismusdebatte.

Mitte November wird in den Niederlanden traditionell der Einzug von Sinterklaas gefeiert. Zwei Wochen lang gibt man sich dem Konsum von Pfeffernüssen und Spekulatius hin, bevor der beliebte Freund der Kinder am 5. Dezember in einem finale furioso seine Geschenke unters Volk bringt und sich alsdann mit seinem Dampfboot wieder aufmacht, zurück nach Spanien, so die Legende.

In diesem Jahr hat es den Niederländern die freudige Erwartung des goedheiligman verhagelt. Am Samstag wurde bekannt, dass eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen einen etwaigen rassistischen Charakter des Brauchs untersuchen will. Anlass dafür ist Zwarte Piet, der Gehilfe des Sint mit schwarz geschminktem Gesicht, knallroten Lippen und Afro-Perücke. Organisationen wie die niederländische "Stiftung Sklaverei-Vergangenheit“ hatten bei den UN geklagt.

In einem Brief der UN-Expertengruppe an die Regierung in Den Haag heißt es, die Figur des Piet sei ein "Dummkopf und Diener“ sowie ein "Stereotyp afrikanischer Menschen“. Schon zu Wochenbeginn rief die vermeintliche Einmischung aus Genf empörte Reaktionen hervor, etwa bei der Boulevardzeitung Telegraaf, die eine "linke Elite“ beschuldigte, sie wolle dem Rest des Landes ihr geliebtes Fest nehmen.

Und dann kam Verene Shepherd: die Vorsitzende der besagten Expertengruppe regte im niederländischen Rundfunk an, die Regierung solle Sinterklaas abschaffen, weil das Fest an die Sklaverei erinnere. Seither macht sich der Volkszorn Luft, angeführt von Geert Wilders, der stattdessen die UN abschaffen will. Der Online-Nachrichtensprecher des Telegraaf erschien im Piet-Kostüm, eine Schülerin organisiert in Den Haag eine Demonstration: für Piet, gegen die UN.

An die Spitze der Bewegung haben sich zwei junge Reklameprofis gesetzt. Ihre "Pietition“ für den Erhalt von Zwarte Piet wurde zur schnellst wachsenden niederländischen Facebook-Seite. Am Dienstag gegründet, lag sie am Donnerstag bei zwei Millionen Likes. "Wir lassen uns nicht verrückt machen“, heißt es da. "Unser Fest abschaffen? Wie sollen wir das unseren Kindern erklären?“

Pures Unverständnis

Bei den Piet-Befürwortern herrscht pures Unverständnis. In ihren Augen ist die Diskussion absurd, da Sinterklaas ein "Kinderfest“ mit fröhlicher Stimmung sei und damit im Wesen "harmlos“. Und dann ist da noch ein Teil der Legende, wonach "die Pieten“ - Sinterklaas hat deren mehrere - von Dach zu Dach springen, bevor sie mit ihren Geschenken durch den Schornstein in die Häuser rutschen. Nur darum sei Piet schwarz. Was also, so der Tenor, soll die Aufregung?

In dieser Abwehrhaltung erinnert einiges an die deutsche Diskussion um Rassismus in Kinderbüchern. Der gefühlte Opferstatus gegenüber der political correctness, aber auch die Wut, dass sich als unbefugt Wahrgenommene mit den eigenen Traditionen beschäftigen und diese verändern wollen. Dass es dabei um die kollektiv romantisierte Phase der Kindheit geht, macht die Sache nur noch heikler.

In diesem Fall kommt hinzu, dass Sinterklaas nicht allein in Schulen und Kindergärten gefeiert wird: auch in Betrieben und Banken, Nachbarschaftszentren und Vereinen sitzen erwachsene Menschen einem verkleideten Rauschebart mit Bischofshut auf dem Knie und hören sich dessen Reime an. Und was Piet betrifft: zweifellos ist er der Diener. Aber die Niederländer, klein und groß, sie lieben ihn, und inbrünstig singen sie "tschüss Sinterklaaschen, tschüss Zwarte Piet“, wenn beide wieder gehen.

Die gekränkte Volksseele indes hat auch eine agressive Seite. Der Künstler Quinsy Gario, der von den niederländischen Antillen stammt, wurde 2011 von zwei Polizisten gewaltsam festgenommen, als er in Dordrecht beim Sinterklaas-Einzug mit einem "Zwarte-Piet-ist-Rassismus“-Shirt protestierte. In diesem Jahr stellte Gario in Amsterdam einen Antrag, das Volksfest ohne Piet zu feiern. Bürgermeister Eberhard van der Laan gab an, darüber sei zu verhandeln. Doch im Internet ergoss sich der Hass über Gario: man nannte ihn "Landesverräter“ oder wollte ihn "zurück ins Herkunftsland“ schicken.

Keine Gewissheit gibt es darüber, woher die umstrittene Figur nun eigentlich kommt. Der Direktor des Amsterdamer Rijksmuseum, Wim Pijbes, sagt, sie lasse sich bis mindestens ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Die UN-Untersucher jedenfalls lud Pijbes ein, in seinem Haus Nachforschungen anzustellen. Andere sehen den Lehrer Jan Schenkman als Urheber, dessen Buch "Sankt Nikolaus und sein Knecht“ 1850 erstmals einen schwarzen Diener erwähnt haben soll.

1863 übrigens schafften die Niederlande als letzte europäische Kolonialmacht die Sklaverei ab. Im Sommer wurde der 150. Jahrestag in großem Stil begangen. "Und doch führen wir dieses Theaterstückchen immer wieder auf“, so Quinsy Gario. "Es scheint, als wollten wir zu dieser Periode zurückkehren.“

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